Tetris eroberte nicht nur die Sowjetunion, sondern auch die ganze Welt.
APDer 18. Juli 1985 gilt als Geburtstag eines legendären Computerspiels: An diesem Tag erblickte im Rechenzentrum der Akademie der Wissenschaften der Sowjetunion in Moskau die Farbversion des Spiels „Tetris“ das Licht der Welt. Der Beginn eines einzigartigen Siegeszugs – erst im Land und anschließend in der ganzen Welt.
Das simple und doch geniale Konzept stammt von einer einzelnen Person, von Alexej Paschitnow, der damit mit einem Schlag zu einer Ikone der Spieleindustrie wurde. „Als ich das Spiel entwickelte, hatte ich Angst, es zu verkomplizieren. Mir schien, dass es noch irgendwelche Prämien und Bonuspunkte für irgendetwas geben müsse. Aber mit jeder neuen Regel fürchtete ich, dass die Spieler durcheinanderkämen“, erzählte Paschitnow dem Onlinemagazin „Look at me“ und fügte hinzu: „Wenn ich das Spiel noch einmal entwickeln würde, sähe es genauso aus.“
Der überwältigende Erfolg gibt dem Erfinder Recht – die Bedeutung von Tetris für die globale Industrie kann gar nicht überbewertet werden: Mit Erscheinen dieses Spiels begann der kometenhafte Aufstieg der Spielkonsole Game Boy, der die Epoche des – wie es zu Zeiten von „Angry Birds“ heutzutage heißt – Mobile Gamings einläutete.
Für den Export von Computern und Software war in der Sowjetunion das Staatsunternehmen Elektron-Orgtechnika, kurz Elorg genannt, verantwortlich. Aber einige ausländische Unternehmen begannen noch vor dem Abschluss eines wasserfesten Vertrags mit den sowjetischen Beamten, Raubkopien von Tetris zu veröffentlichen und anderen die Rechte an einer Erfindung zu verkaufen, die ihnen eigentlich gar nicht gehörte.
Das komplexe Gewirr aus Lizenzstreitereien, bei dem einige mit ihrer persönlichen Bekanntschaft mit Michail Gorbatschow punkteten, löste sich Jahre später schließlich mit dem Ergebnis auf, dass das US-amerikanische Unternehmen Atari die Lizenz für Spielautomaten und der japanische Konzern Nintendo die Rechte für Spielkonsolen erhielt.
Paschitnow, der Anfang der Neunzigerjahre in die USA ausgewandert war, registrierte 1996 die Firma The Tetris Company und übertrug das Urheberrecht für den Namen „Tetris“ auf sich selbst. Später schloss er ein Abkommen über den Verzicht weiterer Ansprüche mit der inzwischen privatisierten Firma Elorg. Während er in den Achtzigern persönlich kaum von der Popularität des Spiels profitieren konnte, kassierte er nun für jede neu veröffentliche Tetris-Variante, wie zum Beispiel vom Unternehmen Ubisoft, Lizenzgebühren.
Eine Version von Tetris gibt es für praktisch jede Art von Computer, Spielkonsole und Betriebssystem. Paschitnows Erfindung war zudem eines der ersten Spiele für Handys. Ende der Neunzigerjahre kamen in Russland kleine, tragbare Videospielsysteme wie das chinesische Brick Game auf, in deren Mittelpunkt ebenso Tetris stand.
Aber der größte Beitrag von Tetris für die Spieleindustrie war die Portierung auf Nintendos Game Boy. Mithilfe des virtuellen Stapelspiels konnte das japanische Unternehmen seine Wettbewerber abhängen und die Führung auf dem milliardenschweren Konsolenmarkt übernehmen.
Bereits Ende der Achtzigerjahre verliehen westliche Unternehmen, wie Nintendo und das US-amerikanische Spectrum Holobyte, ihren Tetris-Varianten gezielt ein sowjetisches Flair. So diente bei ihnen als Hintergrund ein Bild des ersten Kosmonauten Jurij Gagarin oder des deutschen Hobby-Piloten Mathias Rust, der mit seinem Sportflugzeug 1987 von Hamburg nach Moskau geflogen und auf dem Roten Platz gelandet war. Das russische Volkslied „Korobejniki“ erlangte als Tetris-Musikthema im Westen Berühmtheit.
Und noch immer wird das Denkspiel mit Russland in Verbindung gebracht und gehört neben „Pac Man“ und „Space Invaders“ zu den Computerspiel-Klassikern. Auch in der Kunst wird gerne auf Tetris verwiesen. 2012 erwarb das New Yorker Museum of Modern Art Tetris und noch weitere 13 Spiele für seine ständige Sammlung und nahm es nur wenige Monate später in seine Ausstellung auf.
„Tetris ist nicht nur eines der populärsten Spiele der Welt mit großem Wiedererkennungswert, es ist eines der wenigen, aber wichtigen Dinge, die den sogenannten ‚russischen kulturellen Code‘ bilden“, unterstreicht Alexander Kusmenko, Chef von Games.Mail.Ru, die Bedeutung von Tetris für Russland: „Neben der Pelzmütze und der Matrjoschka weiß jeder Durchschnittsbürger eines Industriestaats ohne nachzudenken, dass Tetris aus Russland stammt.“
Nach Tetris veröffentlichte Alexej Paschitnow noch über ein Dutzend weiterer Spiele, die heutigen Gamern wohl kaum mehr bekannt sein dürften. Einzige Ausnahme ist das Denkspiel „Hexic“, das 2003 erschien und immer wieder für neue Plattformen aktualisiert wird. Dabei hat man es nicht mit Figuren aus Quadraten, sondern mit Clustern aus Sechsecken aus jeweils einer Farbe zu tun.
Gleichwohl Paschitnow als Autor eines „One-Hit-Wonders“ gilt, hat er selbst immer wieder betont, dass er mit Tetris ein eigenes Genre geschaffen habe. In diesem Sinne verdankt jedes moderne geometrische Denksportspiel seinen Erfolg zum Teil diesem „antiken“ sowjetischen Spiel.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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