Innovation auf vier Rädern. Copyright:RIA Novosti
„Der Logan ist ein echt zuverlässiges Auto“, sagt Alexander, Taxifahrer in Moskau, während er im Feierabendverkehr stuntmanartig die Spur wechselt, hupt und den Fahrer eines Toyota-Geländewagens zusammenbrüllt. „330 Tausend hat meiner schon auf dem Tacho, trotzdem läuft er rund wie ein Uhrwerk“, sagt er, als staune er selbst darüber. 34 Jahre schon kutschiert er seine Fahrgäste durch die Metropole, zuerst in einem „Wolga“, einer sowjetischen Oberklassen-Limousine. Später, in den 90er-Jahren, als der städtische Taxistand aufgelöst wurde und er sich selbstständig machte, in rechtsgelenkten Japanern, rostigen Europäern und klapprigen Ladas. Einen Neuwagen konnte er sich nie leisten. Bis vor vier Jahren, als er für rund 7.000 Euro einen neuen Renault Logan (in Deutschland als Dacia Logan bekannt) kaufte. Die flitzigen und in Russland sehr populären Wagen werden im Avtoframos-Werk in Moskau gebaut, einem Joint Venture zwischen der Moskauer Stadtregierung und Renault. Die Franzosen halten hier 94,1 Prozent der Anteile. Seit dem Produktionsstart 2005 rollten 260.000 Logans vom Band. Außer bei Avtoframos sind die Franzosen mit Nissan später auch beim Lada-Hersteller AvtoVAZ eingestiegen.
Russische Auto-Cluster
Bis zur Krise wuchs der russische Automobilmarkt um bis zu 30 Prozent pro Jahr. Die Regierung hatte in einigen Regionen Technologieparks und Sonderwirtschaftszonen mit Steuervergünstigungen eingeführt, um internationale Hersteller anzuziehen. Einige Autobauer hatten aber den Trend schon vorher erkannt. In Kaliningrad sitzt der Automobilbauer Avtotor, der seit 1999 BMWs, Kias, Chevrolets und Hummer in Lizenz baut. 2006 kamen die Chinesen mit Chery und der Nutzfahrzeugmarke LCV dazu. Ford eröffnete 2002 ein vollwertiges Automobilwerk in St. Petersburg, wo Focus-Modelle für den russischen Markt vom Band laufen. Im gleichen Jahr wurde Sollers in Nabereschnye Tschelny in Tatarstan dazu, wo heute Fiat und Ssang Yong produzieren. Nebenan sitzt LKW-Hersteller Kamaz, an dem die Daimler AG beteiligt ist. In einer Sonderwirtschaftszone bei Kaluga baut Renault zusammen mit Volvo Lastwagen. In der gleichen Zone legte schließlich VW nach: Seit 2007 betreibt der deutsche Konzern hier einen vollwertigen Produktionsstandort für VW- und Skoda-Modelle.
Der tiefe Fall
Bis 2008 schrieb der russische Automobilmarkt tiefschwarze Zahlen: 2,78 Millionen neue Pkws wurden selbst im Krisenjahr 2008 verkauft, davon kamen 1,68 Millionen aus russischer Fertigung. Ein Jahr darauf konnten nur noch 1,39 Millionen Neufahrzeuge abgesetzt werden - der Markt war fast um die Hälfte geschrumpft. AvtoVAZ und andere russische Hersteller standen vor dem Konkurs und konnten nur durch staatliche Investitionen in Milliardenhöhe gerettet werden. In diesem Jahr hat sich der Markt etwas erholt. Bis 2012 sagen Experten sogar einen Neuwagenabsatz auf dem Niveau von 2008 voraus. PSA Peugeot Citroën und Mitsubishi haben auf die Konjunktur reagiert und im April das lange geplante Werk ebenfalls bei Kaluga eröffnet. In Nischnij Nowgorod, 500 Kilometer weiter östlich, wird Volkswagen aktiv: Die GAZ-Werke verhandeln gerade mit dem deutschen Konzern über die Übertragung ihrer Kapazitäten an VW.
Auch beim Industrie-Giganten AvtoVAZ, der jährlich ein Prozent zum BIP Russlands beisteuert, ist die Entwicklung jetzt wieder positiv: Nach einem Verlust von fast 1,2 Milliarden Euro im Jahr 2009 rechnet AvtoVAZ dieses Jahr mit einem Gewinn von 23 Millionen Euro. Von der Partnerschaft mit Renault-Nissan profitiert der angeschlagene Autobauer mit über 100 Millionen Euro, die seine Partner in die Produktionserweiterung gesteckt haben. Im Oktober hatte Russlands Premier Wladimir Putin mit Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn sogar eine komplette Übernahme von AvtoVAZ durch das Bündnis diskutiert.
Schlechte Qualität
Bis heute zeichnen sich AvtoVAZ und andere russische Automobilbauer nicht gerade durch Qualität aus, bieten aber Wagen in einem anderen Preissegment an, als westliche Firmen. Ihre wichtigsten Konkurrenten waren lange Gebrauchtwagen aus Europa - bis Russland Ende 2008 äußerst rabiate Einfuhrzölle auf Import-Gebrauchtwagen erhob. Dass sich die Automobilindustrie aber nicht nur durch Schutzzölle entwickeln kann, weiß inzwischen auch der Kreml: „Man hat erkannt, dass man mit dem Export von Rohstoffen allein nicht weiterkommt, weil man so extrem konjunkturabhängig ist“, sagt Ewald Böhlke, Branchenexperte und Zukunftsforscher aus Berlin. Also müsse man die Industrie modernisieren, um mit eigenen Produkten am Weltmarkt überhaupt teilnehmen zu können.
In vielen Werken ausländischer Hersteller wird aber heute noch nach dem Bausatz-Prinzip produziert: Die Teile kommen aus dem Ausland und werden vor Ort zusammengeschraubt. Denn die Qualität der russischen Zulieferer ist konkurrenzlos niedrig: Als AvtoVAZ im Jahr 2004 den komplett neu entwickelten Kleinwagen Lada Kalina vorstellte, meldeten sich bald darauf empörte Käufer wegen unzumutbarer Pannen. Selbst die Werksleitung räumte ein, dass die Qualität der neuen Produkte gering sei und machte dafür die Zulieferer mitverantwortlich. Deshalb setzten die Russen auch in diesem Bereich inzwischen auf internationales Knowhow: Ende Oktober eröffnete der Zulieferer Magna ein Werk im Kaluga-Cluster, das VW, Peugeot und Citroën mit Kunststoffteilen versorgen soll. Gleichzeitig wechselte der Ex-Magna-Spitzenmanager Siegfried Wolf zu Russian Machines, einer großen Industrie-Holding, der auch die GAZ-Werke in Nischnij gehören. Der Experte soll die veralteten Produktionsanlagen modernisieren.
Konventionelle Antriebe reichen nicht
Die Komplettsanierung der Automobilindustrie sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, kann aber nicht das langfristige Endziel sein, sagt Ewald Böhlke: „Im Westen ist man mit Effizienz- und Umwelt-Debatten viel weiter“, gibt der Zukunftforscher zu verstehen. Eine innovative Infrastruktur und eine eigene Technologieplattform wären die Lösung: „Das deutsche Modell hätte in Russland eine Riesenchance“, sagt der Experte, „aber nur wenn man die Korruption einschränken kann“, fügt er an. Anzeichen für eine Weiterentwicklung gibt es bereits: Michail Prochorow, Oligarch und Großindustrieller, lässt gerade ein preiswertes Hybridfahrzeug komplett in Russland entwickeln. Taxifahrer Alexander sind moderne Antriebe jedoch egal: „Wenn die Qualität wie beim Logan ist, würde ich irgendwann vielleicht einen Hybrid kaufen“, sagt er, „aber wenn sie wieder so einen "durstigen" Wolga bringen, den ich länger reparieren durfte, als er dann fuhr, können sie mich als Kunden vergessen“.
Die Zahlen:
1,5 Millionen Neufahrzeuge wurden seit Anfang 2010 hierzulande verkauft, davon eine halbe Million von russischen,
240.000 von deutschen Autobauern. AEB (Association of European Businesses)
22 Prozenz Wachstum erzielte der Absatz von Neufahrzeugen in Russland in den ersten zehn Monaten des Jahres 2010.
454 Pkw auf 1.000 Einwohner wird es in Russland 2030 geben, heute sind es 216.
Der Markt soll sich also mehr als verdoppeln. SIEMS (Skolkovo Institute for Emerging Market Studies)
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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