"Der Zar" - Epos über Iwan den Schrecklichen von Pavel LunginCopyright:Itar-TASS
Es fällt schwer, alle Mosfilm-Produktionen aufzuzählen, die Geschichte geschrieben haben: Hier, auf dem 13.000 Quadratmeter großen Areal im Westen Moskaus, sind Klassiker entstanden wie Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“, Romms „Lenin im Oktober“, Kontschalowskis „Onkel Wanja“ oder Tarkowskis „Solaris“. Die Filme haben Mosfilm international bekannt gemacht.
1924, in den Anfangsjahren der Sowjetunion, wurden die Studios als Experimentierwerkstatt gegründet, doch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs war Mosfilm mit eigenen Produktionsanlagen und Drehkulissen eines der am besten ausgerüsteten Filmstudios Europas. 1987 drehte Mark Sacharow hier „Tod dem Drachen“, eine Satire über Tyrannei und Duckmäusertum nach einem Drama von Jewgeni Schwarz. Es war eine der ersten Gemeinschaftsproduktionen der Perestrojka-Zeit: die Spezialeffekte entstanden in den Studios der Bavaria-Film, München. Mit dem Ende der Sowjetunion hatte auch die einst mächtige russische Filmindustrie mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Erst um das Jahr 2000 zeigte der bis heute staatliche Konzern Anzeichen von Erholung: Damals wurden die Studios grundlegend modernisiert. „Wir haben die Qualitätsmaßstäbe in jedem Produktionsbereich möglichst hoch angesetzt“, erzählt Karen Schachnasarow, Regisseur und Direktor von Mosfilm.
Derzeit entstehen pro Jahr 40 bis 50 Filme, vor der Wirtschaftskrise waren es weit mehr. Neben dem finanziellen besteht jedoch noch ein weiteres Problem. „Das Kino von heute besitzt nicht mehr die gleiche ausdrucksstarke Kreativität wie zu Sowjetzeiten“, sagt der 58-jährige Schachnasarow etwas wehmütig. Es gäbe zwar junge, talentierte Drehbuchautoren, aber von einer „neuen Welle“ könne man nicht sprechen. Die Aufnahmestudios für Filmmusik, in denen bis zu 150 Musiker Platz finden, wurden mit modernster Aufnahmetechnik ausgestattet. Durch das Musikstudio kam eine zusätzliche lukrative Einnahmequelle hinzu: „Die Hälfte unserer Arbeit macht inzwischen die Produktion von Musik-CDs aus“, erzählt Tontechniker Andrej.
Das alte Moskau im neu ausgestatteten Filmstudio
Mosfilms größte Besonderheit ist jedoch die eigene Drehkulisse, die ein komplettes Stadtviertel Moskaus aus dem späten 19. Jahrhundert nachstellt - Kopfsteinpflaster, Holzfassaden, Gaslaternen und historische Straßenschilder inklusive. In dieser Drehkulisse sind seit 2004 über 40 Spielfilme entstanden. Je nach Bedarf wurde aus dem „alten Moskau“ St. Petersburg, Tiflis oder Kopenhagen. Das einzige Problem stellt der Wolkenkratzer auf der gegenüberliegenden Seite der Studios dar, da er sich gerne ins Bild schleicht. Neben der modernisierten technischen Ausstattung trägt der große Requisitenfundus zum internationalen Renommee der Studios bei: Sergej Plochow, Leiter der Kostüm- und Zubehörabteilung, wacht über schätzungsweise 400.000 Kleidungsstücke und Militäruniformen. Zehntausende Kostüme und Requisiten aus allen Epochen baumeln in einem solchen Durcheinander von den Decken, dass die Abteilung fast einer Tropfsteinhöhle gleicht. Das Juwel dieser Sammlung ist der studioeigene Oldtimer-Fuhrpark: Ein luxuriöser 1913er Rolls Royce und ein 1927er Packard teilen sich die Garage mit alten Postbussen und proletarischen Traktoren. Die durch russische Filmklassiker bekannt- und liebgewordenen Fahrzeuge, Objekte und Kostüme haben ihren Ehrenplatz im Mosfilm-Museum und werden nicht mehr bei aktuellen Produktionen eingesetzt.
Die Einnahmequellen
Der Kostümverleih stellt eine weitere Einnahmequelle dar: Ob Pirat, Rotgardist oder Iwan der Schreckliche, alle erdenklichen Ausstattungen sind vorhanden. Das solideste Standbein von Mosfilm ist jedoch ein gigantisches Filmarchiv, von dem sich das Studio niemals trennen würde – wie etwa die Lenfilm-Studios aus St.Petersburg, die diesen Schritt aus finanziellen Gründen tun mussten. Die Filmklassiker von Mosfilm werden momentan digitalisiert und mit englischen Untertiteln versehen. Seit einigen Wochen lassen sich diese Schätze aus 90 Jahren Filmgeschichte für wenig Geld aus der Mosfilm Videothek im Internet herunterladen. Derzeit kommen den Studios keinerlei öffentlichen Fördermittel zu. Mosfilm finanziert sich selbst mit privaten Fernsehproduktionen. Diese dürfe man jedoch keineswegs unterschätzen, betont Schachnasarow, jeder Fernsehfilm erfordere den gleichen Aufwand wie ein Spielfilm. „Die Filmindustrie Russlands ist wiederauferstanden“, freut er sich. „Jetzt müssen wir zahlungskräftige Produzenten finden und talentierte Drehbuchautoren – am besten beides auf einmal“.
Die Filme
"Wie ich diesen Sommer verbracht habe" (2010) - auf der Berlinale ausgezeichneter Psychothriller von Alexej Popogrebski über einen Studenten, der seine Ferien mit einem Meteorologen auf einer Wetterstation verbringt.
"Krankenzimmer Nr. 6" (2009) - in dieser Tschechow-Adaption erkennt der Chefarzt einer psychiatrischen Anstalt in der Provinz in seinem Patienten ein Genie. Nach Gesprächen mit ihm verliert der Arzt selbst den Verstand.
Bildausschnitt aus dem Kinofilm "Wie ich diesen Sommer verbracht habe".
Copyright : Kinopoisk.ru
Der Mann hinter Mosfilm
Karen Schachnasarow, 1952 in Krasnodar geboren, leitet die Studios seit 1998. Schachnasarow begann seine Karriere als Drehassistent, wurde dann Drehbuchautor und Produzent. 1983 feierten Kritiker und Publikum gleichermaßen sein Musical „Wir kommen aus dem Jazz“. In dem Film thematisiert Schachnasarow die Jazz-Anfänge in der UdSSR der Zwanziger Jahre. Sein neuestes Werk, „Krankenzimmer Nr. 6“, ist die Verfilmung der gleichnamigen Novelle von Anton Tschechow über das Leben in einer psychiatrischen Anstalt. Die Handlung wurde jedoch ins heutige Russland versetzt. Schachnasarow erhielt für seine Filme vielfache nationale und internationale Auszeichnungen.
Filmtrailer
Tipp: Die virtuelle Mosfilm-Videothek finden sie unterwww.cinema.mosfilm.ru
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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