„Und Sie, Stierlitz, bitte ich noch zu bleiben.“: Noch immer stockt russischen Zuschauern der Atem, wenn Gestapochef Müller (Leonid Bronewoj) Verdacht gegen Stierlitz (Wjatscheslaw Tichonow) schöpft. Foto: RIA Novosti
Keine andere sowjetische Fernsehserie ist selbst vier Jahrzehnte nach der Erstausstrahlung auch nur annähernd so populär wie der Zwölfteiler, der die Abenteuer eines russischen Agenten im Frühjahr 1945 erzählt. „Ein echter Arier. Nordischer, entschlossener Charakter“, heißt es in der makellosen Kaderakte des SS-Standartenführers Max Otto von Stierlitz. Dass Stierlitz in Wirklichkeit Maxim Issajew heißt und im Dienst des Kremls steht, ahnen die Nazis zunächst noch nicht.
SS-Mann im Dienst des Kremls
Die Handlung der Serie basiert teils auf historischen Ereignissen. Ein Roman von Julian Semjonow diente als Vorlage: Als das Dritte Reich im Frühjahr 1945 in den letzten Zügen liegt und in Berlin bereits der Artilleriedonner von den Kämpfen an der Oder zu hören ist, erfüllt Issajew alias Stierlitz eine heikle Aufgabe. Er soll herausfinden, wer in Hitlers Umfeld Geheimverhandlungen mit den Westalliierten begonnen hat, und verhindern, dass das Dritte Reich sich mit Briten und Amerikanern auf einen Separatfrieden einigt. Der SS-Mann im Dienste des Kremls spielt dazu verschiedene Nazigrößen geschickt gegeneinander aus.
In den 70er-Jahren war „17 Augenblicke des Frühlings“ eine der wenigen ausländischen Filmproduktionen, die über den Krieg erzählen, die Deutschen aber nicht als anonyme Feinde und die Naziführer nicht als eindimensionale, brutale Monster darstellen. Regisseurin Tatjana Liosnowa zeichnete ein genaues Bild jedes einzelnen Charakters mit all seinen seelischen Abgründen. Auch die deutschen Hitler-Gegner werden in der Serie gewürdigt, und zwar keineswegs – wie bei einer Produktion aus der UdSSR zu vermuten wäre - nur in Gestalt von Kommunisten. Als Vorzeigewiderstandskämpfer steht dem sowjetischen Agenten ausgerechnet ein mutiger Pastor zur Seite.
Kein russischer James Bond
Schon bei der Erstaufführung 1973 waren die Straßen Moskaus wie leergefegt. Egal, ob das schwarz-weiße Original oder eine umstrittene, nachträglich entstandene Farbversion der Serie gezeigt wird: Bis heute schalten Millionen Menschen ein.
Vom DDR-Fernsehen der Vorwendezeit abgesehen, ist die Serie dennoch nie in Deutschland gezeigt worden. Das mag daran liegen, dass Stierlitz eben kein russischer James Bond ist. Obwohl Oberst Issajew seine Frau vor Jahren in der Sowjetunion zurücklassen musste, leistet er sich noch nicht einmal eine Geliebte. Die Serie setzt auf Anspruch statt Action: Es gibt keine wilden Verfolgungsjagden, Schießereien oder Explosionen, wie sie in westlichen Agentenfilmen zum Pflichtprogramm gehören würden, stattdessen immer wieder lange Besprechungen in den Dienstzimmern des Spionagechefs Walter Schellenberg oder des Chefs der Sicherheitspolizei Ernst Kaltenbrunner, in denen die Nazibonzen - hinter schweren Fenstervorhängen - die Zeit nach dem Untergang planen.
Geschickt kommuniziert
Mehrfach steht Stierlitz kurz vor der Enttarnung, aber immer im letzten Augenblick kann sich der sowjetische Meisteragent mit geschickten Ausreden retten. Auch die vielen minutenlangen Nahaufnahmen des schweigenden Helden, in denen lediglich die Stimme von Hintergrunderzähler Efim Kopeljan zu hören ist, mindern die Spannung nicht. Auch heute noch stockt den Russen jedes Mal der Atem an jener Stelle, als Gestapochef Müller Verdacht geschöpft hat, dass sein Vertrauter ein falsches Spiel spielen könnte, und dem sowjetischen Agenten die legendären Worte nachruft: „Und Sie, Stierlitz, bitte ich, noch zu bleiben.“
Kremlchef Wladimir Putin, einst selbst für den KGB an der unsichtbaren Front tätig, überreichte dem Hauptdarsteller Wjatscheslaw Tichonow zum 75. Geburtstag den Verdienstorden um das Vaterland. Die noch größere Auszeichnung für Tichonow, der 2009 im Alter von 81 Jahren starb, ist aber vielleicht, dass Stierlitz durch unzählige Anekdoten und geflügelte Worte zur Legende geworden ist.
Ein Standartenführer als Witzfigur
Der Volksmund hat Hunderte von Witzen über Agent Stierlitz erdacht, obwohl die Serie an sich alles andere als komisch ist.
Typisch für viele Stierlitz-Witze sind unübersetzbare Wortspiele. Andere machen sich sowohl darüber lustig, dass die Nazis Stierlitz nicht enttarnen können, als auch darüber, dass der Meisteragent der Sowjets sich wenig konspirativ verhält: „Die Lage in Berlin war so schlimm geworden, dass sich selbst in der Reichskanzlei lange Schlangen bildeten, wenn dort Wurst verkauft wurde“, heißt es in einem typischen Witz. „Alle warteten geduldig, allein Stierlitz drängelte sich jedes Mal grob an der Schlange vorbei, was die Gestapoleute unheimlich aufregte. Sie konnten noch nicht wissen, dass Helden der Sowjetunion immer außer der Reihe bedient werden.“
Auch die kühle, geniale Kombinationsgabe des Geheimagenten wird von den Russen gerne ins Groteske gesteigert, zum Beispiel so: Gestapochef Müller schaute aus dem Fenster und sah, wie Stierlitz eilig aus der Geheimpolizeizentrale fortlief. „Wohin geht er bloß?“, dachte Müller. „Das geht dich einen feuchten Dreck an“, dachte Stierlitz zurück.
Allerdings müssen die Russen auch über die historischen Fehler in der echten Serie schmunzeln. Und von denen gibt es eine ganze Reihe.
So stammen nicht nur die sanitären Anlagen und die Wanduhren in der Gestapozentrale sowie die Motorräder der Nazis erkennbar aus sowjetischer Produktion. Auch hört der Hauptdarsteller im Autoradio ausgerechnet den lange nach Kriegsende aufgenommenen Edith-Piaf-Chanson „Milord“. Für die echten Fans machen derlei kleinere Missgeschicke die „17 Augenblicke des Frühlings“ allerdings eher noch sympathischer.
Stierlitz-Witze
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