Foto: TASS
Biolebensmittel und die ökologische Landwirtschaft erobern auch in Russland die Verbrauchermärkte, obwohl eine klare gesetzliche Abgrenzung zu traditionell oder industriell erzeugten Nahrungsmitteln auf sich warten lässt. Das sieht auch die Abteilungsleiterin für wissenschaftliche Forschung des Landwirtschaftsministeriums Tatjana Balagula so. Nach ihrer Aussage will nun das Ministerium diese Lücke mit einer Novellierung des Verbraucherschutzgesetzes schließen.
Dabei steht das Landwirtschaftsministerium vor einer schwierigen Aufgabe: Zum einen soll das Vertrauen der russischen Verbraucher in einheimische Biolebensmittel gestärkt und gleichzeitig den Erzeugern solcher Produkte bestimmte förderliche Wettbewerbsvorteile auf dem Welt- und Binnenmarkt für Lebensmittel eingeräumt werden.
Obwohl der Gesetzentwurf im Wortlaut noch nicht bekannt ist, werden Begriffe wie „Umweltfreundliches landwirtschaftliches Erzeugnis“ oder „Produktion umweltfreundlicher Erzeugnisse“ wohl eine Rolle spielen. Das ist neu. Bislang kamen in der russischen Gesetzgebung diese Begrifflichkeiten nicht vor. Obwohl es Vorläufer und Versuche gab, ähnliche Begriffe einzuführen. So beispielsweise in Moskau. Von 2007 bis 2012 konnten Erzeuger auf den Lebensmittelverpackungen mit dem Vermerk „Ohne genetisch modifizierte Organismen“ werben. Diesem Wildwuchs von verschiedenen Labels will man nun mit der neuen gesetzlichen Regelung beikommen.
„Man muss den Unterschied verstehen, dass die Kennzeichnung „Umweltfreundliches Lebensmittel“nochkeine Garantie dafür ist, dass es sich auch um unbedenkliche oder ungefährliche Lebensmittel handelt. Das regelt ein anderer Gesetzesteil. Die Einhaltung der Standards für Sicherheit und Unbedenklichkeit sind für Nahrungsgüter und Lebensmittel im russischen Gesetz zwingend vorgeschrieben, die Umweltfreundlichkeit der Lebensmittel dagegen ist nur eine Art Bonus“, erklärt Balagula.
Bis zur Neuregelung kann jeder, der es will, mit dem Label „Umweltfreundliches Lebensmittel“ werben, weil die Bezeichnung nicht
geschützt ist. Der Verbraucher sieht sich noch als Kunde König oder fühlt sich dem hilflos ausgeliefert oder gar überfordert, oder er wird auch absichtlich getäuscht. Wegen der Verbreitung von irreführenden Angaben kann der Erzeuger jedoch nicht zur Verantwortung gezogen werden“, ist sich der stellvertretende Vorsitzende der Moskauer Gesellschaft für Verbraucherschutz, Anton Nedswezkij, sicher. Schlicht deswegen, weil dafür die gesetzliche Grundlage fehlt.
Untersuchungen, Kontrollen, Zertifizierung
Deshalb verspricht man sich vom Gesetz ein umfassendes Regelwerk - angefangen von der Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse über deren Verarbeitung bis hin zur Auszeichnung im Handel. Lebensmittel-Erzeuger sollen kontrolliert und die Kontrollsysteme selbst zertifiziert werden. Dafür ist vorgesehen, entsprechende Laboratorien und Zertifizierungsorganisationen auszuwählen, die in der Lage sind, entsprechende Untersuchungen und Kontrollen durchzuführen.
„Die Fachleute des Ministeriums stützen sich bei der Ausarbeitung des Gesetzes auf Erfahrungen, die in Europa und den USA gewonnen wurden, wo die gesamte Erzeugungskette für die ökologisch-nachhaltige Landwirtschaft und ihre Erzeugnisse durch ein spezielles Regelwerk kontrolliert wird. Das erstreckt sich von der Bewirtschaftung der Böden, über das Saatgut und die Erzeugung landwirtschaftlicher Kulturen sowie ihrer Verarbeitung bis hin zur Abpackung der Fertiglebensmittel. Als ökologische Lebensmittel gelten solche, die ein natürliches Verfallsdatum besitzen und die ohne Verwendung chemischer Zusätze, wie zum Beispiel Pestizide, Nitratdünger, Hormone und Antibiotika, hergestellt wurden. Und das Wichtigste ist, dass die gesamte Fertigungskette — von der Ackerfurche bis zum Ladentisch — kontrolliert wird“, erläutert Alexander Konowalow, Gründer der Interessengemeinschaft der Erzeuger und Lieferanten von Öko-Lebensmitteln.
Das A und O sei, so versichert Konowalow, dass biologische und nachhaltige Landwirtschaft mit den landwirtschaftlichen Flächen beginnt. Nur dann, wenn sie ohne Pestizide und Fungizide, ohne künstlichen
Dünger und ohne intensive Bewirtschaftung auskommen, seien sie für die ökologische Nutzung geeignet. Weil das aber teuer sei und obendrein weniger Ertrag bringe, müssten die Erzeugerfirmen, die solche Böden bewirtschaften, für ihre umweltfreundlichen landwirtschaftlichen Erzeugnisse auch entschädigt bzw. gefördert werden. Konowalow begrüßt daher, dass sie demnächst staatliche Unterstützungen in Form von Vergünstigungen für Versicherungen und Kredite sowie Zuschüsse für den Vertrieb in Inland und Export erhalten.
„Leider stehen wir bis heute im Vergleich mit Europa und den USA bei Ökolebensmitteln immer noch am Anfang“, resümiert der Cheflobbyist der Ökobranche. „Es gibt in Russland nur eine Handvoll Unternehmen und Organisationen, die auf eigene Faust versuchen, ihre Produkte zertifizieren zu lassen. Aber auf föderaler Ebene haben diese Zertifikate weder große Bedeutung noch Rechtskraft. Über drei Jahre habe ich mit Vorträgen versucht, die Öffentliche Kammer, die Staatsduma oder das Gesundheitsministerium zu überzeugen, dass ein entsprechendes Gesetzes überfällig sei. Denn auf dem russischen Markt gibt es viele unredliche Erzeuger, die den Verbrauchern blauen Dunst vormachen. Und die Leute wissen überhaupt nicht, was sie in Wirklichkeit kaufen.“
Zum Glück bewegt sich nun das Landwirtschaftsministerium. Die Hersteller, die schon heute rein ökologisch produzieren, und die Verbraucher können sich freuen.
Die ungekürzte Fassung des Beitrags erschien zuerst in der Zeitung Iswestija.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!