Homosexualität ist in Russland immer noch ein Tabuthema. Foto: TASS
Die Jalousie ist in Regenbogenfarben getaucht. Wenn sie nicht drinnen sondern draußen befestigt wäre, könnte Gulya Sultanova dafür strafrechtlich belangt werden. Denn seit Februar dieses Jahres ist es in St. Petersburg verboten eine Regenbogenfahne aufzuhängen. Überhaupt ist alles verboten was in Zusammenhang mit Schwulen und Lesben steht. Denn das „Gesetz gegen die Propaganda von Homosexualität“ sieht vor, dass man bestraft wird, wenn man öffentlich über Schwulen und Lesben spricht, vor allem dann wenn Minderjährige anwesend sind.
Gulya Sultanova. Foto: Pauline Tillmann |
Gulya Sultanova koordiniert das Petersburger Filmfestival „Bok o Bok“, zu Deutsch „Seite an Seite“. Es ist ein besonderes Filmfestival, denn es widmet sich in erster Linie dem Thema Homosexualität. In Russland ist das immer noch ein Tabuthema. Die orthodoxe Kirche bezeichnet Homosexualität als Sünde und schürt damit die Homophobie vieler Menschen weiter an. In anderen Ländern geht man zwar noch restriktiver damit um – in Iran, Sudan und dem Jemen droht die Todesstrafe – aber für ein Land wie Russland, das sich modern und fortschrittlich geben will, mutet das Gesetz einigermaßen befremdlich an.
Die deutsche Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat gerade den „Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner“ in den deutschen Bundestag eingebracht. Das besagt, dass die Homo-Ehe der Ehe von Mann und Frau gleichgestellt werden sollen. Inzwischen ist eine heftige Diskussion innerhalb der CDU entbrannt, die deutlich macht: Auch hier gibt es Hardliner. Eine davon ist Katherina Reiche, Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, die erklärt: „Unsere Zukunft liegt in der Hand der Familien, nicht in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften.“ So ein Satz könnte glatt von Kyrill I., dem Oberpartriachen in Russland, kommen. Auch er wird nicht müde zu betonen, dass der Urquell alles Seins die Familie sei, und zwar Mann und Frau plus Kinder.
Jugendliche dürfen nicht mehr aufgeklärt werden
„Wir haben politisch gesehen einen sehr negativen Trend“, sagt Gulya
Das schwul-lesbische Kinofestival „Bok o Bok“ („Seite an Seite“) findet inzwischen in unterschiedlichen russischen Städten statt, unter anderem in Moskau. 2008 wurde es in St. Petersburg gegründet. Vom 24. Oktober bis zum 3. November werden dort rund 40 Kurz-, Dokumentar- und Experimentalfilme gezeigt. Das Thema in diesem Jahr lautet „Die globale schwul-lesbische Bewegung und wie sie sich im Land wiederspiegelt“. Filmschaffende, unter anderem aus China und Deutschland, werden über ihre Kunst sprechen. Bislang gab es aufgrund des Gesetzes laut Organisatoren keine Absagen. Insgesamt werden mehr als 2.500 Besucher erwartet, ein Viertel davon ist heterosexuell. Mehr zum Festival unter: www.bok-o-bok.ru.
Sultanova, „und zwar die Annährung der Kirche zum Staat“. Demnach hätten die Petersburger Politiker dieses Gesetz nur verabschiedet, um sich mit der Kirche gut zu stellen. Die 37-Jährige erklärt weiter: „Früher war es dem russischen Staat egal was wir machen, aber jetzt da die Kirche bestimmt wie die Gesellschaft leben darf und wie nicht, tanzen die Politiker nach ihrer Pfeife.“ Für das schwul-lesbisches Filmfestival „Bok o Bok“ bedeutet das Gesetz, es ist schwieriger geworden verlässliche Partner zu finden. Kinobetreiber sind verunsichert und sagen Veranstaltungen ab, weil sie Angst haben dafür strafrechtlich belangt zu werden – und das obwohl die Plakate und Flyer deutlich machen, dass die Filme nur für Erwachsene gedacht sind. „Das ist für uns besonders bitter“, meint Gulya Sultanova, „weil die Aufklärungsarbeit von Jugendlichen wichtiger Bestandteil unserer Arbeit ist“. Aber das „Gesetz gegen die Propaganda von Homosexualität“ lässt ihnen keine andere Wahl.
Seitdem es in Kraft getreten ist, wurden in St. Petersburg etwa 35 Menschen verhaftet. Dafür reicht es bereits ein Plakat in die Luft zu heben, auf dem steht: „Schwul sein ist normal“. Wenn man Polina Savchenko darauf anspricht, bekommt sie einen steinernen Gesichtsausdruck – das Gesetz sei ein Vorwand jegliche „Aktionen“ abzubrechen. Mit „Aktionen“ meint die junge Frau Demonstrationen für Toleranz und gegen Diskriminierung von Homosexuellen. Polina Savchenko engagiert sich bei der Nichtregierungsorganisation „Coming Out“, die die wichtigste Anlaufstelle für Schwulen und Lesben in St. Petersburg darstellt.
Drakonische Geldstrafen sollen einschüchtern
Hier bekommen sie unter anderem Rechtsberatung und psychologische Hilfe. Das ist in einem Land, in dem Homosexualität erst vor 20 Jahren legalisiert worden ist, besonders wichtig. Denn viele Schwule und Lesben sind verunsichert was ihre Rechte angeht. Nicht selten werden sie verprügelt, wenn Menschen aus ihrem Umfeld über ihre sexuelle Orientierung Bescheid wissen. „Mit dem „Anti-Homosexuellen-Gesetz“ will man uns einschüchtern“, meint Savchenko. Ähnlich formuliert es Festivalleiterin Gulya Sultanova: „Sie wollen uns erschrecken – aber wir lassen uns nicht erschrecken.“ Und das obwohl drakonische Geldstrafen drohen. So besagt das Gesetz, dass Organisationen, die Homosexualität offen darstellen, mit Geldstrafen von bis zu 12.800 Euro rechnen müssen. Polina Savchenko erwidert: „Dagegen können wir uns nicht schützen. Wie soll das funktionieren? Unsere Arbeit besteht darin offen mit Homosexualität umzugehen – und mir scheint, diese Arbeit ist jetzt noch wichtiger als vor dem Gesetz.“
Interessant ist, dass das Gesetz in der Mehrheit der russischen Bevölkerung auf Zustimmung stößt. So gaben bei einer Umfrage des renommierten Lewada-Zentrums im Jahr 2010 insgesamt drei Viertel der Befragten an, Homosexualität für moralisch verwerflich oder für eine psychische Krankheit zu halten. Mehr als ein Drittel stimmte dem Vorschlag zu Homosexuelle ohne deren Einwilligung einer Heilbehandlung zu unterziehen oder gleich ganz von der Gesellschaft zu isolieren. Ähnlich äußerten sich hohe Politiker, unter anderem der russische Außenminister. Sergej Lawrow sagte wörtlich, Russland müsse unabhängig von europäischen Werten das Recht haben die Gesellschaft vor Homosexuellen-Propaganda zu schützen.
Allerdings wissen die Richter mit dem Begriff der „Propaganda“ nicht viel anzufangen. Denn darunter fällt alles – und nichts. „Deshalb tun sich die Richter sehr schwer mit dem Gesetz“, meint Gulya Sultanova. Und tatsächlich wurden von den 35 Verhafteten bislang nur ein Einziger zu einer Geldstrafe verurteilt. Ob das Gesetz auf ganz Russland ausgeweitet werden soll, ist bislang noch unklar. Politiker aus Novosibirsk haben einen entsprechenden Gesetzesentwurf in die Duma eingebracht. Dort wird derzeit geprüft wie man damit verfahren will. Seit diesem Jahr gilt das Gesetz in insgesamt acht Städten – neben St. Petersburg zählen Archangelsk, Rjasan, Kostroma, Novosibirsk, Samara, Magadan und Krasnodar dazu. Putin dürfte klar sein, dass eine weitere Ausweitung des Gesetzten würde nicht gerade zum Image-Gewinn Russlands beitragen.
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