Die Lieblingsimmobilie der Russen: „Datschniki“ in freier Wildbahn. Foto: TASS
Schon zu Sowjetzeiten war die Datscha, das Häuschen im Grünen, der Traum vieler Russen. Sie verbrachten dort auch ihre Ferien – wie übrigens jedes Wochenende –, denn einen Auslandsaufenthalt konnte sich kaum einer leisten.
Der Traum hatte enge Grenzen und klare Konturen. „Schest sotok“, also 600 Quadratmeter, maß das Standardgrundstück, oft waren sogar Anzahl und Standort der Apfelbäume und Obststräucher reguliert. Denn die Datscha hatte nicht dem bourgeoisen Vergnügen ihrer Besitzer zu dienen, sondern der sozialistischen Planerfüllung bei der Produktion von Obst und Gemüse. Trotz siegreicher Ernteschlachten blieb der Sieg des Kommunismus aus, und die Sowjetunion verabschiedete sich ins Reich der Geschichte. Die Vorliebe der Menschen für ihre Datscha blieb. 25 Prozent der Stadtbewohner besitzen ein Haus im Grünen, in Moskau sogar jeder dritte Haushalt.
Von Anfang Mai bis Ende September sind die Nahverkehrszüge am Wochenende so eng bestückt wie die Gurkengläser der „Datschniki“, auf den Ausfallstraßen ist am Freitagabend das Gedränge noch fürchterlicher als zu Stoßzeiten unter der Woche. Mit Hupen und Fluchen geht es hinaus in die ländliche Idylle.
Dann ist erst einmal Arbeit auf dem kleinen Stückchen Erde vor der Stadt angesagt. Gerade für Rentner sind die Sommermonate eine gute Gelegenheit, ihr Budget mit der eigenen Ernte zu entlasten und sich durch den Verkauf von Gurken, Zwiebeln und Blumen sogar noch ein kleines Zubrot zu verdienen. Andere erholen sich auf ihrer Datscha ganz einfach bei Schaschlik und Banja (der russischen Sauna) vom Großstadtstress.
Heute sind die strengen Auflagen längst hinfällig geworden: Größe, Form und Ausgestaltung des Grundstücks hängen wesentlich vom Geldbeutel ab. Im Durchschnitt zahlt man im Gebiet Moskau für 1000 Quadratmeter umgerechnet 55 000 Euro. Freilich sagt das wenig über den tatsächlichen Preis einer Datscha aus. Je näher der eigene Rückzugsort am pulsierenden Stadtkern, desto teurer das Vergnügen; liegt er dann noch an einem romantischen See oder Fluss, ist er unbezahlbar.
Und so weichen viele ehemalige Datschas nahe Moskau modernen Prachtbauten mit hohem Zaun und Wachmann vor dem Tor. Es sind die Vorstadtvillen der Neuen Russen. Der Verkauf von Grundstücken und sogenannten Cottages um Moskau herum ist für viele Immobilienmakler zu einer Goldgrube geworden. Aber auch die ganz klassische Datscha steht weiterhin hoch im Kurs: Immer noch verbringt ein Viertel aller Moskauer seine Ferien am liebsten dort auf dem Land.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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