Schönheit und Revolution: Anastasija Udalzowa zeigt, dass beides möglich ist. Foto: Kirill Kolobjanin.
Schönheit und Revolution: Anastasija Udalzowa zeigt, dass beides möglich ist. Foto: Kirill Kolobjanin. |
Bis Anastasija Udalzowa einwilligte, an einem Modeshooting des russischen Rolling Stone teilzunehmen, musste sie erst einmal drei Tage tief in sich gehen. „Wir sind ein Teil der Revolution, und ich werde an einem Fotoshooting teilnehmen.", wie würden die Bilder wirken auf Russen, die Anastasija als Sprecherin der radikalen „Linken Front" kennen und Udalzow als deren Organisator, der praktisch auf jeder Kundgebung festgenommen wird, der schon mal den Hungerstreik ausruft – und dem nun zehn Jahre Haft drohen wegen „Anstiftung zu Massenunruhen"?
Am 6. Mai war es in Moskau zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Die zentrale Forderung der von Udalzow angeführten „Linken Front" ist die Einführung des Sozialismus – und seine Frau soll sich in einem schicken Restaurant in teuren Klamotten fotografieren lassen?
Ausschlaggebend für Anastasijas Ja zum Fotoshooting ist am Ende Sergej, Liebhaber russischen Punkrocks und selbst mehrfach Protagonist
Anastasija Udalzowa wurde 1978 im ukrainischen Tscherkassy gebore. Mit 20 Jahren zog sie nach Moskau, um Jura zu studieren, und wurde Mitglied der später verbotenen Nationalbolschewistischen Partei.
Heute ist sie Pressesprecherinder von ihrem Mann Sergej mitbegründeten "Linken Front". Ziel der Bürgerrechtsbewegung ist ein basisdemokratischer Sozialismus in Abgrenzung zur Sowjetunion. Erklärter Gegner ist Präsident Putin.
von Reportagen im Rolling Stone. Und doch fühlt Anastasija sich in dem Nobelrestaurant „Casta Diva" auf dem Twerskoj-Boulevard im Herzen Moskaus nicht heimisch. „Für Restaurantbesuche fehlt mir schlicht die Zeit", erzählt Udalzowa. „Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal ausgegangen bin. Sergej und ich leben bescheiden – ich koche in der Regel für uns beide und die Kinder zu Hause." Während der Visagist an ihren Haaren zupft, studiert Udalzowa mit gerunzelter Stirn die Nachrichten auf ihrem iPad. „Oh, mein Mann wurde wieder verhaftet", teilt sie gelassen mit. Als Udalzowa das grelle, kurze Paillettenkleid mit offenem Rückenteil erblickt, schüttelt sie den Kopf: „Wollt ihr, dass Sergej mich umbringt?" Später ist sie der Meinung, dass das Dekolleté eines anderen Kleides eindeutig zu gewagt ist, woraufhin der Ausschnitt mithilfe einiger Sicherheitsnadeln etwas gezügelt wird.
Dialoge über Politik und Mode
Die 34-Jährige stammt aus einer einfachen Familie in der ukrainischen Stadt Tscherkassy. Mit 18 trat sie zunächst in die Kommunistische Partei der Ukraine ein, nach ihrer Übersiedlung nach Moskau 1998 in die Nationalbolschewistische Partei Russlands. Von der Partei trennte sie sich erst nach der Bekanntschaft mit ihrem zukünftigen Mann Sergej im Jahr 2000.
Udalzowa schloss ihr Jurastudium ab, wurde Pressesprecherin der „Avantgarde der Roten Jugend", dann der Nachfolgerorganisation „Linke
Front". Anastasijas Freunde berichten, sie sei eine außergewöhnliche und sehr engagierte Frau. Gleichzeitig habe sie aber nichts gegen schöne Kleider oder Accessoires und plaudere ab und zu gerne über aktuelle Modetrends. Das sieht man auch ihrer Facebook-Seite an: Fotos von den Protestdemos wechseln mit Shootings von Bademode am Strand. Oder das Bild, auf dem sie zu sehen ist, wie sie zum Gefangenentransporter abgeführt wird: links und rechts von einem Polizisten flankiert – in Stöckelschuhen mit schwindelerregenden Absätzen.
Die sozialen Netzwerke gehen deshalb nicht eben zimperlich mit der ansonsten knallharten Dekabristin um. Auf Twitter kann man immer noch den Schriftwechsel zwischen Udalzowa und dem russischen „It-Girl" Xenija Sobtschak nachlesen, in dem sich die beiden ausführlich über Frisuren austauschen. „Ich habe mich noch nie geweigert, mit jemanden den Dialog zu suchen, nur weil er andere politische Ansichten vertritt", erklärt Anastasija dazu.
Anastasija Udalzowa mit ihrem Mann Sergej. Foto: AP.
Soldatin, nicht Ballerina
„In meiner Kindheit wollte ich nie Ballerina werden oder irgend so etwas Schönes oder Strahlendes machen, wovon die meisten Mädchen in meinem Alter träumten", erzählt sie. „Meine Träume waren einfacher und profaner. Zum Beispiel wollte ich zur Armee." Hört ihr Mann auf ihre Ratschläge? „Er hört schon auf mich, aber er kann auch ganz schön stur sein: Wenn er einmal eine Entscheidung getroffen hat, bleibt es dabei." Dass Udalzow etwa nach mehreren Verhaftungen in den Hungerstreik trat, konnte seine Frau ihm nicht ausreden.
Derzeit sieht es schlecht aus für ihren Mann Sergej: Im Oktober wurde gegen ihn Anklage erhoben: wegen „Vorbereitungen zur Organisation von Massenunruhen". 14 Personen sitzen deshalb bereits in Untersuchungshaft. Am 6. Mai war es zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Anastasija macht sich zwar Sorgen um ihre beiden Kinder, möchte aber weiterkämpfen.
„Ich bin fest davon überzeugt, dass wir kein Recht haben, nur auf uns selbst bezogen zu leben. Das löst nicht die Probleme des Landes", sagt sie. „Wen nehmt ihr denn da auf?", interessiert sich ein in Dior gekleidetes Model, das Gast einer Veranstaltung im Nebensaal ist und sich gerade die Beine vertritt. „Die Revolutionärin? Cool! Auf der Straße sieht sie immer ganz anders aus ..."
Dieser Beitrag erschien zuerst in der russischen Ausgabe des Magazins Rolling Stone.
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