Das ethnografische und kunsthandwerkliche Einkaufszentrum "Ribnaja Derewnja" (Fischdorf) in Kaliningrad. Foto: Lori / Legion Media
Kaliningrad bildet die Hauptstadt des gleichnamigen Gebiets und stellt den westlichsten Teil Russlands dar. Die russische Exklave liegt im Baltikum und ist durch Litauen und Lettland vom restlichen Russland abgetrennt. Viele Kaliningrader sind nicht nur stolz auf ihre „deutsche" Geschichte, da Kaliningrad einst zu Preußen gehörte, sondern auch auf den „Inselstatus", den sie genießen. Die Nähe Kaliningrads zu Westeuropa ist auch ein Grund dafür, warum Kaliningrader mit ihren Nachbarländern oft vertrauter sind als mit Russland.
„Es ist einfacher für uns nach Polen, Litauen oder in andere EU-Länder zu reisen als nach Moskau oder St. Petersburg", erklärt Natalja Bocharowa, eine 22-jährige Universitätsabsolventin. „Viele Familien fahren beispielsweise schon seit längerem nach Polen, um dort Lebensmittel oder Kleidung zu kaufen."
Vor einigen Jahrzehnten war Kaliningrad noch die deutsche Stadt Königsberg, die seit der Begründung des Königreiches im 13. Jahrhundert durch Ritter des Deutschen Ordens als preußisches Machtzentrum diente. Heutzutage findet sich dieser historische Aspekt im Alltag wieder, wenn beispielsweise junge Kaliningrader ihre Stadt liebevoll als „König" bezeichnen.
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das damalige Ostpreußen durch das Potsdamer Abkommen zwischen Polen und der Sowjetunion aufgeteilt. Die Stadt Königsberg fiel dadurch in die Hände der Sowjets, was dazu führte, dass die deutschen und litauischen Hauptstädter, die noch nicht vor den nahenden sowjetischen Truppen geflohen waren, deportiert wurden, um an ihrer Stelle russische Siedler einzubürgern.
Königsberg bekam zu Ehren des kommunistischen Parteifunktionärs Michail Kalinin den neuen Namen Kaliningrad verliehen und wurde kurz darauf zu einem Hauptstützpunkt der sowjetischen Marine. Im Zuge dieser Veränderungen wurde das neue Kaliningrad für Ausländer gesperrt, was bis zum Zerfall der UdSSR so bleiben sollte.
Kaliningrads geografische Nähe zu Westeuropa ist nicht nur in kultureller und historischer Hinsicht von Bedeutung, sondern auch in wirtschaftlicher. Denn viele ausländische Firmen halten Kaliningrad für einen günstigen Ort, um in den russischen Markt einzusteigen.
„Das Gebiet Kaliningrad ist von EU-Staaten umgeben, was es ausländischen Investoren erleichtert, Zugang zu Russland zu bekommen", meint Oleg Skwortsow, Geschäftsführer der Kaliningrader Vereinigung für ausländische Investoren.
Obwohl in Kaliningrad die Arbeitslosenquote höher ist als in anderen Regionen Russlands, ist Skwortsow der Meinung, dass die Lage Kaliningrads und der Status als steuergünstige Sonderwirtschaftszone das wirtschaftliche Wachstum in diesem Gebiet ankurbeln könnten. Zudem ist Kaliningrad einer der Austragungsorte der Fußball-WM 2018, was auch zu einer Verbesserung der Infrastruktur führen sollte.
Historisch gesehen, war Kaliningrad immer für Marzipan, Sprotten - marinierte, geräucherte kleine Fische - und Cognac der Marke „Old Königsberg" bekannt. Doch das wirkliche Wahrzeichen war und ist Bernstein, da sich geschätzte 90 Prozent der weltweit abbaubaren Bernsteinvorkommen in Kaliningrad befinden. Das Bernsteinfischen ist hier nicht nur ein beliebtes Handwerk und Hobby, sondern wird auch in großem Rahmen betrieben, wie beispielsweise in der Bernsteinmiene in Jantar, einer Stadt nahe der Küste. Besucher können hier in Geschäften oder bei Straßenhändlern für nur wenige hundert Rubel einige Souvenirs aus dem fossilen Baumharz erstehen.
Zusätzlich zum Handel hofft Kaliningrad darauf, dass auch der Tourismus zu einer wichtigen Einnahmequelle wird. Das gemäßigte Klima macht dem Gebiet jedoch einen Strich durch die Rechnung, wenn es darum geht, als Badeort am Baltischen Meer berühmt zu werden. Dennoch lassen sich die Kaliningrader nicht entmutigen, denn viele sehen in dem Gebiet das Potenzial, zu einer Oase für Gesundheitstouristen aufzusteigen – ganz nach dem Vorbild von Baden-Baden. Auch das geplante Casino würde dabei gut ins Bild passen.
„Unser Klima wirkt nicht gerade anziehend, doch wir könnten Touristen therapeutischen Schlamm und auch Thermalwasser bieten", erklärt Wjatcheslaw Genne, ein lokaler Architekt und ehemaliger Verwaltungschef des Küstenbezirks Swetlogorsk.
Kaliningrad wäre in der Lage, seine Besucherzahl von derzeit etwa 400 000 auf zwei Millionen pro Jahr zu erhöhen, doch die Qualität der Infrastruktur würde viele Touristen enttäuschen, so Sergej Karnauchow, ehemaliger Vizegouverneur von Kaliningrad.
Stadtrundgang in nur zwei Stunden
Im Stadtzentrum Kaliningrads sind bis heute noch vereinzelt Bauten aus der Zeit vor dem Einmarsch der Sowjettruppen 1945 erhalten. Als Ausgangspunkt für einen Stadtrundgang bietet sich daher das Königstor an, das eines der sieben erhalten gebliebenen, großen Tore ehemaliger Verteidigungsanlagen ist. Oben, auf dem Tor, thronen drei Statuen, die an die drei „Gründerväter" der Stadt erinnern: Ottokar II. von Böhmen, der die Stadt 1255 gründete, Friedrich I., der erste König von Preußen, und Herzog Albrecht von Preußen.
Von dort aus kann man sich auf dem Weg zur Kantinsel machen, die sich im Fluss Pregel, der durch das Stadtzentrum fließt, befindet. Am westlichen Ende der Insel entdeckt man den Königsberger Dom, der im 14. Jahrhundert errichtet wurde und als eine der wichtigen Sehenswürdigkeiten der Stadt gilt. Im Dom geben oft Gastmusiker Orgelkonzerte, weshalb man unbedingt einen Blick auf die Homepage des Doms werfen sollte, um zu erfahren, was gerade gespielt wird (sobor-kaliningrad.ru). Spaziert man an der Dommauer entlang, stößt man auf das Grab von Immanuel Kant, dem Begründer der modernen Philosophie. Kant wurde hier 1804 begraben, nachdem er sein ganzes Leben in Königsberg verbracht hatte. Kant gilt somit bis heute als der berühmteste Sohn der Stadt.
Nachdem man dem Philosophen die letzte Ehre erwiesen hat, kann man sich über den Fluss auf den Weg zum ethnografischen und kunsthandwerklichen Einkaufszentrum "Ribnaja Derewnja" (Fischdorf) machen. Dieses befindet sich südlich der Kantinsel und ist eine der modernen Errungenschaften der Stadt. Wenn danach noch Zeit bleibt, kann man sich dort ein Flusstaxi nehmen und zum Hafen fahren, um die Stadt vom Wasser aus zu betrachten.
Erkundungstour für Kurzurlauber
Touristen, die etwas länger in Kaliningrad bleiben, sollten keinesfalls die „Perle Kaliningrads" verpassen – die Kurische Nehrung. Der zum UNESCO Weltkulturerbe zählende Landstreifen befindet sich gerade einmal eine Auto- oder zwei Busstunden von der Stadt entfernt und erstreckt sich beinahe 100 km von Selenogradsk bis zur litauischen Stadt Klaipeda. Entlang des Landstreifens befinden sich viele Sehenswürdigkeiten. Dazu gehört der „Wald der tanzenden Bäume" nahe der Stadt Ribatschij, im dem es eigenartig verkrümmte Bäume zu bestaunen gibt, die Wissenschaftlern bis heute ein Rätsel aufgeben. Die Vogelschutzwarte Schwanensee ist durch einen schmalen Landstreifen vom Kurischen Haff abgetrennt.
Die Hauptattraktion der Kurischen Nehrung sind jedoch die Sanddünen. Die höchste befindet sich nahe der Stadt Morskoje, unweit vom Schwanensee, und ist unter dem Namen Efa-Düne bekannt. Von Einheimischen wird sie oft auch „Berg aus Sand" genannt. Die Müller-Düne bietet Touristen eine Aussichtsplattform, die über Holzstufen zu erreichen ist und einen einmaligen Ausblick auf die Lagune sowie das Baltische Meer bietet.
Südlich der Kurischen Nehrung können Touristen mehr darüber erfahren, wie Bernstein abgebaut wird. Nur eine Autostunde von der Hauptstadt entfernt befindet sich die Minenstadt Jantar. Besucher der Mine können sich selbst als Bernsteingräber versuchen. Dennoch sollte man sich nicht durch einen Fund dazu verleiten lassen, seinen Job zu kündigen. Denn es gehen Gerüchte um, dass Minenarbeiter Steine extra für Touristen vergraben. Für jene, die sich auch davon nicht abhalten lassen, empfiehlt es sich, im Sommer nach Jantar zu kommen. Dann findet hier die jährliche Weltmeisterschaft im Bernsteinfischen statt.
Für Geschichtsinteressierte bietet die Stadt eine Vielzahl von Festungen. So beherbergt beispielsweise die Festung Nr. 5 eine Waffensammlung und eine Gedenkstätte für die Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg bei der Erstürmung der Stadt durch die Sowjetarmee ums Leben gekommen sind. Doch auch ihre Gegner hatten Verluste zu beklagen, da alleine beim Sturm auf dieses Verteidigungsfort etwa 5 000 sowjetische Soldaten umkamen. Des Weiteren sind noch elf Verteidigungsfestungen über das ganze Gebiet verstreut bis hin nach Insterburg. Eine Festungsruine davon befindet sich beispielsweise nahe der Stadt Tschernjachowsk etwa 100 km östlich der Hauptstadt.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei The Moscow Times.
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