Die Anhänger des Slawentums wie Dostojewski, Gogol und Solschenizyn standen für das Gedeihen des Slawentums ein und wollten einen eigenen Weg für Russland. Foto: AFP / East News
Sapadniki oder Slawophile, Westler oder Slawophile? Diese kleinen Worte umreißen aber ein gewaltiges Problem, das verstärkt im XIX. Jahrhundert in Russland zu großen Auseinandersetzungen führte. Die Slawophilen proklamierten die russische Idee, die den Vielvölkerstaat irgendwie zusammen halten sollte, die Westler standen für Anlehnung an den Westen, Liberalisierung, Industrialisierung und Abschaffung der Autokratie.
Angefangen hat das Dilemma noch viel früher. Mit Iwan dem Schrecklichen ging es los, als er ausländische Handwerker ins Land holte und erreichte seinen Höhepunkt unter Peter dem Großen und Katharina, der ebenfalls großen. Den Einheimischen war die Hinwendung der Herrscher zu den Ausländern ein Dorn im Auge. Durch Intrigen und Verbrechen wollten sie wieder Boden gutmachen.
Im XIX. Jahrhundert wurde die Auseinandersetzung zwischen Westlern und den Anhängern des Slawentums vorrangig auf intellektueller Ebene geführt. Sie dauert bis heute an und spaltet die Gesellschaft. Dostojewski, Gogol und Tjuttschew, später auch Solschenizyn standen für das Gedeihen des Slawentums ein, wollten einen eigenen Weg für Russland. So als ob das Land im luftleeren Raum existiere. Tschaadajew, Belinski, Turgenjew und Herzen erträumten eine Öffnung nach Westen, eine Anlehnung an westliche Werte.
Das Gerangel dauert bis heute, es wird mehr oder weniger heftig geführt. Die Abgrenzungsideen finde ich natürlich heute besonders komisch, denn sie werden von Leuten ausgebracht, die westwärts gerichtet leben, den Eigenen aber Slawentum auferlegen wollen, Wasser predigen und Wein saufen, die alte Leier.
Sie haben sich aber zusammen mit ein paar verbohrten Kirchenfürsten in die schwarze Ecke manövriert. Liberal degradieren sie zum Schimpfwort, viele moderne Erscheinungen werden als Machwerk des Westens oder des Satans gebrandmarkt. Zwischen beiden steht für sie ein Gleichheitszeichen.
So erklärte mir ein besonderer Hardliner zum Beispiel, dass es keine Volkszählung in Russland geben müsse. Es reiche vollkommen aus, die Familien zu zählen, genauer gesagt die Oberhäupter, also die Männer, die den Familien vorstehen. Aber die kürzlich veröffentlichte Liste der 100 einflussreichsten Frauen Russlands, die zwar eigentlich ein Witz ist, wenn man sie genauer betrachtet, dürfte ihm schwer im Magen liegen. Ihm und einigen anderen.
Das Tohuwabohu in den Köpfen wird heutzutage von verschiedenen Losungen und Strömungen befeuert, am gefährlichsten sind die Chauvinisten und Nationalisten, die „Russland den Russen!" fordern. Sie sind vielleicht nicht die Hellsten, aber sie haben Muckis, glatt rasierte Schädel und Unterstützung von oben, hintenrum zwar, nicht offiziell, aber immerhin. Offensichtlich ist es Mode, auf dem rechten Auge blind zu sein. Da hätten wir ja dann paradoxerweise auch eine Parallele zum Westen. Wie das Leben so spielt.
Ist sowieso alles absurd. Die über 70 Jahre gefeierte und verehrte Revolution wurde mit westlichen Geldern durchgezogen, um Russland ins Chaos zu stürzen und als mächtigen Gegner auszuschalten. Danach wurden viele Jahre lang Wahnsinnsurteile gefällt über so genannte Spione. Unliebsamen Genossen und Konkurrenten auf begehrte Posten wurde die Haut in Streifen geschnitten, nur damit sie zugaben, für ausländische Mächte spioniert zu haben. Was ihr Ende bedeutete.
Dann Nichtangriffspakt mit dem mächtigsten Feind und Überhören aller Warnungen, was den Kriegsbeginn betrifft. Unzählige vermeidbare Opfer waren die Folge und ein viel zu langer Krieg. Nach blindem Vertrauen dann wieder totales Misstrauen. Deportation ganzer Völker innerhalb des Landes. Verschleppte Zwangsarbeiter und eigene Gefangene wanderten nach der Befreiung aus deutschen Lagern in sowjetische, zur Säuberung sozusagen.
Mit den so genannten Bruderländern hatten die Russen auch nichts am Hut. Eifersüchtig bewachten sie ihre jungen Leute, die dort ihren Dienst taten und die Auslandsstudenten im Sowjetreich. Keine Annäherung, Eheschließungen waren mit großen Anstrengungen verbunden oder wurden unmöglich gemacht. Vertrauen ist ein Wort, welches es nicht gab und auch jetzt noch mit der Lupe gesucht werden muss.
Jetzt sind wir wieder an einem Punkt angelangt, wo die paradoxe Auseinandersetzung zwischen Westlern und Slawophilen zum Vehikel für politische Grabenkämpfe herhalten muss. Alle Nichteinverstandenen mit der Politik der Staatsführung werden zu Handlangern des Westens, vorrangig der USA, erklärt. Alter Wein in neuen Schläuchen. Und keine Lösung der Jahrhundertfrage in Sicht.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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