Rockmusik und die Perestroika

Die Frontfrau der Band "Bravo" Schanna Agusarowa. Foto: RIA Novosti

Die Frontfrau der Band "Bravo" Schanna Agusarowa. Foto: RIA Novosti

Rockmusik war in der Sowjetunion lange verboten, obwohl sie nahezu ausschließlich unpolitisch war. Erst mit den Perestroika-Reformen erfuhr die Musikrichtung die Aufmerksamkeit, die sie verdiente.

Wenn man auf die sowjetische Rockmusik zu Zeiten der Gorbatschowschen Perestroika zurückblickt, so ist ein verschwommenes Bild verschiedenster Lieder zu erkennen, die nicht wirklich politisch motiviert waren oder auf Protest abzielten.

Die Zeit der Perestroika, in der die Sowjetunion gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich umstrukturiert wurde, stellte für Untergrund-Rockmusiker eine ernsthafte Herausforderung dar, die nicht jeder von ihnen überlebte.

Die sowjetische Rockmusik erlebte also eine nicht immer einfache Zeit während der Perestroika. Für manche Historiker stellt sie neben der Lebensmittelknappheit, den geschlossenen Grenzen, den Menschenrechtsverletzungen, der Zensur und der allgemein geringen Freiheit einen der Hauptfaktoren für den Zerfall der Sowjetunion dar.

Doch bevor Michail Gorbatschow sein Amt als Staatsoberhaupt der Sowjetunion antrat, hatte die sowjetische Rockmusik schwierige Zeiten zu überstehen, zumal sie 1984 bereits negativ in das Blickfeld der Machthaber geraten war. In einer Rede von Generalsekretär Konstantin Tschernenko wurden manche Bands sogar beschuldigt, die sowjetische Gesellschaft in ideologischer sowie moralischer Hinsicht zu sabotieren. Zudem wurden von den ranghöchsten Politikern der Kommunistischen Partei (KP) sogenannte schwarze Listen von Bands erstellt, welche man an alle Kultur- und Jugendorganisationen im Land versandte. Landete ein Musiker auf einer solchen Liste, musste er mit allerlei Repressalien rechnen. Manch einem wurden die Proberäume genommen, andere in die Armee eingezogen.

Für das sowjetische System war es in den 1970er und 1980er Jahren typisch, Haftstrafen nicht aufgrund von Verstößen gegen die sowjetische Ideologie auszusprechen, da es in der Regel ein leichtes war, Verstöße gegen andere Gesetze nachzuweisen. Daher standen die Strafen häufig in Verbindung mit illegalen Geschäftstätigkeiten oder anderen Tatbeständen.

Doch bald wandte sich für die sowjetische Rockmusik alles zum Guten. Kurze Zeit nach Gorbatschows Amtsantritt wurde sie in der Sowjetunion legalisiert und statt in Hinterhöfen oder Wohnzimmern spielte man ihre Lieder schon bald im Radio und Fernsehen. Dies führte dazu, dass sowjetische Zeitungen und Zeitschriften mit positiven Artikeln über Untergrund-Rock überflutet wurden. Rockfans kamen ebenfalls auf ihre Kosten, da sie nun offiziell Konzertkarten kaufen und somit ihre Lieblingsbands zum ersten Mal live auf einer richtigen Bühne sehen konnten.

 

Die Medien entdecken den Rock

Einer der ersten Winde der Perestroika wehte dabei auf dem Neujahrsfestival Jolka („Weihnachtsbaum"), das in einem Moskauer Kulturklub unter dem Kurtschatow-Institut für Kernphysik veranstaltet wurde. Sogar der Klub Moskowskaja rok-laboratorija („Moskauer Rock-Labor"), geleitet und beaufsichtigt durch das Politbüro der Moskauer KP sowie die Jugendorganisation Komsomol, veranstaltete ein besonders gelungenes Festival, auf dem mehr als zehn Live-Bands auftraten, die nur ein Jahr zuvor noch auf der schwarzen Liste gestanden hatten. Die Rockgruppen durften darüber hinaus während der Auftritte ihre Lieder ohne Zensur spielen.

Die Nachricht über das Festival erreichte innerhalb kürzester Zeit alle Ecken Moskaus, und das ohne Werbung in den sowjetischen Medien. Die 500 Sitzplätze des Kulturklubs, welcher mit seinen roten Samtstühlen und seiner Bühne eher an ein Theater als einen Rockklub erinnerte, waren schnell ausverkauft. Einige Fans versuchten sogar, über die Dachfenster, die Kelleraufgänge oder über Feuerleitern ins Gebäude zu kommen.

Das überwältigende Interesse vonseiten der Medien und Werbeträger galt dabei den bekanntesten Untergrundbands, wie den aus Moskau stammenden Bands „Maschina Wremeni", „Brigada", "Bravo", den Leningrader Gruppen „Kino", „Aquarium" und „Alisa" sowie der aus Swerdlowsk stammenden Band „Nautilus Pompilius". Diese und andere Rockgruppen wurden sehr bald zu gern gesehenen Gästen in Late-Night-Shows wie „Wsgljad", „Musikalnzj ring", „Programma A", die alle ebenfalls in der Zeit der Perestroika entstanden.

Besonders die Fernsehsendung „Musikalnyj ring" („Musikring") genoss in der Sowjetunion große Beliebheit. Der Grund dafür war ihr Aufbau: Einige Bands, meistens solche aus der Untergrundmusikszene, wurden einander in einem Duell gegenübergestellt. Es wurden im Studio vor einem bunt gemischten Publikum aus kommunistischen Parteifunktionären, Universitätsprofessoren, Schriftstellern, Studenten, Hausfrauen und Fans der Musikgruppen kurze Auftritte gegeben und kurzweilige Spiele gespielt.

Auch Filme zur Rockmusik wurden gedreht – wie beispielsweise „Assa" (1987), der von Sergej Solowjow bei Mosfilm, dem bekanntesten sowjetischen Filmstudio, gedreht wurde und zu den Aushängeschildern des russischen Rock-Mainstream zählt. Sein Soundtrack besteht aus verschiedenen Songs von Rockbands aus der Untergrundszene, wobei manche der Musiker sogar kurze Auftritte im Film bekamen.

 

Nicht alle wollten den Kommerz

Doch während der Perestroika von der Untergrundszene in den Mainstream aufzusteigen war für die Rockbands keine leichte Aufgabe. Denn die Musiker, welche ein Außenseiterleben gewohnt waren und einen entsprechenden Lebensstil führten, bekamen plötzlich ihre große Chance – etwas, von dem sie einige Jahre zuvor niemals geträumt hätten. Viele Musiker besaßen einfach nicht die Disziplin oder hatten nicht das Verlangen sich mit dem sowjetischen Rock-Mainstream sowie mit sozialen Kreisen, die sie nicht mochten, auseinanderzusetzen. Darüber hinaus verfielen einige Rockmusiker dem Alkoholismus, was die Integration in die sowjetische Gesellschaft weiter erschwerte oder komplett verhinderte.

So beispielsweise der Rockmusiker Michail „Mike" Naumenko, Sänger der populären Gruppe „Zoopark". Er wurde niemals zu einem wirklichen Rockstar der Perestroika, da sich seine Band nicht an die neue Rock-Realität angepasst hatte. Selbst als die Band noch von Zeit zu Zeit ein Konzert gab und Aufnahmen veröffentlichte, schaffte sie es nicht, die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen. Anstatt den Schritt aus der Untergrundexistenz zu wagen, wie es von den Anhängern erwartet wurde, interessierte sich Naumenko nicht wirklich für einen Beitritt in die Perestroika-Bewegung, die so populär unter den Musikern seiner Zeit war. Er wirkte bedrückt und sein Alkoholismus führte 1991 schließlich zu seinem frühen Tod im Alter von nur 36 Jahren.

 

Eine neue Ära der Rockmusik beginnt

Aber der plötzliche Aufstieg und die dadurch gewonnene Anerkennung unter dem Mainstream-Publikum hatten für ehemalige Bands aus der Untergrundszene ebenfalls seinen Preis. Einige Musikpromoter sahen in den berühmten Rockbands, die zum Teil Auftritte in Sportarenen vor 10 000 Zuschauern abhielten, eine lukrative Einnahmequelle.

Genauso wie in der Wirtschaft Angebot und Nachfrage die Preise bestimmen, schossen neu gegründete Bands in der Sowjetunion wie Pilze aus dem Boden und versuchten, ein Stück vom diesem Kuchen zu ergattern. Dazu spiegelten sich alle Musikrichtungen der 1980er Jahre in der sowjetischen Untergrundrockszene wider – von Balladen mit Akustikgitarren bis hin zum Glam Metal. Die Bands verwendeten auch verschiedene Werbemittel, um ganz groß herauszukommen. So ließen sie ihre Logos auf Anstecknadeln, T-Shirts und andere Werbeartikel drucken.

Eines der populärsten Symbole war dabei das Emblem von „Hammer und Sichel", in das ein dickes „Perestroika" eingebettet war. Die Musiker und ihre Fans trugen solche T-Shirts beispielsweise gleichermaßen sehr gerne, da für sie die Perestroika ein Symbol der Hoffnung auf eine bessere Zukunft war – der Begriff Perestroika-Rock war geboren.

Die neue Ausrichtung leitete sich von bereits bestehenden Liedern verschiedener Musikrichtungen ab, die zwar in der Zeit vor der Perestroika entstanden waren, jedoch den Geist dieser – den Wunsch nach Veränderung, einer offeneren Gesellschaft und nach Liberalisierung – bereits in sich trugen.

 

Der neue Lebensstil bringt tragische Entwicklungen

Der wohl bekannteste Titel, der den Perestroika-Rock verkörpert, war und ist immer noch das Lied „Peremen" („Veränderung"), gespielt von der Leningrader Band „Kino". Ein weiterer, bekannter Hit dieser Zeit ist „Aquariums" Song „Poesd v ogne" („Zug in Brand"), dessen Musikvideo in einem Stil gedreht wurde, der an sowjetische Filme über die Oktoberrevolution von 1917 oder den Bürgerkrieg der 1920er Jahre erinnert. In ihm sind die Musiker als Helden der Arbeiterklasse verkleidet, die in den Bürgerkrieg ziehen, um ihr kommunistisches Vaterland zu verteidigen. Da das Video mit seinem Liedtext den Geist der Perestroika perfekt widerspiegelte, wurde es sehr oft im sowjetischen Fernsehen gezeigt.

Als die Leningrader Rockband „Kino" den Höhepunkt ihrer Popularität erreichte, kam Sänger Viktor Zoj im August 1990 in Lettland ums Leben, als er mit seinem Auto frontal in einen Bus raste. Von offizieller Seite hieß es damals, dass Zoj während der Fahrt eingeschlafen sei.

Sein Tod war für Millionen von Fans sowie für die sich gerade neu in der Sowjetunion heranbildende Musikindustrie ein Schock. Denn für viele Menschen bestand der Grund für seinen Tod in der Zusammenarbeit der Band mit dem Musikmogul Jurij Aisenspiz. Dies habe zu einem drastischen Wandel im Lebensstil und im Freundeskreis der Band geführt. So habe er die Bandmitglieder auch dazu gebracht, ihr bescheidenes sowjetisches Leben in Leningrad aufzugeben. Schließlich arbeitete Zoj vor seinem Ruhm als Heizer, wo er in Nachtschichten in einem Mietshaus Kohle schaufelte.

Der Perestroika-Rock war keine politisch motivierte oder auf Protest ausgerichtete Musikrichtung, da er aus Liedern bestand, die von Rockbands in der Untergrundmusikszene komponiert worden waren. Deswegen enthalten ihre Songs kein einziges Wort über politische Proteste. Allerdings barg die Gründung einer Rockband im Untergrund ein hohes Risiko in sich, da dies in sich selbst einen Protestakt darstellte. In Anbetracht all dessen, was diese Rockszene in sich trug, war der Perestroika-Rock eher erfinderisch und suggestiv als politisch motiviert.

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