Bild: Natalja Michajlenko
Wassily Kandinsky (1866-1944) zählt zu den bekanntesten russischen Malern und gilt als Wegbereiter der abstrakten Kunst. Wer über diese Kunstrichtung spricht, denkt in der Regel an ihn und seine Kompositionen mit ihren leuchtenden Farbflecken und geometrischen Figuren.
Zur Malerei als Beruf kam er zufällig und relativ spät, im Alter von dreißig Jahren. Bis dahin war Kandinsky ein erfolgreicher Jurist gewesen und hatte an angesehenen Universitäten gelehrt. Auf einmal aber veränderte er sein Leben radikal – aus zwei Gründen. Erstens hatte er eine Ausstellung von Impressionisten besucht und dort den „Getreideschober" von Monet entdeckt. Das Gemälde bewegte ihn zutiefst. Den zweiten wegweisenden Impuls löste Wagners Oper „Lohengrin" bei ihm aus, die damals im Bolschoi-Theater aufgeführt wurde. Diese beiden Erlebnisse sollten Kandinskys Schicksal ändern. Er wandte sich unversehens von seiner juristischen Profession ab und zog nach München, um Malerei zu studieren.
Kandinskys Geschichte erinnert an den Entwicklungsweg von Paul Gauguin. Dieser schien zunächst auch nicht die Malerei im Sinn gehabt zu haben. Vielmehr profilierte er sich als erfolgreicher Börsenbroker. Plötzlich aber ging er nicht mehr zur Arbeit, trennte sich von seiner Familie und begann zu malen. Die Malerei hat für manche Menschen offensichtlich eine so große Anziehungskraft, dass sie bereit sind, sehr vieles für sie zu opfern: die Karriere, ein wohlgeordnetes Leben und ihr Familienglück.
Es ist schwer, Kandinskys Maltechniken zu beurteilen. Selbst Landschaften malte er so, dass man kaum erkennt, was genau dargestellt ist. Farbflecken laufen schillernd ineinander über. Anfangs meint man, einen Baum zu erkennen. Dann aber stellt sich heraus, dass es sich um einen Laternenmast handelt. Manchmal hat man den Eindruck, dass auch ein Kind ein solches Bild malen könnte.
Von darstellender Kunst im engeren Sinne kann natürlich nicht gesprochen werden. Es wird schließlich nichts dargestellt. Das bunte Durcheinander fasziniert, löst eine Menge Assoziationen und Gefühle aus. Kandinskys Bilder wirken wie Musik. Seine Malerei ist überhaupt sehr musikalisch – er war Cellist, und wie man erzählte, auch ein sehr begabter. Eine gewisse Zeit lang gab er sogar Konzerte.
Kandinsky begründete das Konzept der abstrakten Kunst
Berühmt wurde Kandinsky zunächst jedoch nicht wegen seiner Gemälde. Er „erfand" vielmehr die abstrakte Kunst und entwickelte die Theorie dazu. Zur abstrakten Malerei kam er nur zufällig: Als er eines Abends nach Hause kam, erblickte er etwas, was ihn durch eine ungewöhnliche Farbkomposition erstaunte. Es handelte sich um sein eigenes Bild. Es war auf die Seite gefallen und wurde durch das Fenster von Laternenlicht beschienen. Die Konturen waren verschwunden, ineinander gelaufen. Was blieb, war allein der Eindruck von etwas Grellem, Ungewöhnlichem. Seitdem malte Kandinsky keine gegenständlichen Bilder mehr. Er widmete sich ganz dem Abstrakten.
Foto: Photoaisa/Legion Media; Fine Art/Legion Media
Seine Bilder wurden nicht gekauft. Die Kritiker vertraten fast einhellig den Standpunkt, Kandinsky produziere sinnlose Kleckserei. Der Künstler hatte kaum etwas zum Leben. So beschloss er, nach Russland zurückzukehren, wo er versuchte, mit den Bolschewiki zusammenzuarbeiten. Er bekam eine Anstellung im Volkskommissariat für Aufklärung und unterrichtete dort. Diese Episode aber war nicht von langer Dauer. Recht schnell deklarierten die sowjetischen Ideologen abstrakte Kunst für dekadent, Kandinsky selbst verpassten sie das Etikett eines „Handlangers der Bourgeoisie". Man beschlagnahmte sämtliche in Museen ausgestellte Gemälde des Künstlers. Dieser politische Kurs ist befremdlich, konnte man doch in seinen Gemälden weder etwas Bourgeoises noch etwas Anti-Bourgeoises ausmachen. Wie kann ein bunter Fleck bourgeois sein?
Als er begriff, dass man in seiner Heimat keinen Wert auf seine Kunst legte, machte Kandinsky sich erneut auf den Weg nach Deutschland. Aber auch dort stieß er auf ideologische Barrieren. Die Schule, in der er unterrichtete,
ließen die Nationalsozialisten schließen. Unter Hitler waren Kandinskys Bilder als entartete Kunst verpönt. Einige wurden sogar vernichtet.
Aus Deutschland floh er nach Frankreich, wo er bis zu seinem Lebensende blieb. Er lebte in sehr ärmlichen Verhältnissen, seine Not war so groß, dass er sich keine großen Leinwände leisten konnte. Die meisten Arbeiten aus der französischen Periode waren daher sehr klein. Selbst an Öl mangelte es oft. Manchmal malte er einfach nur mit Gouache auf Karton.
Insgesamt ist es verständlich, warum für Kandinskys Kunst in totalitären Staaten kein Platz war. Zu groß sind die Spielräume der Fantasie, die sie eröffnet; zu groß die Freiheit. Diktatoren musste das ein Dorn im Auge sein – egal, ob proletarischer oder nationalsozialistischer Herkunft.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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