Geschichte in Bildern: Das Schicksal des Karl Bulla

Das Fotoatelier des Deutschen Karl Bulla am Newski Prospekt in Petersburg war die erste Adresse für die Prominenz aus Adel, Literatur und Politik jener Jahre des Umbruchs 1917. Das Schicksal seiner Familie endete tragisch. Russia Beyond sprach mit dem Vorsitzendem der Bulla-Stiftung Walentin Elbek.

Karl Bulla mit seiner Frau / Karl Bulla, Bulla-StiftungKarl Bulla mit seiner Frau / Karl Bulla, Bulla-Stiftung

Karl Bulla hat deutsche Wurzeln, ist gebürtiger Preuße. Wie kam er nach Petersburg?

Es gibt keinerlei Dokumente darüber, warum er nach Petersburg kam. Die Geschichte wirft wirklich Fragen auf: Ein 11-jähriger Junge aus der Provinz Leobschütz zieht plötzlich in die Hauptstadt des Russischen Kaiserreichs, wo er nicht mal Verwandte hat?

Er geht auf eigene Faust nach Petersburg und arbeitet zunächst als Laufbursche im Fotoatelier „Dunant“. Dabei erlernt er schnell das Handwerk des Fotografen. Aber Details über sein Leben zwischen dem 11. und dem 18. Lebensjahr sind uns unbekannt.

Zar Nikolaus II. mit seinem Sohn Alexej / Karl Bulla, Bulla-StiftungZar Nikolaus II. mit seinem Sohn Alexej / Karl Bulla, Bulla-Stiftung

Ab wann etwa können Sie seinen Lebensweg dokumentieren?

Wir können nachverfolgen, wann er zum ersten Mal heiratet, wann er sich taufen lässt. Er war dreimal verheiratet. Das liegt aber nicht an einem ausschweifenden Liebesleben, sondern an seinem tragischen Schicksal: Seine ersten zwei Frauen waren früh aus dem Leben geschieden, weshalb er dann in recht reifem Alter eine Estländerin heiratete, die in seinem Atelier arbeitete. Deshalb zog er 1918 auf die Insel Ösem, heute Saaremaa, und verbrachte dort die letzten elf Jahre seines Lebens.

Es ist dokumentarisch belegt, dass er Russland nicht aus politischen Gründen verließ, nicht wegen der Revolution, die das Land erschüttert hatte. Er richtete ein Ersuchen an das Kollegium des Innenministeriums: „Ich bitte um die Erlaubnis zur Ausreise aus Gründen der Verwaltung meines Eigentums.“ Er werde 1919 in seine Heimat zurückkehren, sobald die Schifffahrt-Saison begonnen habe, versicherte er noch.

"Gott, schütze den Zaren!": Bogen des Generalstabs, Sankt Petersburg / Karl Bulla, Bulla-Stiftung"Gott, schütze den Zaren!": Bogen des Generalstabs, Sankt Petersburg / Karl Bulla, Bulla-Stiftung

Kam Bulla jemals nach Petersburg zurück?

Das Schicksal wollte es so, dass er nicht mehr zurückkehrte. Allerdings haben wir Belege dafür, dass er nicht emigriert war. Offenbar haben die Ereignisse in Russland ihn und seine Familie an der Rückkehr gehindert. Aber er blieb mit seinen beiden Söhnen im Kontakt und war über die Ereignisse stets auf dem Laufenden. 

Welchen Prominenten seiner Zeit ist Bulla begegnet?

Um darüber zu erzählen, reicht nicht einmal ein ganzer Tag! Aber ich kann Ihnen versichern: Sein Atelier besuchten die Dichter Wladimir Majakowski und Sergej Jessenin, der Schriftsteller Maxim Gorki und der Sänger Fjodor Schaljapin. Bulla kannte sehr gut den Maler Ilja Repin und erholte sich auf dessen Anwesen „Die Penaten“.

Leo Tolstoi, 1902.  / Carl Bulla / Wikipedia.orgLeo Tolstoi, 1902. / Carl Bulla / Wikipedia.org

Er war immer die gute Seele in seinem Freundeskreis. Seine Zeitgenossen kannten ihn als aufgeschlossenen, aktiven und professionellen Menschen. Er hat ein riesiges Vermächtnis hinterlassen: Von vielen Promis der Jahrhundertwende wissen wir aus den Fotos von Karl Karlowitsch und seiner Söhne.

Wer hätte sich vorstellen können, dass Wiktor Bulla und Sergej Jessenin in einer Armeeeinheit dienen und an gleichen Schlachten teilnehmen würden? Deshalb war Wiktor einer der Ersten, die Sergej Jessenin nach dessen Tod im Petersburger Hotel Angleterre fotografierten.

Welche Bedeutung hat das Vermächtnis der Bulla-Familie für Sankt Petersburg?

Eine sowohl einfache als gleichzeitig auch schwierige Frage. Praktisch alle Schlösser und Villen, die im Bürgerkrieg beschädigt worden waren, wurden nach Karl Bullas Fotos wiederaufgebaut, die er vor der Revolution gemacht hatte. Eine Vielzahl an Monografien und Geschichtsbüchern, die vor 1917 erschienen, nutzten ebenfalls seine Bilder. Es war Karl Karlowitsch, der die 100 Fassaden St. Petersburgs ablichtete.

Er hatte die Genehmigung, in allen Ministerien zu fotografieren: Innenministerium, Marineministerium, im Militärkollegium – er hatte auch Zugang zur Staatsduma. Er hatte sogar die Erlaubnis, die Zarenfamilie zu fotografieren! Ein derart reichhaltiges Fotomaterial hatte außer Karl Bulla sonst niemand.

Rotarmisten auf dem Konnogwardejskij-Boulevard, Petrograd  / Victor Bulla/RIA NovostiRotarmisten auf dem Konnogwardejskij-Boulevard, Petrograd / Victor Bulla/RIA Novosti

Was wissen Sie über das Schicksal seiner Söhne nach dem Umbruch von 1917?

Wiktor Bulla galt als ein Vertrauter von Sergej Kirow (wichtigster Parteifunktionär in Leningrad von 1927 bis 1934 – Anm. d. Red.). Sie telefonierten oft miteinander, er wurde ständig zu Parteitagen und Konferenzen eingeladen. Kirow hatte es ermöglicht, dass Wiktor das Begräbnis von Wladimir Lenin in Moskau fotografieren durfte.

Wiktor Bulla fotografierte praktisch alle Revolutionäre der damaligen Zeit: Stalin, Lenin, Sinowjew, Trozki. Das Relief Wladimir Lenins auf der wichtigsten Auszeichnung der damaligen Zeit – dem Lenin-Orden – wurde auch nach den Fotos von Wiktor Bulla entworfen. Dies ist eine dokumentarisch belegte Tatsache.

Auch Alexander hatte einmalige Bilder, die niemand machen durfte – ihm aber war es erlaubt. Lenin-Denkmäler etwa basieren auf Fotos, die von dieser außergewöhnlichen Familie gemacht wurden.

Wie sie der Revolution gegenüberstanden, können wir anhand ihrer Arbeiten sehen: Sie waren aktive Teilnehmer und Anhänger der Ereignisse jener Jahre. Nichtsdestotrotz ereilte beide ein tragisches Schicksal. Alexander Bulla wurde 1928 verhaftet und verbannt, 1938 wurde Wiktor Bulla zum deutschen Spion erklärt und erschossen.

Warum dieses tragische Schicksal?

Dies waren die härtesten Jahre der Repression. Wiktor wurde denunziert: Er sei ein Vaterlandsverräter, hieß es. Auch Alexander wurde wegen einer Verleumdung verhaftet. So waren die Zeiten damals: Die Menschen wussten nicht, was sie taten.

Newskij-Prospekt, die Hauptstraße von Sankt Petersburg   / Karl Bulla, Bulla-StiftungNewskij-Prospekt, die Hauptstraße von Sankt Petersburg / Karl Bulla, Bulla-Stiftung

Welche Pläne hat Ihre Stiftung für die nächsten Jahre?

Derzeit veranstalten wir vor allem Ausstellungen in russischen Städten und im Ausland. Kürzlich haben wir in der Bibliothek des US-Kongresses an einer Ausstellung zum Hause Romanov teilgenommen. Auch in Serbien, Montenegro, Litauen und Estland fanden und finden unsere Ausstellungen statt.

 

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