Mit dem sowjetischen Eisbrecher „Krassin“ ging Otto Heller in den 1920er-Jahren auf Karische Expedition. Heute steht das Schiff am Ufer der Wassiljewski-Insel in Sankt Petersburg und dient als Museum.
Ria Novosti„Krieg, Revolution, Gegenrevolution, Sieg der Sowjets und schließlich die planmäßige Forschungs- und Wirtschaftsarbeit der letzten Jahre (haben) Sibirien endgültig in den Feuerkessel des Widerstreits von Hass und Liebe und des Werdens einer neuen Welt geschleudert“, so schreibt Otto Heller, deutscher Jude aus dem mährischen Brno, leidenschaftlicher Kommunist und Journalist, 1930 über Sibirien. Mit seinem Reisebericht über die Karische Expedition 1929 sollte er die Vorstellungen der europäischen Kommunisten über den großen sowjetischen Bruder stark prägen.
Heller, 1897 in Brünn geboren, zog es direkt nach Kriegsdienst und Jurastudium in Prag und Wien in die kommunistische Bewegung. 1921 gründete er in Reichenberg (heute Liberec in Tschechien) die deutsche Gruppe der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Fünf Jahre später wurde er ausgewiesen und ging nach Berlin, wo er sich als Reporter und Redakteur in der einschlägigen Presse und dem Bund der proletarisch-revolutionären Schriftsteller Deutschlands einen Namen machte. Er arbeitete für „Die Rote Fahne“, „Der Weckruf“ und andere Medien, für die er dann auch Recherchereisen in die Sowjetunion unternahm.
„Die Rote Fahne“, Zeitungskopf vom 21. Februar 1921. Archivbild.
So begleitete Heller die Karische Expedition 1929 auf dem Eisbrecher „Krassin“: Vom damaligen Leningrad ging es über Norwegen, das Karische Meer zur Jenissej-Mündung bei Dikson und flussaufwärts gen Süden nach Krasnojarsk. Insgesamt zehn Schiffe der Russischen Geografischen Gesellschaft wurden auf die Expedition geschickt, deren Strecke 16 Jahre zuvor der berühmte norwegische Polarforscher Fridtjof Nansen erkundet hatte. „Ich sah die Wildnis, den siegreichen Menschen, der sie jetzt endlich und endgültig bezwingt (...). Ich sah das Herz Sibiriens, ich lernte seine Arbeiter und seine Bauern kennen. Ich sprach auch mit Verbannten“, schrieb Heller später im Vorwort seines Buches „Sibirien – ein anderes Amerika“.
Erst 1916 war die transsibirische Eisenbahnmagistrale von Moskau bis Wladiwostok fertiggestellt worden. Damit kam die industrielle Erschließung Sibiriens und des Fernen Ostens buchstäblich in Fahrt: Im Süden wurden Metallabbau und -verarbeitung sowie das Kusnezker Kohlebecken ausgebaut, im Norden begann in den 1920er-Jahren der Abbau von Nickel, worauf sich bis heute die Existenz der Großstadt Norilsk stützt. Mit dem Fünfjahresplan 1929 wurde der Ausbau Sibiriens als Industriestandort forciert. Heller dokumentierte all das enthusiastisch als „Sieg des Neuen Menschen“. Besonders beeindruckte ihn der sich gerade einmal seit drei Monaten im Bau befindende internationale Frachthafen Igarka.„Der Hafen Igarka, das ist eine Entdeckung. Eine brillante Entdeckung!“, schrieb Heller voller Enthusiasmus in seinem Bericht zur Expedition. Archivbild.
In dem kleinen Dorf am Jenissej lebten damals vorrangig einheimische Völker und Rentiere, bis die ersten 700 entsandten und deportierten Arbeiter erste Baracken und Anlegestellen bauten. Zehn Jahre später sollten hier bereits 23 000 Menschen leben. Insgesamt vier Holz verarbeitende Fabriken entstanden. Als hätte Heller dieses schnelle Wachstum vorausgesehen, schrieb er in seinem Expeditionsbericht, nicht ohne naiven Stolz auf „sein“ großartiges Regime: „Der Hafen Igarka, das ist eine Entdeckung. Eine brillante Entdeckung!“ Er sah bereits den Handel von Gold, Kohle, Graphit und Holz vor seinen Augen. „Bald legen hier am Jenissej-Ufer Hunderte Schiffe aus Europa an! (...) Der Hafen Igarka ist ein Lager der Erstentdecker voller Enthusiasmus und menschlicher Widersprüche. Temperament und Schwierigkeiten treffen hier aufeinander. Aber diese Neuen Menschen werden siegen!“
So verfallen sieht eine Bahntrasse entlang des Polarkreises von Salechard nach Igarka heute. Foto: ecotourist.net
Hellers Berichte wurden in Österreich und Deutschland gedruckt, mit seinem Buch ging er später auf Vortragsreise durch Mitteleuropa. Als in Deutschland die Nationalsozialisten 1933 die Überhand gewannen, floh der jüdische Heller in die Schweiz und arbeitete zudem in Moskau. Spätere Fernostreisen führten ihn in die Mandschurei und nach Wladiwostok. Er flüchtete weiter nach Paris. 1943 von der Gestapo verhaftet, kam er ins Konzentrationslager nach Auschwitz, von wo er 1945 nach Mauthausen „evakuiert“ wurde. Gemeinsam mit mitgefangenen Widerständlern organisierte er noch ein Lagerradio mit Sendung bis nach London, welches das KZ-Bild der Alliierten stark prägte. Kapitulation und Befreiung sollte er dennoch nicht mehr erleben: Im März 1945 starb Heller entkräftet im KZ Ebensee.
*Leider ist Bildmaterial von Otto Heller nicht verfügbar.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!