Gebeine der Toten, Gulag in Butugyschag, Kolyma
Nikolaj Nikitin/TASSIm Film "Brillantenarm" (1969), einer der berühmtesten sowjetischen Komödien, sitzt einer der Protagonisten mit einem Mann aus Kolyma am Tisch. Dieser sagt voller Freude: "Wir freuen uns auf Ihren Besuch bei uns in Kolyma!". Der von Andrej Mironow gespielte Dieb-Protagonist erzittert und antwortet dann stotternd: "Nein, bitte besuchen Sie doch lieber uns!"
Kein Wunder. Denn Kolyma gilt nun wirklich nicht als Ort, wohin man freiwillig reist. Er steht für Deportation, Gefangenschaft und Arbeitslager. Und dabei waren es nicht immer wirklich Kriminelle, die dorthin verschleppt wurden. Als Stalins Säuberungen in den 30er Jahren ihren Höhepunkt erreichten, wurden infolge weit verbreiteter Denunziationen auch unzählige unbescholtene Menschen in die Arbeitslager deportiert.
Viele Häftlinge im Butugyschag-Lager förderten Zinn und Uranium manuell. Ohne Schutzanzug.
Pawlow/RIA NovostiKolyma ist selbst nach russischem Maßstab sehr abgelegen. Es liegt über 6000 Kilometer östlich von Moskau im Fernen Osten. Noch Ende des 19. Jahrhunderts lebten hier nur wenige einheimische Volksstämme wie die Tschuken. Dies änderte sich erst, als Wissenschaftler und Expeditionen den eigentlichen Wert der Region erkennen: Der Forscher Eduard Anert hat zu Zeiten des russischen Bürgerkrieges die Goldvorkommen in Kolyma auf 3800Tonnen geschätzt. Und die Zeit gab Anert Recht: Kolyma ist extrem reich an Gold.
Der sowjetische Geologe Jurij Bilibin fand bei seiner Expedition 1928 heraus, dass allein Kolyma über mehr Gold verfüge als der gesamte Rest der Sowjetunion. Als die stürmische Zeit der Revolutionen und Bürgerkriege zu Ende ging, konnte sich der neue Sowjetstaat dem Goldabbau widmen. Dafür wurden denn auch die ersten Gulags dort entstanden.
GULag ist die Abkürzung für HauptVerwaltung der LAGer und Haftanstalten.
Technisch gesehen, war es aber nicht die GULag, die über das Lagernetz in Kolyma bestimmte. Vielmerh hatte Josef Stalin 1931 eine spezielle Konzernstruktur geschaffen, um den Goldabbau im Fernen Osten so effizient wie möglich zu gestalten: Dalstroj. Dieses "Unternehmen" war direkt der Parteileitung unterstellt. Hauptaufgabe war es, Gold, Zinn, Wolfram abzubauen und gleichzeitig neue Groß- und Kleinstädte für die benötigten Arbeiter zu bauen und die Infrastruktur auszubauen.
Von Anfang an wurden besonders für die besonders schweren Arbeiten in der ersten Zeit Häftlinge als Arbeitskräfte genutzt. Freiwillig hätten sich niemals genug Sowjetbürger bereiterklärt, ohne jegliche Infrastruktur in der extremen Kälte des nördlichen Fernen Ostens zu arbeiten. Die ersten 11.000 Häftlinge erreichten Kolyma im November 1932. Keiner von ihnen überlebte den ersten Winter. Sogar das Wachpersonal und deren Hunde starben. Erst zwei Jahre später hatte Dalstroj vor Ort Bedingungen schaffen können, sodass die gefangenen und freien Arbeiter eine Chance hatten, die Winter zu überleben.
Die Akte Warlam Schalamow nach seiner Inhaftierung 1937
Offizielles Aktenbild, NKWDHauptsache, die Obersten bekamen, was sie wollten - und das war Gold. Die Erzindustrie wuchs von 1932 an mit jedem Jahr. Nach acht Jahren erreichte sie mit 80 Tonnen pro Jahr ihre Förderbestwerte. Dafür mussten natürlich auch immer mehr Arbeitskräfte eingesetzt werden. 1940 verfügte Dalstroj schon über 190.000 Häftlingarbeiter, die auf ihrem Rücken die "Last der sozialistischen Gesellschaft" trugen. Darunter waren nicht nur Krimonelle, sondern auch politische Gefangene. Dabei wurden Letztere tendenziell am schlechtesten behandelt."
"Das Lager hat niemals jemandem etwas geschenkt - und konnte es auch nicht. Jeder, egal ob Häftling oder Zivilisten, alle wurden durch das Lager korrumpiert", schrieb später der sowjetische Schriftsteller Warlam Schamalow, der selbst 14 Jahre in Kolyma inhaftiert gewesen war.
In seinen "Erzählungen aus Kolyma" beschreibt Schamalow das Lagerleben der kaum noch lebendigen, hungernden und frierenden Menschen, die hier selbst bei -30!C noch zu körperlicher Schwerstarbeit gezwungen wurden. Für den Autor sind diese Lager der Beweis dafür, dass der Mensch von tierischer Natur - womöglich sogar noch schlimmer als das - ist.
Eine alte Goldmine in Kolyma
Global Look PressDie brutalen Geschichten der Kolyma-Lager endete erst nach Stalins Tod 1953. Die Goldvorkommen in der Region waren mittlerweile witgehend aufgebraucht. Darum mussten auch nicht mehr ständig Tausende Menschen dorthin verschickt werden. Beides führte zu einem Wechsel der Parteipolitik. Die Repressionen wurden zu großen Teilen eingestellt.
Dalstroj wurde 1957 aufgelöst, die Arbeitslager geschlossen. Fragt man heute in der Kolyma-Hauptstadt Magadan nach der Gefängnisdichte, bekommt man eine lächelnde Antwort: "Nicht mehr als in anderen Regionen. Und Arbeitslager, nein, haben wir nicht mehr!"
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