Gesichtshaare waren in der russischen Geschichte schon immer ein heißes Thema. Für Iwan den Schrecklichen waren Männer ohne Bart Ketzer; unter Peter dem Großen galten bärtige Männer als unzivilisierte Barbaren. Der alleinstehende Schnurrbart allerdings brauchte einige Zeit, bis er seinen Weg in die Bartmode russischer Männer fand – und hatte den Höhepunkt seiner Beliebtheit irgendwo zwischen dem vollbärtigen Zaren Nikolaus II. und dem sauber rasierten Präsidenten Wladimir Putin.
Wir befinden uns im November – im angelsächsischen Raum auch als Movember, dem Monat des Schnurrbartes, bekannt. Welch‘ besseren Zeitpunkt für einen Blick auf den russischen Schnurrbart könnte es also geben? Die Geschichten der folgenden sieben Menschen zeigen, wie sich der Oberlippenbart in Russland entwickelte. Sie könnten sich davon inspirieren lassen.
In seiner selbsterwählten Rolle als Stilikone seiner Zeit trug der Zar für den Großteil seines erwachsenen Lebens einen bleistiftdünnen Schnurrbart. Peter sah sich im Bann europäischer Herrscherstile und Barttrends und versuchte sein Bestes, um die Oberschicht Moskaus bartfrei zu bekommen. Selbst eine Bartsteuer von 100 Rubel erließ er – zu zahlen von all jenen, die sich der Tradition verbunden sahen und ihr Barthaar wachsen ließen. Der Schnurrbart allerdings wurde als stilsicherer, „zivilisierter“ Kompromiss angeboten, in Übereinstimmung mit Peters Verbot von mehr als schulterlangem Haar im Militär, das eingeführt worden war, um den russischen Truppen ein respektvolleres Auftreten zu geben. Bei den Bojaren, den adeligen Beratern des Zaren, kam der neue Look nicht besonders gut an. Dennoch schaffte es Peter der Große, den Weg für zukünftige schnurrbartliebende Herrscher Russlands zu ebnen.
Allen Schriften zufolge war der Zar aus der Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt für sein majestätisches Erscheinungsbild. Der Historiker Constantin de Grunwald nannte Nikolaus I. gar den „zweifelsohne bestaussehendsten Mann in Europa“. Puschkin verglich ihn mit Moses.
Ein entscheidendes Element seines Aussehens war der kleine, sauber frisierte Schnurrbart. Er komplimentierte die imposante, selbstsichere Präsenz eines Autokraten, der den Polnischen Aufstand der Jahre 1830 bis 1831 zerschlug und die Abschaffung der Leibeigenschaft verweigerte. Die Rasurgewohnheiten des Zaren stellten dabei einen wichtigen Teil seines Images dar – eine durchaus metrosexuelle Eigenschaft!
Es ist nicht ganz klar, ob Alexanders kaum gepflegter Wuchs als Voll- oder Oberlippenbart gewertet werden sollte. Des Zaren im Stile eines Walrosses gewachsener Bart war zweifelsohne beeindruckend, doch kam ihm so wenig Pflege zu, dass es unmöglich erscheint, zu sagen, wo der Schnurrbart endete und der Backenbart begann. Der großväterliche Stil passte zu Alexanders hoher Stirn und seinen sanften, braunen Augen und verlieh ihm eine Aura der Verletzlichkeit, die zu seiner Person als „Zar der Befreiung“ passte – er hatte in seiner Herrschaftszeit die Leibeigenschafft beendet.
Vielleicht aber war die Aura der Verletzlichkeit eine zu große Bürde. Immerhin starb er 1881 durch eine Bombe, geworfen von Terroristen, die sich „Volkes Wille“ nannten.
Der Komponist des Werkes “Fürst Igor” war ein Mann mit vielen Talenten: respektierter Chemiker, Star der Musik und Träger eines Hufeisen-Bartes. Borodins Nachname aber sendet dabei genau das falsche Signal – bedeutet er übersetzt doch so viel wie „der Bärtige“. Tatsächlich war der Schnurrbart des Komponisten aber so beeindruckend, dass er ein Vorzeigekind des Movembers gewesen wäre. Und auch für die Wohltätigkeit hatte Borodin etwas übrig: Er gründete die Medizinerschule für Frauen in Sankt Petersburg im Jahr 1875.
Obwohl die Kombination aus Backen- und Oberlippenbart nicht ganz den Regeln des Movembers entspricht, so sind Stolypins wohlgepflegte Schnurrhaare womöglich die stilistisch besten dieser Liste. Ganz besonders interessant: Der dritte Ministerpräsident der Geschichte des Russischen Reiches trug einen „Imperial“ – eine besonders lange Form des Schnauzbartes.
Als eine der wichtigsten Figuren der Herrschaft Nikolaus II. war Stolypin für eine Reihe von Landreformen zuständig und spielte eine entscheidende Rolle bei der Unterdrückung der Revolution von 1905 – während er stets den Look eines Brooklyn-Hipsters beibehielt.
Dieser Riese der russischen Literatur trug einen voluminösen Schnauzbart, an den sonst wohl nur Josef Stalin heranreichte. Auch die Farbe von Gorkis kräftigem Schnurrbart war einzigartig: Die britische Journalistin Ella Winter beschrieb sie als „papiergelb, wie altes Pergament“. Sicher aber war Gorkis Schnäuzer ein Hingucker – an seinem ansonsten dünnen und zerbrechlich wirkenden Körper, der mit zunehmendem Alter immer schwächer erschien.
In seinen jungen Jahren wurde Gorki allerdings auch mit einer Lücke im Schnurrbart im Stile James Francos gesichtet, die mit einer Melone auf dem Kopf und einer Dosis Existenzialismus abgerundet wurde. Vielleicht haben sich die Studenten der Künste bis heute nicht entscheidend verändert.
Der berühmte Schnurrbart des sowjetischen Machthabers schwankte zwischen verschiedenen Längen, doch die buschigen Haare seines klassischen Schnauzbartes wuchsen stets über Teile seines Mundes. Während er in der Jugend noch einen an James Dean erinnernden Stil auftrug, übernahm er später einen Schnurrbart, den einst Fridrich Nietzsche der Welt zeigte und eigentlich einen rebellischen Geist ausdrücken sollte, und wandelte ihn in ein Symbol der strengen, väterlichen Macht.
Stalin soll sehr stolz auf seinen Schnurrbart gewesen sein – für ihn war es ein Weg, sich von den vollbärtigen Figuren des Kommunismus wie Lenin und Marx zu unterscheiden. Der Stil passte zudem sehr gut zu seiner nüchternen Militärtracht und den Lederstiefeln, die sich erneut deutlich von den zivilen Kleidungsstilen Lenins und Trotskis unterschieden. Um sicherzustellen, dass sein definierendes Merkmal im rechten Licht erschien, soll Stalin gar Maler erschießen haben lassen, weil diese den Schnurrbart in ihren Werken nicht in seiner ganzen Pracht verewigt hatten.
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