In Russland fanden die traditionellen Faustkämpfe an wichtigen Feiertagen statt, insbesondere zum Neujahrsfest und vor dem Beginn der Agrarsaison, als das alte Leben symbolisch Platz für das neue machte.
Historiker sind sich einig, dass die Auseinandersetzungen in der heidnischen Weltanschauung den Kampf zwischen Alt und Neu symbolisierten. Grundsätzlich fanden diese immer in Gruppen statt; Einzelkämpfe dienten nur zum Aufwärmen für das große Handgemenge.
Die russisch-orthodoxe Kirche war aufgrund der heidnischen Ursprünge immer gegen Faustkämpfe. Auch der Staat verurteilte sie öffentlich, drückte aber ein Auge zu, weil sie als Vorbereitung der männlichen Bevölkerung auf künftige Militärschlachten wichtig waren.
In den 1740er-Jahren appellierte die Kirche an den Regierenden Senat, ein Verbot für Faustkämpfe zu erlassen, das die Senatoren jedoch mit Bestimmtheit ablehnten, da sie darin eine männliche und gesunde Tradition sahen, deren Verbot das Volk nur erzürnen würde. Die Polizei war bei den Massenfaustkämpfen anwesend, griff aber nicht ein, auch weil es unmöglich gewesen wäre, 500 gegeneinander kämpfende Männer aufzuhalten und festzunehmen.
Im Winter wurden die Faustkämpfe im Freien, beispielsweise auf einem gefrorenen See oder Teich, in den wärmeren Monaten auf Wiesen ausgetragen. Die bekanntesten und spektakulärsten Massenfaustkämpfe, auch „Wand-an-Wand“-Kämpfe genannt, fanden zwischen zwei großen Mannschaften statt: Die linke Seite der Dorfstraße kämpfte dabei gegen die rechte, oder ein Dorf gegen ein anderes.
In Städten war es üblich, dass verschiedene Handwerkergilden gegeneinander antraten – Metzger gegen Schuhmacher, oder eine Fabrik gegen eine andere. Wer im Russland des 19. Jahrhunderts lebte und gut im Faustkampf war, konnten einen guten Job bekommen: Wohlhabende Kaufmänner und Fabrikbesitzer zogen es vor, geschickte Kämpfer anzustellen. Eine gegnerische Fabrik zu besiegen war schließlich Ehrensache.
Jede „Wand“ hatte einen Anführer, der am Abend des Kampfes seine Männer für eine taktische Einweisung zusammenrief. Zusammen mit den erfahrensten Kämpfern arbeitete der Anführer die Zeitplanung und die Taktik eines Kampfes aus – zum Beispiel, wann die Flanken sich der gegnerischen „Wand“ nähern würden und wann sich die stärksten und größten Kämpfer, die „Hoffnungsträger“ der Mannschaft, die bis zum kritischsten Zeitpunkt in Reserve gehalten wurden, ins Getümmel stürzen würden. Während dem Kampf spornten die Anführer ihre Mannschaften an und setzten, während sie selbst kämpften, die besprochenen Taktiken um.
Faustkämpfe erforderten keine spezielle Ausbildung und die Erfahrung dafür konnte nur in der Praxis gesammelt werden. Vor dem Kampftag gingen Männer ins Badehaus, schliefen sich aus und aßen gut. Den Brauch, sich zu betrinken, gab es nie – für jeden stellte der Faustkampf eine ernstzunehmende Angelegenheit dar, die tödlich enden konnte. Um das zu vermeiden, zogen die Kämpfer Handschuhe und Kopfbedeckungen an, um die gegnerischen Schläge zu mildern.
Auch die Zuschauer bereiteten sich auf die große Schlägerei vor; es versammelten sich ganze Dörfer, um dem Kampf beizuwohnen. Händler verkauften Bier und alkoholische Honiggetränke. Auch Adelige und wohlhabende Kaufmänner kamen aus den umliegenden Städten, um zuzuschauen und Wetten abzuschließen.
Einige Adelige machten sogar beim Faustkampf mit. Dazu zählte zum Beispiel der Bürgermeister von Moskau Fjodor Rostoptschin, der im englischen Boxen geübt war und es genoss, zu kämpfen. Auch der Geliebte Katharinas der Großen, Prinz Grigorij Orlow, fand sich unter den Faustkämpfern.
Ein Kampf begann mit großem Trara, die Kämpfer schritten die Hauptstraße bis zur Kampfstätte hinab. Dort teilten sie sich auf und begannen, einander mit spielerischen Sticheleien und bissigen Witzen zu necken. Manchmal spielte jemand Harmonika, um die Moral zu heben. Kleine Jungen, gefolgt von Jugendlichen, leiteten den Kampf ein. Die eigentliche Vorstellung begann, als erwachsene, verheiratete Männer ihre Fäuste zu schwingen begannen. Die Jungen kämpften daraufhin getrennt von ihnen.
Bei Faustkämpfen ging es weder um Wut, noch darum, um jeden Preis zu gewinnen. Wären ausgetragene Faustkämpfe tödlich ausgegangen, hätten sie sich nicht einer so großen Beliebtheit erfreut. Es gab also bestimmte Regeln, um Tragödien zu vermeiden:
1 Greifen Sie niemanden an, der auf dem Boden liegt oder stark blutet;
2 Greifen Sie keine Zuschauer oder Passanten an;
3 Greifen Sie niemanden von hinten oder von der Seite an;
4 Stecken Sie keine schweren Gegenstände in ihre Handschuhe. Für eine Missachtung dieser Regel konnte es passieren, dass Sie von Ihren eigenen Teammitgliedern verprügelt und vom Kampf ausgeschlossen wurden – eine schreckliche Stigmatisierung, da die Teilnahme an Faustkämpfen essentiell für die Ehre eines männlichen Dorfbewohners war;
5 Ihre einzigen Waffen sind Ihre Fäuste, Sie dürfen also weder mit den Füßen treten noch Gegenstände in einem Kampf verwenden;
6 Die Seite zu wechseln und zum Gegner überzulaufen war während dem Kampf untersagt; manchmal endeten die Kämpfe am Abend und wurden am nächsten Tag fortgesetzt. Sie mussten also zu Ihrer Mannschaft halten.
Einige Feiertage dauerten recht lange, die Kämpfer konnten sich aus dem Grund eine Auszeit nehmen und am nächsten Tag weitermachen. Für gewöhnlich begannen die Kämpfe am Nachmittag und zogen sich mit ein oder zwei Unterbrechungen bis in die Dunkelheit hinein, nur, um am nächsten Tag weiter zu gehen. In den Pausen tranken die Gegner zusammen, sprachen über den Kampf und lachten. Es war wichtig zu zeigen, dass der Kampf ein gesunder Zeitvertreib und keine ernste, böswillige Auseinandersetzung war.
Nach mehreren Pausen kristallisierte sich heraus, dass eine Seite stärker war als die andere. Das war der Augenblick, in dem die Gegner vom Feld gejagt und an den Rand des Dorfes getrieben wurde. An diesem Punkt stand der Sieger fest und alle Teilnehmer beider „Wände“ versammelten sich, um miteinander zu speisen und zu trinken. Die Siegermannschaft bekam die gesamte Anerkennung, die Bewunderung der Frauen und den Respekt der Älteren – natürlich aber nur bis zum nächsten Kampf.
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