Die letzten Tage: Das Leben der Romanows kurz vor ihrem Tod

Getty Images
Der abgesetzte russische Zar und seine Familie lebten in einem streng bewachten Herrenhaus. Sie wurden dort von ihren bolschewistischen Entführern verspottet und als die Weiße Armee vorrückte, wurde die Familie kurzerhand exekutiert.

Den Großteil seines Lebens führte Nikolai Romanow Tagebuch, schrieb penibel, fast schon eintönig sämtliche Ereignisse sorgfältig auf, selbst wenn es sich dabei nur um Tätigkeiten wie Karten spielen und Abendessen handelte. Er tat dies als Zar Nikolaus der Zweite und Erbe des Thrones – und hörte auch nicht auf, nachdem er 1917 seine Krone aufgeben musste und zu einem gewöhnlichen Bürger geworden war.

„Es ist ein schönes, sauberes Haus“, schrieb er am 30. April 1918, nachdem die Bolschewiki ihn und seine Familie nach Jekaterinburg, knapp 1 600 Kilometer östlich von Moskau, gebracht hatten. Das Ipatjew-Haus war ein gepflegtes und beträchtliches Kaufmannshaus, das jedoch auch gut bewacht wurde.

Michail Medwedew, einer der bolschewistischen Wachposten der Familie, der später zudem ihr Henker werden sollte, schrieb: „Es war eine Art Festung: zwei hohe Zäune um das Grundstück, ein ausgeklügeltes System an Außenposten und Maschinengewehre.“ Dies war der Ort, an dem die Familie ihre letzten 78 Tage verbrachte und in der Nacht des 17. Juli erschossen wurde.

Die Zarenfamilie im Jahr 1918

Null Toleranz

Die Romanows waren bereits nach der Abdankung Nikolaus dem Zweiten im Jahr 1917 viel gereist. Die Übergangsregierung schickte sie in die Stadt Tobolsk in Sibirien, etwa 2 250 Kilometer östlich von Moskau, aber nachdem die Bolschewiki die Macht ergriffen hatten und der Bürgerkrieg in Russland ausbrach, bedrohte die anti-bolschewistische Weiße Armee die Region.

>>> Abdankung von Nikolai II.: „Dem Volk ist der Kragen geplatzt“

Lenin beschloss, die Romanows in den Ural bringen zu lassen, wo er die Position der Bolschewiki für stärker hielt. Infolgedessen war das Leben für die Familie dort eine große Belastung. „In Tobolsk waren es ehemals zaristische Wachmänner, die sie gefangen hielten, aber in Jekaterinburg waren die Rotgardisten für sie verantwortlich – ehemalige Arbeiter, von denen viele unter dem Zarenregime gelitten und Gefängnis und harte Arbeit hinter sich hatten“, bemerkt (rus) der Historiker Iwan Silantjew.

Diese Wachposten hatten dementsprechend keinerlei Toleranz gegenüber den Romanows. So bemalten die Wächter beispielsweise die Wände im Badezimmer mit „zynischen Bildern“ und Texten über die Beziehung zwischen der ehemaligen Zarin Alexandra und ihrem einstigen Liebling Grigori Rasputin, der bereits 1916 ermordet wurde. Nachts sangen die Wächter unter den Fenstern der Gefangenen vulgäre Lieder oder etwas über den „Tod der Monarchie“.

>>> Rasputin: Der „heilige Teufel“ am Zarenhof

„Die Wachen waren absolut unanständig“, berichtete (rus) Terenti Tschemodurow, der ehemalige Diener der Zaren, der wenige Tage vor dem Mord weggeschickt wurde. „Unhöflich, anmaßend und ständig am Rauchen, provozierten sie Angst und Abscheu.“

Das Leben im Ipatjew-Haus

Durch unanständige Wächter und schlimme Umstände handelte es sich bei dem Ipatjew-Haus keineswegs um eine zaristische Residenz. Die Töchter mussten beispielsweise auf dem Boden schlafen, während der Zarewitsch Alexei durch seine Hämophilie nicht laufen konnte. Dennoch gelang es den Romanows, den Anschein eines mehr oder weniger stabilen Lebens zu bewahren.

Da sie zutiefst religiöse Menschen waren, beteten sie jeden Morgen, bevor sie sich bestmöglich beschäftigen. Die Familie konnte eine Stunde pro Tag im Innenhof spazieren gehen. Als Nikolaus nach dem Grund fragte, antwortete (rus) ein Rotgardist: „Damit es sich für Sie mehr wie ein Gefängnis anfühlt.“

Doch Nikolaus blieb trotzdem ruhig – zumindest wenn es nach seinem Tagebuch geht – und konzentrierte sich auf die kleinen Dinge. Am 13. Mai schrieb er zum Beispiel folgendes: „Das Mittagessen war heute schrecklich spät – sie haben es um 15.30 Uhr serviert, nicht um 13.00 Uhr!“. An seinem Geburtstag am 18. Mai notierte er: „Ich habe die 50 Jahre erreicht! Ich kann es selbst kaum glauben...“.

Alexandra Fjodorowna, die geliebte Gattin von Nikolaus, verschwendete währenddessen keine Zeit. Mit ihren vier Töchtern Olga, Tatiana, Maria und Anastasia nähte sie den Familienschmuck wie Diamanten und Edelsteine in die Nähte von Kleidern und Mänteln ein, damit sie in Zukunft etwas zum Leben haben würden. Sie ahnten nicht, dass sie das nie brauchen würden.

Falsche Verschwörung

Am 27. Juni schrieb Nikolaus: „Wir erhielten zwei Briefe, die uns sagten, dass einige loyale Anhänger uns entführen werden!“. Einer der Wärter überreichte heimlich einen an die Familie gerichteten französischen Brief. Er sagte aus, dass „eine freundliche Armee sich nähert“ und die Gefangenen befreien würde.

In der Tat handelte es sich um eine bolschewistische Provokation: „Die Bolschewiki in Jekaterinburg schrieben im Namen eines Offiziers einen Brief, in dem stand, dass Jekaterinburg im Begriff war zu fallen und schlugen einen Fluchtplan vor“, erinnerte (rus) sich Michail Medwedew. Die Täuschung funktionierte: Die Romanows verbrachten eine Nacht in ihrer kompletten Kleidung und warteten darauf, gerettet zu werden.

Medwedew behauptet, dass die Bereitschaft der Romanows, einen Fluchtversuch zu wagen, einer der Gründe war, warum sie später ermordet wurden. Zusammen mit dem Vormarsch der Weißen Armee auf Jekaterinburg, entschieden die Bolschewiki, die Romanows zu beseitigen.

Im Keller

„Das Wetter ist schön und warm, wir haben keine Neuigkeiten von außerhalb“, schrieb Nikolaus am 13. Juli. Es sollte sein letzter Tagebucheintrag sein – vier Tage später wurden er und seine Familie, Alexandra, vier Töchter und sein Sohn, und vier Diener im Keller des Ipatjew-Hauses erschossen.

Jakow Jurowski leitete die Ermordung der Zarenfamilie

Befehlshaber Jakow Jurowski, Michail Medwedew und einige andere Tschekisten, Mitglieder der bolschewistischen Spionageabwehr, rätselten für eine lange Zeit, wie man die Familie am besten töten könnte. „Nichts, woran wir nicht gedacht haben“, schrieb (rus) Medwedew. „Vielleicht Granaten in die Räume werfen, nachdem sie eingeschlafen sind? Nein – zu viel Lärm... Jurowski schlug vor, sie während des Schlafens zu erstechen.“

Dann fiel den Tschekisten eine dritte Option ein. Sie weckten die Romanows und ihre Diener in der Nacht des 17. Juli und sagten ihnen, sie sollten nach unten gehen und taten währenddessen so, als sei es zu ihrer eigenen Sicherheit, da die Weiße Armee in Jekaterinburg einmarschierte. Nachdem sich alle im Keller versammelt hatten, erklärte Jurowski, dass die zaristischen Anhänger versuchten, sie zu befreien, und es deshalb seine Pflicht sei, das 300 Jahre alte Haus von Romanow auszulöschen.

Der Keller des Ipatjew-Hauses nach der Ermordung der Zarenfamilie

Daraufhin begannen die Tschekisten zu schießen. Der frühere Zar starb sofort, aber seine Töchter hatten nicht so viel Glück – die Schüsse prallten von den in die Kleider genähten Diamanten ab und die Tschekisten töteten sie mit Bajonetten und Messern und hörten erst auf, als alle Familienmitglieder tot waren.

>>> Tatort Zarenmord: Das Ipatjew-Haus, in dem die Romanows ermordet wurden

>>> Zehn Fakten zum Mord an der Zarenfamilie 1918

>>> Brutaler als jeder Fantasy-Roman: Die gewaltsamen Tode russischer Herrscher

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!