Katharina die Große
Getty ImagesRussland lud ausländische Arbeiter und Spezialisten schon lange vor dem Manifest, das Katharina die Zweite am 22. Juli des Jahres 1763 herausgab, ein. Iwan der Dritte, der erste Herrscher des zentralisierten russischen Staates, nutzte im späten 15. Jahrhundert die Dienste ausländischer Spezialisten, die ihm beim Wiederaufbau des Kremls und der Waffenproduktion helfen sollten.
Fünfzig Jahre später griff auch Zar Iwan der Schreckliche auf fremde Hilfe zurück, als er sich entschloss, seine eigene Flotte an der Ostsee zu gründen. Peter der Erste, der Gründer des Russischen Reiches im frühen 18. Jahrhundert, wurde wiederum von seinen Landsleuten bitter kritisiert, weil er sich in Bezug auf seine Politik angeblich zu sehr auf europäische Spezialisten verließ.
Die Einladung von Kolonisten aus Europa durch Katharina die Zweite galt im damaligen Russland als ein beispielloser Schritt. Aufgrund des Umfangs dieser Initiative war es der Zarin möglich, zehntausende ausländische Siedler für sich zu gewinnen. Doch was waren ihre Beweggründe? Die Antwort ist vor allem im Manifest zu finden. Dort schreibt die Zarin, dass die Regierung „viele der am besten geeigneten Lebensräume noch unbewohnt sieht, in denen es eine endlose Vielzahl verschiedener Metalle, Wälder, Flüsse, Seen und Meere gibt... die ein großes Potenzial für die steigende Anzahl von Fabriken und anderen Anlagen bergen.“
Während Katharinas Herrschaft wurden große Gebiete im Süden und Südosten in das Reich eingegliedert. Doch auch ohne die neuen Eroberungen gab es genügend Regionen in Russland, die kaum bevölkert waren. Menschen in diese Gebiete zu bringen und sie zu einem wichtigen Teil der Volkswirtschaft zu machen, war daher das erklärte Ziel der russischen Zarin.
Das Einladungsmanifest der Zarin vom 22. Juli 1763
Public DomainDas Manifest wurde in mehrere europäische Sprachen übersetzt, mithilfe von russischen Diplomaten in europäischen Ländern verbreitet und in lokalen Zeitungen veröffentlicht.
Um das Interesse der Ausländer zu wecken, listete der russische Staat darüber hinaus zahlreiche Vorteile auf. Unter anderem wurde den ausländischen Neuankömmlingen ein angemessenes Stück Land sowie zusätzliche Grundstücke für ihre Nachkommen garantiert. Zudem erhielten sie einen Steuererlass von bis zu 30 Jahren, wenn sie sich entschieden, auf dem Land zu bleiben, eine Befreiung vom Militärdienst sowie das Recht auf Autonomie. Das bedeutete, dass es der russischen Verwaltung untersagt war, sich in die inneren Angelegenheiten ihrer Gemeinden einzumischen. Des Weiteren wurden die Kosten für ihre Umsiedlung nach Russland übernommen und zinsgünstige Darlehen sowie Vorteile für die von ihnen produzierten beziehungsweise verkauften Produkte gewährt.
Einer der wichtigsten Gründe, warum Ausländer sich im Land niederließen, war vermutlich die freie Ausübung ihrer Religion und die Möglichkeit, selbständig auf dem Land bauen zu können. Besonders für viele deutsche Protestanten, die sich in ihren vom Katholizismus dominierten Gebieten unwohl fühlten, war das Angebot lukrativ. Vermutlich machten sie daher – insbesondere die Mennoniten – einen Großteil der Ausländer aus, die das Angebot der russischen Zarin annahmen.
Im ersten Jahrzehnt nach der Veröffentlichung des Manifests siedelten sich etwa 30 000 Ausländer in Russland an. Es handelte sich hauptsächlich um Deutsche, die die kaum bevölkerte Wolgaregion wählten. Im Jahr 1765 gab es dort zwölf und nur vier Jahre später bereits 105 Kolonien. Die deutschen Siedler widmeten sich hauptsächlich der Landwirtschaft sowie einigen eng mit ihr verbundenen Produktionszweigen. Es sei jedoch keine Überraschung gewesen, dass Katharina die Große „bewusst die Landwirtschaft in den Vordergrund stellte. In diesem Bereich gab es nach dem Siebenjährigen Krieg einen erheblichen Mangel an Arbeitskräften in Russland“, meint (rus) die russische Historikerin Irina Tscherkosjanowa.
Eine weitere beliebte Region, in der sich Ausländer niederließen, war das Territorium der heutigen Ukraine. Damals war das Gebiet entlang der Schwarzmeerküste gerade von der Türkei erobert worden und wurde Noworossija, das neue Russland, genannt. Schließlich siedelten sich hier viele serbische, griechische und armenische Christen, die aus der Türkei nach Russland geflohen waren, an. Insgesamt zogen während Katharinas Herrschaftszeit etwa 100 000 Ausländer (rus) nach Russland.
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