Weltenretter Stanislaw Petrow bekommt den Dresden-Preis. Foto: RIA Novosti
In der Nacht zum 26. September 1983 hatte das Frühwarnsystem in einem Luftüberwachungszentrum bei Moskau, in dem Petrow Dienst hatte, den Angriff von mehreren amerikanischen Atomraketen gemeldet. Der Oberstleutnant hatte nur wenige Minuten, um eine Entscheidung zu treffen. „Fehlalarm", befand er, und bewahrte die Welt vor einer atomaren Katastrophe.
Als die Alarmsirene losging und das Wort „Raketenstart" auf dem Bildschirm erschien, waren alle im Kontrollzentrum bei Moskau geschockt, erzählte Petrow vor den Hunderten Gästen beim Festakt in der Semperoper. Er musste seine Stimme erheben, um Panik zu verhindern. Aber auch er selbst war so nervös gewesen, dass sein sonst sehr bequemer Dienstsessel ihm wie eine heiße Ofenplatte vorkam. In den 17 Minuten, die vergingen, bis die Bodenradare endgültig die Entwarnung gaben, fühlte er sich „wie kurz vor dem Gang nach Golgatha."
Jetzt sagt er, es seien seine langjährige Erfahrung und Intuition, die diese Entscheidung herbeigeführt haben. Dennoch verstehe er sich nicht als Held: „Ich habe nichts Heldenhaftes getan, sondern nur meine Arbeit. Und es gefällt mir, wie ich sie getan habe". Er wisse nicht, wie alles gelaufen wäre, wenn er anders entschieden hätte: Die Geschichte kenne ja kein „Wenn". Eins sei jedoch bekannt gewesen: „Wer als erster auf den Knopf drückt, lebt nur 27 Minuten länger."
"Sie sind ein wunderbarer Mensch und ein großer Mann", sagte TV-Journalist Claus Kleber in der Laudatio auf den Preisträger. Ein anderer hätte wahrscheinlich anders entschieden als Petrow. „Wir sind heute hier, weil es Stanislaw Petrow gab und weil er ist, wer er ist". Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum würdigte Petrow als Beispiel für Mut und Zivilcourage. Laut Baum sind die Überlebensprobleme der Menschheit immer noch nicht gelöst. Deshalb sei diese Preisverleihung auch ein Appell, die Verbreitung der Atomwaffen in der Welt zu stoppen.
Petrows Tat „wird als eine der großen Friedenstaten der letzten Jahrzehnte in die Geschichte eingehen", urteilte Heidrun Hannusch, Vorstandsvorsitzende des Vereins „Friends of Dresden Deutschland", der den Dresen-Preis gestiftet hat. Nicht nur, weil Petrow einen Krieg verhindert hat. Petrow „steht dafür da, dass der Einzelne auch die Verantwortung übernehmen kann".
Frau Hannusch hatte Stanislaw Petrow „entdeckt" und für den Dresden-Preis vorgeschlagen. „Wir haben ihn eigentlich schon vor drei Jahren entdeckt", berichtete sie in einem Gespräch mit RIA Novosti. Weil 2010 bereits Michail Gorbatschow für sein Engagement gegen die atomare Aufrüstung den Dresden-Preis erhalten habe, habe man nicht gleich wieder einen weiteren Russen zu der gleichen Thematik auszeichnen können.
Nach dem „World Citizen Award" und dem Deutschen Medienpreis ist der Dresden-Preis bereits die dritte westliche Auszeichnung für den Atomkriegverhinderer aus dem Osten. In der Heimat wurde Petrow für seine Tat weder belobt noch belohnt. Der jetzt 73-Jährige, der seit Jahren in einem Moskauer Vorort einsam lebt, führt das auf die „russische Mentalität" zurück: „Die Russen haben so viel durchgemacht wie kein anderes Volk".
Als die Welt vor dem Abgrund stand
Der 26. September 1983 hätte der letzte Tag der Menschengeschichte sein können. An diesem Tag hatte Petrow im Satellitenüberwachungszentrum Serpuchow-15 nahe Moskau Dienst, als das neue Frühwarnsystem den Abschuss von fünf amerikanischen Atomraketen Richtung Sowjetunion anzeigte. Laut Vorschrift hatte der Dientshabende Offizier den damaligen Generalsekretär Juri Andropow unverzüglich über die Attacke in Kenntnis zu setzen. Doch der Oberstleutnant ignorierte den Computer und meldete intuitiv Fehlalarm, obwohl noch nicht klar war, ob es sich um Irrtum oder Ernstfall handelt.
Damit verhinderte er einen massiven atomaren Gegenschlag der Sowjetunion gegen die USA, auf den unbedingt ein Vergeltungsschlag der Amerikaner gefolgt wäre. Seine Entscheidung erklärte der studierte Mathematiker Petrow später damit, dass es unlogisch wäre, Atomraketen in einer derart geringen Anzahl und von ein und demselben Ort abzufeuern: Wenn die Amerikaner sich zu einem Atomschlag entschieden hätten, hätte es bestimmt eine massivere Attacke gegeben.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei RIA Novosti.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!