Blutrote Segel auf der Newa

Foto: AFP Photo / Kirill Kudrjawzew

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In St. Petersburg ist es das größte Fest während der Weißen Nächte: „Alye Parusa“ (auf Deutsch: rote Segel). Das Besondere: Es wird ein Schiff mit blutroten Segeln auf die Newa gelassen, das für die Abiturienten ihre Kindheit und Jugend symbolisiert, von der sie sich verabschieden müssen. Umrahmt werden die roten Segel von einem gigantischen Feuerwerk, das nicht nur Bewohner der Stadt sondern auch viele Besucher anzieht.

Der 26-jährige Jura kam am Sonntagabend extra aus Kasan angereist, 1.600 Kilometer entfernt. Wenn der junge Geschäftsmann die Atmosphäre beschreiben soll, sagt er: „Alle feiern ausgelassen, sind offen und hilfsbereit – ich war vor einigen Jahren zum ersten Mal hier und es hat mir so gut gefallen, dass ich wieder gekommen bin.“ Er selber hat das Ende seiner Schulzeit in einem Restaurant gefeiert – so wie die meisten Abiturienten.

Die 18-jährige Anna Stupina kommt ursprünglich aus Sotschi und studiert heute an der Bergbau-Universität in St. Petersburg BWL. „Ich kann mich noch genau daran erinnern wie traurig ich vor einem Jahr war, weil ich manche Schulkameraden und Lehrer zum letzten Mal gesehen habe“, meint sie, „und natürlich war ich aufgeregt, da noch völlig unklar war, wo ich im Herbst anfangen werde, zu studieren.“ Am 24. Mai klingelt für die Abiturienten in Russland traditionell zum letzten Mal die Schulglocke. Dann ist die Schulzeit vorbei – und die Studienzeit kann beginnen.

Doch bis es mit der Uni los geht, wird gefeiert. Am Sonntagabend säumten tausende Neugierige das Newa-Ufer von der Trotzki-Brücke über die Peter-und Paul-Festung und der Börse bis hin zur Schlossbrücke. Der Schlossplatz vor der Eremitage war abgesperrt und nur für einige tausend geladene Abiturienten zugänglich. Dort wurden am Abend die besten Abiturienten Russlands gekürt. Aus 500.000 Bewerbungen haben es lediglich zehn Auserwählte geschafft, die einzeln auf die Bühne geholt und mit einem Zuschuss für ihr Studium prämiert wurden. Sie kamen unter anderem aus Moskau, St. Petersburg, Rostow am Don, Jekaterinburg, Tomsk und Wladiwostok. Und sie sagten Sätze: „Glaubt an eure Kräfte, dann wird euch alles gelingen!“, „St. Petersburg wird immer in meinem Herzen bleiben!“, „Träume werden tatsächlich wahr!“ und „Ich wünsche uns allen, dass wir uns das Kind sein bewahren!“.

 

Blutrote Segel umrahmt von einem riesigen Feuerwerk

Den Höhepunkt des Abends bildete ein Auftritt der bekannten russischen Rockband „Zveri“, zu Deutsch „Tiere“. Gegen 1.45 Uhr wurden die ersten Feuerwerksraketen gezündet und um 2 Uhr gleitete das Schiff mit den blutroten Segeln auf der Newa entlang – beklatscht und bejubelt von tausenden Russen. „So viele Abiturienten feiern heute das Ende ihrer Schullaufbahn“, meint Katja Peremochina, „und es ist einfach toll, dabei zu sein“. „Alye Parusa“ gab es in St. Petersburg bereits in 60er und 70er Jahren. 1979 wurde es ausgesetzt, 2005 wieder eingeführt.

Katja Peremochina (links) und Anna Stupina (rechts) besuchen die Berbau-Universität in St. Petersburg und studieren BWL. Foto: Pauline Tillmann.

Auch Katja Peremochina besucht – wie ihre Freundin Anna Stupina – die Bergbau-Universität und hat gerade das zweite Semester beendet. Sie selber

hat zwar in St. Petersburg Abitur gemacht, aber „Alye Parusa“ in diesem Jahr zum ersten Mal miterlebt. Für ihre Zukunft wünscht sie sich vor allem eine Anstellung, die ihr Spaß macht und durch die sie interessante Leute kennenlernen kann. Außerdem würde sie gerne reisen – nach Europa, in die USA und nach Vietnam. An diesem lauen Sommerabend sind diese Pläne aber ganz weit weg. Die 18-Jährige ist froh, dass die Prüfungen vorbei sind und sie sich jetzt erst einmal erholen kann. Deshalb staunt sie über das gigantische Feuerwerk, das die Stadt St. Petersburg eine halbe Stunde lang abfeuert – und über das Schiff mit den roten Segeln, das auch ihr vor Augen führt: Mit dem Studium hat für sie der Ernst des Lebens begonnen.

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