Begleitschutz für Frauen: Die Ritter der Nacht

Ein neuer russischer Freiwilligendienst hat sich auf die Fahnen geschrieben, Frauen vor nächtlichen Übergriffen zu schützen. Foto: GettyImages / Fotobank

Ein neuer russischer Freiwilligendienst hat sich auf die Fahnen geschrieben, Frauen vor nächtlichen Übergriffen zu schützen. Foto: GettyImages / Fotobank

Vor etwa einem Jahr wurde in Russland der Freiwilligendienst „Ein Bruder für die Schwester“ ins Leben gerufen. Junge Männer begleiten Frauen kostenlos abends nach Hause und schützen sie vor Übergriffen.

In Russland wurde der Freiwilligendienst „Ein Bruder für die Schwester" ins Leben gerufen. Junge Männer begleiten Frauen kostenlos abends nach Hause. Und dabei bleibt es auch: Romantische Avancen oder Flirts sind verboten. Die jungen Männer berichten sehr bescheiden über ihre Tätigkeit: „Treffen, am Abend irgendwohin begleiten, bei auftretenden Problemen helfen – das sind die Aufgaben unseres Dienstes. Die Bewegung hat keinerlei politischen oder religiösen Charakter und wurde ausschließlich aufgrund der akuten Relevanz dieses Problems in unserer Gesellschaft ins Leben gerufen", erzählt einer der Freiwilligen.

Natürlich sind auch junge Männer und Senioren Gefahren auf der Straße ausgesetzt. Aber gegen betrunkene Männer, die Frauen anmachen, und Vergewaltiger können die Freiwilligen helfen. Viele Frauen sagen, dass sich kaum jemand an sie herantraue, wenn sie in Begleitung eines Mannes unterwegs sind. Wenn sie jedoch alleine oder mit einer Freundin unterwegs sind, sehe es ganz anders aus. Deshalb sind Frauen, die spätabends nach Hause gehen, auf der Hut – sie bewaffnen sich, zum Beispiel mit Pfefferspray. Jetzt können sie sich zusätzlich an die Freiwilligen der Bewegung „Ein Bruder für die Schwester" wenden.

Der Dienst wurde vor über einem Jahr in Sankt Petersburg ins Leben gerufen und hat sich auf die Fahnen geschrieben, Frauen vor nächtlichen Übergriffen zu schützen. Ihr Gründer, der 29-jährige Denis Schotikow, lebte damals im Sankt Petersburger Umland und half seinen Freunden dabei, ein Gestüt aufzubauen: „Zum Reitunterricht kamen vor allem junge Frauen, und wir hatten immer ein ungutes Gefühl, sie alleine nach Hause fahren zu lassen. Wir beschlossen deshalb, sie zu begleiten. Zudem hörte ich ständig irgendwelche Geschichten darüber, was jungen Frauen auf den Straßen so alles passiert. Damals entstand die Idee, Hilfe für sie zu organisieren. Und da in unserem Gestüt eine nahezu familiäre Atmosphäre herrschte, kam es quasi von selbst zu der Bezeichnung für die Organisation: ‚Ein Bruder für die Schwester'."

 

Die Aufnahmeregeln sind streng

Denis legte im sozialen Netzwerk VKontakte eine Gruppe unter diesem Namen an. Er warb dort junge Männer dafür an, sich als „Brüder" zu engagieren, und rief die „Schwestern" auf, ohne Scheu Anfragen zu schicken: Wer benötigt wann und wo Hilfe?

Die Aufnahme in die Gruppe erfolgt nach strengen Regeln. So trifft Denis sich mit jedem Bewerber persönlich und nimmt dessen Ausweisdaten auf. „Als Organisator trage ich die Verantwortung für jeden Bruder." Inzwischen gibt es in Sankt Petersburg ungefähr ein Dutzend Freiwillige im Alter von 16 bis 40 Jahren. Bisher wurde erst ein einziger Kandidat abgewiesen: ein 14-jähriger Schüler, den seine Mutter nicht als Begleiter sehen wollte. Das Projekt machte im sozialen Netzwerk Schule – bald gründeten sich ähnliche Gruppen in 25 russischen Städten.

In der Ural-Stadt Tscheljabinsk, wo es mittlerweile bereits mehr als 100 „Brüder" gibt, werden die Bewerber sogar auf eventuelle Vorstrafen überprüft. „Jeder Freiwillige durchläuft mindestens drei Bewerbungsgespräche", sagt der Koordinator der Tscheljabinsker Gruppe,

der 19-jährige Student Daniil Kuprijanow. „Wir fertigen in jedem Fall eine Ausweiskopie unserer Mitglieder an, die im Polizeirevier eines der Stadtbezirke Tscheljabinsks hinterlegt wird. Unter unseren Freiwilligen gibt es Mitarbeiter der Polizei, die die Angaben der Kandidaten auf mögliche Vorstrafen hin überprüfen." Überprüft wird auch die körperliche Fitness. Zudem darf der „Bruder" nicht rauchen, trinken oder fluchen.

Die Brüderschaft in Tscheljabinsk erhält jeden Tag ein Dutzend Anfragen. Neben dem üblichen „Begleiten Sie mich bitte heute Abend nach Hause" wird auch konkreter Schutz angefragt: „Mein Ex-Freund bedroht mich. Helfen Sie mir bitte!" Wie sich gezeigt hat, ist gerade das ein großes Problem in Russland. Im ganzen Land leiden Frauen unter ihren Ex-Ehemännern und -Freunden, von denen sie verfolgt, verprügelt oder durch Morddrohungen eingeschüchtert werden. Die „Brüder" in Tscheljabinsk standen bereits einige Male vor der Aufgabe, Frauen vor deren Ex-Freund zu schützen. Glücklicherweise beruhigt sich dieser in der Regel sehr schnell, wenn er erkennt, dass sein Opfer mit einem Beschützer unterwegs ist.

Die Konfrontation mit den Ex-Partnern erfordert in der Regel eine entsprechende physische Ausbildung. Deshalb verbringen die Freiwilligen recht viel Zeit mit Sport. Die „Brüder" in Tscheljabinsks bekommen zum Beispiel kostenlose Sportkurse angeboten, in denen sie ein Ausbilder in Nahkampftechniken trainiert. Ein Tankstellenbesitzer, der erfuhr, dass die „Brüder" mit ihren eigenen Autos die Frauen nach Hause begleiten und besonders gefährliche Stadtbezirke patrouillieren, bot an, die Fahrzeuge des „Bereitschaftsdienstes" kostenlos zu betanken.

 

Vom Pantoffelhelden zum Ritter der Nacht

Aber die Frage „Warum macht ihr das eigentlich?" bekommen die „Ritter der Nacht" trotzdem regelmäßig zu hören. „Auf diese Weise lernt ihr junge Frauen kennen, nicht wahr?", heißt es oft. Denis kann darüber nur lachen: „In Russland gibt es so viele Gelegenheiten, jemanden kennenzulernen. Dafür müsste man nicht einen solchen Aufwand betreiben." Er fügt hinzu: „Ich bin verheiratet. Ich habe vorab mit meiner Frau besprochen, ob wir überhaupt eine solche Organisation in unserer Stadt benötigen." Viele der Freiwilligen sind verheiratet. Aber auch den ledigen Mitgliedern der Bewegung „Ein Bruder für die Schwestern" wird empfohlen, eine Einladung zum Teetrinken nicht anzunehmen.

Die „Brüder" werden oft gebeten, den Computer oder die Steckdose zu reparieren. Doch die Freiwilligen können nicht alle Wünsche erfüllen. Deshalb gibt es auf der Internetseite der Gruppe auch den Hinweis: „Sonstige Hilfe wird nur nach Einverständnis der Freiwilligen erwiesen".

Denis kam aus einem kleinen Dorf in Jakutien nach Sankt Petersburg. Ihn stört immer noch die Gleichgültigkeit der Großstadtbewohner. „Die Menschen hier sind einander vollkommen egal. Wenn etwas passiert,

kannst du nicht auf die Hilfe der anderen zählen. Mich haben die gepanzerten Eingangstüren in den Hausaufgängen hier sehr erstaunt – die Leute denken, dass sie in Sicherheit sind, wenn sie sich in ihren Häusern verbarrikadieren. Aber solange in der Gesellschaft keine Geschlossenheit und keine Streben nach Nachbarschaftshilfe existieren, werden wir Angst haben, alleine auf den Straßen unterwegs zu sein. Es ist an der Zeit, zusammenzuhalten und die Schwachen zu schützen."

Doch alleine sei er dazu nicht in der Lage, glaubt Denis. Er meint, dass viele, wenn nicht sogar alle, Männer den Mut aufbringen könnten, einer Frau in einer Gefahrensituation beizustehen. Jedoch verwirklichten viele dieses Streben nur bei sich zu Hause am Computer: „Sie kämpfen auf dem Bildschirm mit ihrem Panzer und verteidigen die virtuelle Heimat gegen die Feinde aus dem Programm. Dabei sind die richtigen Feinde da draußen auf der Straße und bedrohen ihre Freundin, Schwester oder Mutter." Denis würde sich noch viele weitere Helden auf der Straße wünschen – die „Ritter der Nacht".

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei der Zeitschrift "Ogonjok".

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