Die Restaurierung der Christi-Geburt-Kirche im Dorf Rozhdestweno in der Nähe von Moskau. Foto: ITAR-TASS
In ganz Russland stehen viele orthodoxe Gotteshäuser und Kirchen, die während verschiedener historischen Epochen und in den unterschiedlichsten Stilen errichtet wurden. Viele von ihnen sind künstlerische und architektonische Schönheiten, die jedoch zunehmend verfallen. Heute würde ein Besucher aus Zeiten des vorrevolutionären Russlands mit Tränen in den Augen auf die einstige Herrlichkeit blicken. Bis 1917 waren allein im zentralen Teil Moskaus bis zu 850 Gotteshäuser in Betrieb. Im Jahr 1991 waren nach 70 Jahren Sowjetunion in der ganzen Stadt nur noch etwa 200 erhalten. Kirchen wurden im ganzen Land komplett zerstört oder zu Geschäften, Planetarien, Kinosälen oder Lagern umfunktioniert.
Kunst für die Volksseele
Die Bolschewiken bekämpften die Orthodoxie, die das russische Volk ideell vereinigte. Aber Kirchen sind nicht nur Gebäude zur Religionsausübung, sondern auch bedeutende Architektur- und Kunstdenkmäler. Im Interview mit der russischen Illustrierten „Ogonjok“ beschreibt der amerikanische Schauspieler Bill Murray die große Bedeutung von Kunst: „Kriege
vernichten Menschen, aber es werden neue geboren. Doch wenn man die Kunst von Völkern vernichtet, dann vernichtet man ihre Seele.“
Im Jahre 1988, als die orthodoxen Christen das 1 000-jährige Jubiläum der Christianisierung Russlands feierten, begann der Wiederaufbau zerstörter Gotteshäuser. Das ist eine recht komplizierte Angelegenheit. Denn zunächst muss geklärt werden, wem das Gebäude gehört: dem regionalen Landkreis oder dem Bistum. Danach braucht man den Segen des Geistlichen und man muss sich der Unterstützung des Bistums versichern. Solange jedoch keine Gemeinde gegründet ist, kann das Bistum beim Wiederaufbau der Kirche nicht helfen. Man braucht aber zu einer Gemeindegründung eine Gruppe von mindestens 20 Personen. Weder der Staat noch die russisch-orthodoxe Kirche scheinen sich unmittelbar zuständig für die Restaurierung der Kirchen zu sehen. Die Gläubigen müssen diese Aufgaben alleine bewältigen. Unterstützt werden sie dabei von privaten Initiativen und freiwilligen Helfern.
So wird die Woskresensker-Kathedrale im Moskauer Gebiet restauriert. Foto: ITAR-TASS
So rettet beispielsweise die Wohlfahrtsorganisation Selskaja Zerkow („Dorfkirche“) die Dorfkirchen vor dem Verfall. Die Mitglieder befreien die Dächer und Mauern von Bäumen, entfernen kaputte Mauersteine und führen Sicherungsarbeiten durch. Die Organisation lebt von Spenden und Zuschüssen. „In den 20 Jahren unserer Arbeit haben wir vier Kirchen vollständig restaurieren können, bei zwölf Kirchen haben wir umfangreiche Sicherungsarbeiten durchgeführt. Insgesamt haben wir an mehr als 50 Kirchen gearbeitet“, erzählt Swetlana Melnikowa, die Leiterin von Selskaja
Zerkow. „Manchmal fahren wir durch das Twersker Gebiet und es blutet das Herz beim Anblick der verwahrlosten Kirchen. Wir machen dann auch einfach mal von selbst Halt, obwohl uns niemand darum bittet, und versuchen, die Kirchen von Bäumen und Vegetation zu befreien. Oft mähen wir auf eigene Initiative den Bärenklau ab, der das Gebäude kaputt macht. Aber man müsste ihn eigentlich dreimal pro Sommer mähen. Uns erreichen Briefe aus ganz Russland mit der Bitte, die schönen russischen Kirchen zu retten. Darunter sind auch sehr viele Briefe von jungen Leuten.“
Zu wenig Einsatz
Doch oft finden sich auch unter den Gläubigen nicht genügend engagierte Helfer. Die Mariä-Geburt-Kirche in Malye Wsegoditschi (Gebiet Wladimir) stammt aus dem 18. Jahrhundert. Im Jahr 1961 wurde sie geplündert: Die Plünderer suchten Schätze und durchwühlten die Gräber des Friedhofs.
Die Holzkirche im Dorf Ljadiny Archangelsker Gebiet wurde im 18. Jahrhundert gebaut. Heute ist sie vom Verfall bedroht. Foto: Alexey Kudenko / ITAR-TASS.
Die Ortsbewohner veranstalteten Traktor-Jagden rund um die Kirche. Vor ein paar Jahren beschlossen die Dorfbewohner auf Initiative des Moskauers Alexei Strischow, die Kirche wieder aufzubauen. Die Gemeinde umfasst heute etwa 15 Dörfer im Umkreis. Allerdings kommen nur 30 bis 40 Leute zum Gottesdienst, und am Wiederaufbau der Kirche beteiligen sich nicht mehr als ein Dutzend der Gemeindemitglieder. Strichow ärgert das. „Ich glaube, es gibt heute fast keine echten orthodoxen Gläubigen mehr, es gibt nur noch die Maske der Gläubigkeit“, klagt er. „Alle lassen ihre Kinder taufen, weil sie ‚gut‘ sein wollen, dabei klaffen Wunsch und reale
Verhältnisse auseinander. Sogar zum Bau und Wiederaufbau der Kirchen kommen die Leute statt zum Arbeiten oft nur zum Feiern und Trinken.“
Der Wiederaufbau der Mariä-Geburt-Kirche geht nur langsam voran. Strischow und seine Helfer konzentrieren sich daher darauf, wenigstens den Verfall der Kirche zu stoppen. Für die Rekonstruktion werden fünf Millionen Rubel (etwa 100 000 Euro) benötigt. Im vergangenen Jahr wurden für den Aufbau nur 150 000 Rubel (knapp 3 000 Euro) gespendet, in diesem Jahr waren es wenigstens schon 240 000 Rubel (etwa 4 700 Euro). Strischow erzählt, dass in der Region etwa 170 000 Menschen leben, davon 130 000, die durchaus helfen könnten. „Wenn nur jeder von all diesen Leuten 100 Rubel (etwa zwei Euro) zahlen würde, dann könnte man in der Region eine Kirche pro Monat wiederaufbauen.“
Menschen, die all ihre Energie in die Bewahrung des kulturellen Erbes der Kirchen steckten, gab es in Russland schon immer – sogar in Zeiten, in denen dieses Engagement Repressalien zur Konsequenz hatte. Einer von ihnen war der Kunsthistoriker Pjotr Baranowski. Auf dem Höhepunkt der antireligiösen Bewegung rettete er die alten Architektur-Denkmäler, indem er innerhalb ihrer Mauern die Einrichtung eines Museums durchsetzte. Damit war der Erhalt der Gebäude gesichert. So rettete Baranowski mehr als 90 Kirchen. Er gründete das Museum „Kolomenskoje" und das Museum für den Ikonenmaler Andrej Rubljow im Andronikow-Kloster und bewahrte es vor dem Abbruch. Es soll auch Baranowski gewesen sein, der Stalin ein Telegramm über die Unzulässigkeit des Abrisses der Basilius-Kathedrale auf dem Roten Platz in Moskau geschickt hat. Heute ist die Kathedrale eine der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Moskaus und ganz Russlands. Für sein Engagement wurde Baranowski allerdings verfolgt und verbrachte drei Jahre in Straflagern.
Haben Sie schon einmal für den Wiederaufbau einer Kirche gespendet?
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