Umstrittene Erinnerungsfahrt: Die Nachtwölfe kommen nach Berlin. Foto: Artjom Geodakjan/TASS
Am Samstag wird sich der russische Motorradclub „Notschnyje Wolki", zu Deutsch „Nachtwölfe", auf die Reise machen. Von Moskau aus geht die lange Fahrt über Minsk, Brest, Brünn, Bratislava, Wien, München und Prag. Ihr Ende soll sie am 9. Mai in Berlin finden.
Die Idee dazu entstand bereits vor acht Jahren. Damals, im Jahr 2007, lernten die „Nachtwölfe" die Veteranin Nadeschda Kirillowa kennen, die im Zweiten Weltkrieg Motorradfahrerin in der Späheinheit des 9. Panzerkorps war. Beinahe den gesamten Krieg habe sie auf dem Motorrad verbracht, bis nach Prag habe sie ihr Weg geführt, berichtet der Präsident des Motorradclubs, Alexander Saldostanow, der wegen seines bürgerlichen Berufs „Chirurg" genannt wird.
Der Arzt schwärmt: „Diese Begegnung hat uns stark beeindruckt. Sie konnte sich noch an die Namen all ihrer Kameraden erinnern und wusste auch, wo diese gestorben sind." Die „Nachtwölfe" widmeten Kirillowa eigens eine Motorradshow. Von den daraus erzielten Einnahmen wollten sie ihr ein Haus kaufen, doch sie starb, bevor es dazu kam. „Wir haben das Geld dann an Veteranen aus jüngeren Kriegen, etwa in Afghanistan oder Tschetschenien, gespendet. Denn diese Kriegshelden wurden vom Staat vergessen", erzählt Saldostanow.
Die Fahrtroute der „Nachtwölfe" ist daher auch nicht zufällig gewählt: Sie folgt der Route der Späheinheit des 9. Panzerkorps, in der Nadeschda Kirillowa ihren Dienst geleistet hat. Auf der Reise wollen die Motorradfahrer Halt machen an den Gräbern von Kirillowas Kameraden. „Einige von uns sind diese Route schon einmal gefahren, aber in diesem Jahr wollen wir besonders viele sein", sagt Saldostanow.
Noch ein weiteres Anliegen verfolgen die „Nachtwölfe" laut Saldostanow mit ihrer Aktion. Sie wollen damit gegen eine rechtliche Gleichbehandlung von Angehörigen der Waffen-SS und den Weltkriegsveteranen anderer Länder protestieren. „Wir sind dagegen, die Geschichte umzuschreiben", stellt Saldostanow klar.
In den Ländern, durch die die Route führt, gab es gemischte Reaktionen. Die Regierungen Polens und Tschechiens kritisierten das Vorhaben der Nachtwölfe und nannten es „aggressiv". „Was ist das für eine Regierung, die den Wunsch, die Gräber der Helden zu besuchen, eine Provokation nennt? Das ist eine künstliche Hysterie, die den gegenteiligen Effekt hervorruft", setzt Saldostanow dagegen. „Ein polnischer Motorradklub, der 30 000 Mitglieder hat, hat sich hinter uns gestellt. Wir werden in Polen auch das Wołyń-Denkmal besuchen, das den Polen gilt, die von der Organisation Ukrainischer Nationalisten der Ukrainischen Aufständischen Armee im Zweiten Weltkrieg umgebracht wurden", verspricht Saldostanow. Sollte es
nicht immer möglich sein, in der Kolonne zu fahren, werden sich die Motorradfahrer aufteilen.
Bis zum Schluss bleibt unklar, ob Saldostanow selbst die Reise überhaupt antreten kann. Denn der Biker-Chef gilt als Freund des russischen Präsidenten und ist zudem einer der Initiatoren des „Antimaidan". Er steht auf den Sanktionslisten. Zwar seien noch Visumsangelegenheiten zu klären, räumt Saldostanow ein, doch er gibt Entwarnung: „Ich stehe nur noch auf den Sanktionslisten Kanadas und der USA, aus den europäischen wurde ich bereits gestrichen." Viele Menschen, die Saldostanow seine Freunde nennt, hätten sich empört, warum er überhaupt auf diese Listen gelangt sei, erzählt er.
„Auf den offiziellen Listen stehe ich nicht mehr, aber ich bin sicher, dass es inoffizielle gibt. Mein Antrag für das Visum wurde angenommen, doch ich habe es noch nicht", bemerkt er. Aber auch seine vielen Aktivitäten hätten
Saldostanow beinahe noch einen Strich durch die Rechnung gemacht. „Wir organisieren viele Aktionen, etwa in Moskau, Orjol, Sankt Petersburg, Jekaterinburg", zählt er auf. „Aber nachdem die Aktion einen solchen Hype ausgelöst hat, habe ich gewusst, dass ich auch fahren muss."
Die Bikertour startet am Samstag um 12 Uhr in Moskau. „Zunächst werden 20 Motorräder in der Kolonne fahren, aber ich bin sicher, dass sie nach und nach viel größer werden wird und sich mehr Menschen anschließen", ist Saldostanow überzeugt und fügt hinzu: „Viele unterstützen uns nicht aus politischen Gründen oder wegen irgendwelcher Propagandageschichten, sondern sie finden einfach nur die Aktion gut."
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