In der vergangenen Woche präsentierte das Upsala-Zirkus in Düsseldorf und Bonn ein neues Programm „Der Ping-Pong-Effekt“. Foto: Pressebild
In der vergangenen Woche präsentierte das Upsala-Zirkus in Düsseldorf und Bonn ein neues Programm „Der Ping-Pong-Effekt“. / Pressebild
Vor 15 Jahren reiste die Berliner Sozialpädagogin Astrid Schorn nach Sankt Petersburg, um sich dort für perspektivlose Kinder einzusetzen. Gemeinsam mit der Theaterregisseurin Larissa Afanassjewa baute sie den Zirkus Upsala auf. Dort sollten die Kinder eine Alternative zur Straße und eine Perspektive finden.
Inzwischen gehören über 60 Kinder und Jugendliche zum Zirkus. Jeden Tag treffen sie sich zum Training und manchmal gestalten sie auch die Freizeit gemeinsam. Die Voraussetzung für die Teilnahme am Zirkusprojekt ist, dass sie morgens zur Schule gehen und auf ihren Körper achten.
Der Zirkus nennt mittlerweile ein eigenes Zirkuszelt sein Eigen. In Sankt Petersburg sind die Vorstellungen immer ausverkauft. Zur Jubiläumsvorstellung kamen über 2 000 Zuschauer, viele davon nicht zum ersten Mal. Die treuesten Fans bekamen ein kleines Geschenk. „Wir hatten nicht einmal Einladungen verschickt", freut sich Afanassjewa über die Bekanntheit ihres Projekts, das sich hauptsächlich durch Spenden finanziert.
Moderner Ausdruckstanz, atemberaubende Akrobatik, virtuoses Jonglieren, perfekte Pantomime und fantastische Musikbegleitung – das zeichnet den Zirkus Upsala aus, der mit seinen Auftritten schon Zuschauer in ganz Europa, sei es in Belgien, Dänemark, Finnland oder Großbritannien, begeisterte. Auch in Deutschland waren die jungen Zirkuskünstler häufig zu Gast, die deutsche Fangemeinde ist groß.
In der vergangenen Woche präsentierten sie in Düsseldorf und Bonn ihr neues Programm „Der Ping-Pong-Effekt". Darin geht es um einen Tischtennisball, der plötzlich ins Zentrum des Geschehens rückt. „Die Artisten nehmen den Rhythmus auf und bebildern ihn mit Jonglage, Zirkustricks und Akrobatik. Zu einer eigens komponierten elektronischen Musik, angereichert mit Stimmen und Geräuschen, entstehen im Laufe der Performance fantastische Traumbilder mit Ping-Pong-Bällen", beschreibt Afanassjewa die Handlung in einem Gespräch mit der „Westdeutschen Zeitung".
In Europa fühlen sich die jungen Artisten wohl, es sei viel entspannter dort aufzutreten, sagen sie. Das Publikum würde nicht so viel von ihnen erwarten. Das ist etwas, worüber sich Afanassjewa wundert, denn schließlich läge den Kindern und Jugendlichen „Risikobereitschaft und der Wunsch zu gefallen" doch im Blut. Leistungsbereit müssten sie ohnehin sein, die jungen Leute, egal wo sie herkämen oder welche Beeinträchtigung sie hätten: „Ob Down-Syndrom oder Autismus, bei uns ist das kein Thema. Jeder ist ein Artist und muss sein Bestes geben", stellt die Regisseurin klar. Einmal im Jahr veranstaltet der Zirkus einen Aufnahmewettbewerb. „Der coolste Zirkus aller Zeiten sucht eure Talente!", sagt Afanassjewa dann zu den Kindern und Jugendlichen. Viele würden das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, gar nicht kennen.
Seit 15 Jahren holt der Zirkus Upsala Kinder von der Straße. Foto: Pressebild
Nach einem Jahr Vorbereitungszeit und dem Ablegen einer Prüfung sind sie reif für die Manege. Einige „Zirkusrabauken", wie sie sich nennen, bleiben dem Zirkus treu und arbeiten später dort als Trainer. Voraussetzung für die Mitarbeit ist eine pädagogische Ausbildung. Für viele Anreiz genug, den Absprung von der Straße zu schaffen und ein Studium aufzunehmen. Bei den Auftritten blickt das Publikum stets in strahlende Gesichter, doch manche ihrer Schützlinge kommen aus schlimmen Verhältnissen, erzählt Larissa Afanassjewa. Mitleid hat sie dennoch nicht, sondern empfindet großen Stolz, weil sie so stark seien. Sie sieht sich nicht als Ersatzmutter, sondern bleibt die Regisseurin. Nur wenn jemand den Zirkus verlässt und „zurück in die Hölle" geht, zurück auf die Straße, bricht ihr fast das Herz. Aber sie ist überzeugt, dass auch der kürzeste Aufenthalt beim Zirkus Upsala nicht umsonst war: „Der Weg, den sie mit uns zusammen gegangen sind, bleibt in ihren Herzen. Sie haben etwas, worauf sie stolz sein können."
Stolz sein, das kann auch Anton, der eine wichtige Rolle beim letzten Programm „Die Macht des Traums" gespielt hat. Erstmals ging der Zirkus Upsala damit auch in Russland auf Tournee, 13 Städte standen auf dem Spielplan. Anton ist Autist und zunächst hatte selbst seine Mutter große Bedenken, ob er alles schaffen würde. Aber dann begeisterte er nicht nur Krasnodar und Nowosibirsk, sondern später auch das britische Publikum. Das sei die wahre Macht des Traums, meint Afanassjewa.
Die zwölfjährige Sophia ist fast schon ein altes Zirkuspferd. Dreimal war sie bereits auf Europa-Tournee und begegnet Journalisten routiniert. Aufgeregt ist sie nur noch vor einer Premiere. Der 18-jährige Maxim war schon zum sechsten Mal mit dem Zirkus in Deutschland. Er weiß, dass eine gute Vorbereitung gegen Lampenfieber hilft. Auf einer Tournee wird jeden Tag drei Stunden geprobt, so lange, bis alles klappt. Maxim besucht inzwischen eine Marineakademie, aber sein Herz gehört weiter dem Zirkus. Sein großer Traum ist es, in Frankreich eine Zirkusschule besuchen zu können. Auch Sophia träumt von einem Leben als Artistin. Sie und Maxim sind sich einig: „Zirkus ist halt unser Leben."
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