Leben nach der Haft: Wie russische Strafgefangene resozialisiert werden

Pavel Lisitsyn / RIA Novosti
Endstation Knast? Für viele Inhaftierte ist es schwer, nach Verbüßung ihrer Strafe in der Gesellschaft wieder Fuß zu fassen, insbesondere im Berufsleben. Staatliche Unterstützung gibt es kaum. Einige private Initiativen unterstützen die Rehabilitation.

Auch in Russland ist die Resozialisierung ehemaliger Strafgefangener ein Thema. Vor allem gestaltet es sich schwierig, wieder Fuß zu fassen in der Gesellschaft. Dies gilt insbesondere für die berufliche Wiedereingliederung. Bei der Arbeitssuche begegnen den Ex-Häftlingen oft Misstrauen oder Abneigung. Mit einem „Knacki“ wollen nur die wenigsten etwas zu tun haben. Häufig fehlt es aber auch an einer beruflichen Qualifikation und manche haben im Gefängnis verlernt, ihren Alltag selbständig zu bewältigen.

Mehr als 600 öffentliche und private Einrichtungen versuchen, Hilfen anzubieten. Der Staat halte sich jedoch sehr zurück mit Unterstützung, weiß Olga Romanowa, Leiterin von Einsitzendes Russland, einem Fonds für Sträflinge und deren Familien. Nur jedem Zehnten werde geholfen. Manchmal verläuft die Rehabilitation aber auch sehr erfolgreich: Einigen entlassene Häftlingen gelingt der Sprung in die berufliche Selbständigkeit. Oft helfen die Neu-Unternehmer dann anderen ehemaligen Strafgefangenen.

Aus dem Knast in die eigene Werkstatt

Jewgeni Morosow ist so ein Fall. Er saß in einer Strafkolonie im Gebiet Iwanowo ein. Die Haftbedingungen waren hart. Nach seiner Freilassung im Oktober 2015 gründete er eine Tischlerei in Noginsk in der Oblast Moskau. Heute baut er zusammen mit anderen Ex-Häftlingen Möbel nach Maß, günstig, aber dennoch qualitativ hochwertig. Innerhalb von nur sechs Monaten machte er sich einen guten Namen bei der lokalen Bevölkerung. „Die Idee für die Tischlerei kam mir noch in der Kolonie", erzählt Morosow. „Ich habe dort beobachtet, wie gut einige dieses Handwerk beherrschen, was sie aus Holz erschaffen konnten.“

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In der Kolonie arbeiten Häftlinge verpflichtend von acht Uhr morgens bis halb zwölf in der Nacht. Sie bauen Möbel, arbeiten mit Eisen und Textilien, nähen Bettwäsche. „Wer nicht zur Arbeit kommt, wird bestraft“, berichtet Morosow. Der Lohn liege bei 1 500 Rubel im Monat, im Schnitt seien es aber nur 600 bis 700, die verdient werden könnten. Die Arbeit könne frei gewählt werden. „So habe ich die Kunst der Tischlerei gelernt“, sagt der heutige Tischlermeister.

Nach der Entlassung beschäftigte er sich zunächst mit Bauaufträgen. Er sparte das verdiente Geld und eröffnete seine eigene Werkstatt. Das Unternehmen ist nicht sehr groß. Auf 300 Quadratmetern arbeiten hier insgesamt acht Personen. Morosows Ehefrau macht Werbung im Internet. Zudem engagiert sie sich für ehemalige Häftlinge, hilft ihnen bei der Vermittlung in ein festes Arbeitsverhältnis. „Bei vielen dauert es ein oder zwei Jahre, bis sie etwas finden. Viele fangen dann in der Zwischenzeit an zu trinken“, sagt Morosow.  

Perspektiven statt Strafe

Bei jugendlichen Straftätern ist die Situation etwas besser. Hier hat sich im Bereich Rehabilitation sehr viel getan. So landen deutlich weniger Jugendliche in den Strafkolonien. Im Jahr 2003 saßen 16 491 junge Menschen dort ein, im Jahr 2015 waren es nur noch 1 683. Bis zum 18. Lebensjahr wird bevorzugt eine Bewährungsstrafe verhängt. In einem solchen Fall macht das Gericht strenge Auflagen für den Erhalt der Freiheit, etwa eine Ausgangssperre und die Pflicht, die Ausbildung fortzusetzen oder zu arbeiten.

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Vor zwölf Jahren startete in Sankt Petersburg auf der Wassilijewski-Insel ein einzigartiges Projekt – das Zentrum Sankt Wassili der Große. Initiiert wurde es vom Oberhaupt der Kirche der heiligen Anastasia von Sirmium. Es ist die einzige nichtstaatliche Institution in Russland, die Problemkindern kostenfreie Unterkunft und Betreuung bietet. Der Leiter dieses Rehabilitationsprogramms, Arkadi Klatschan, ist überzeugt davon, dass es besser ist, wenn die straffälligen Jugendlichen nicht in ihrer häuslichen Umgebung bleiben. Dort seien sie schließlich auffällig geworden und zudem habe es kaum Strafcharakter, zu Hause bleiben zu dürfen. Das erhöhe das Rückfallrisiko.

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Von den 210 Jugendlichen, die seit der Gründung auf der Wassilijewski-Insel Zuflucht fanden, begingen weniger als 20 im Erwachsenenalter erneut Straftaten. „Wir wissen, was eine Kinderstrafkolonie bedeutet und dass es besser für ein Kind ist, dort nicht zu landen“, sagt Denis Nikitenko, ein Mitarbeiter des Zentrums. Das moderne Strafvollzugssystem mache Menschen nicht besser, erst recht nicht Jugendliche. „Wir haben keine Zäune mit Stacheldraht.

Die jungen Menschen können hier Sport treiben, sie machen Parcours, tanzen oder können sich kreativ beschäftigen, alles kostenlos“, so Nikitenko. Doch Pflichten gebe es durchaus auch im Zentrum. „Es müssen verschiedene Dienste geleistet werden. Dazu gehören Museumsbesuche oder Theateraufführungen oder Mithilfe in der Keramikwerkstatt.“ Einige Jugendliche aus dem Zentrum Sankt Wassili der Große verlassen es mit einem fertigen Plan für eine eigene Werkstatt in der Tasche. Bisher ist das aber noch eher die Ausnahme.

RBTH-Check:

Laut dem Föderalen Strafvollzugsdienst gab es in Russland bis Anfang März 650 613 Häftlinge. 526 343 davon befinden sich in Strafkolonien, von denen es in Russland insgesamt 720 gibt. Im Jahr 2015 lag die Zahl der zum ersten Mal Inhaftierten bei 194 310. Im gleichen Zeitraum saßen 199 472 Wiederholungstäter ein.

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