Auf den ersten Blick sieht die schlossähnliche Villa hinter dem hohen Zaun wie ein ganz gewöhnliches Anwesen in einem noblen Moskauer Vorort aus. Hinter der Einfahrt ein edler Fuhrpark. Im Herrenhaus: Stuck, Kronleuchter, Sessel und Sofas wie zu Zeiten Ludwigs XIV., Ikonen. Schwere Vorhänge halten das Licht draußen. Was wie eine historische Kulisse aussieht, ist das Domizil Sacharij Kalaschows – des Paten der russischen Unterwelt, besser bekannt als Schakro Molodoi. Sein Anwesen sehen wir durch die Kamera einer Sondereinheit der russischen Polizei.
Haus von Schakro Molodoi. Foto: TASS
Hochgenommen wird Schakro wegen Verdachts auf Erpressung. Ehemalige Sicherheitsbeamte und korrupte Polizisten sind in den Fall involviert, es gibt Tote. Schakro bleibt ruhig, es ist nicht seine erste Festnahme. Dreimal stand er schon vor Gericht. In Europa lenkte er die Finanzströme russischer Verbrecher. Ein spanisches Gericht verurteilte ihn wegen Geldwäsche und Gründung einer kriminellen Vereinigung. Nach neun Jahren Haft ist er im Oktober 2014 an Russland ausgeliefert worden. Hier kam er wieder auf freien Fuß.
Schakro Molodoi. Foto: ReutersSchakro, geboren in Baku, ist ein „Dieb im Gesetz“: Vertreter einer kriminellen Kaste, die in den Dreißigerjahren in der Sowjetunion entstand. Anders als ihr Name vermuten lässt, klauten ihre Angehörigen nicht. „Dieb im Gesetz“ war ein Ehrentitel für Männer, die unter den Kriminellen als Autoritäten und Streitschlichter anerkannt waren. Sie wahrten den Ehrenkodex der „Diebe“: Ehe, Arbeit, Eigentum, Kontakte zum Staat – all das war verboten. Die Bande zu verraten, Schulden zu begleichen und derart mehr war eines „Diebes“ unwürdiges Verhalten und tabu.
Eigentlich sei diese Kaste in den Sechzigern ausgelöscht worden, als auf die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung die Todesstrafe eingeführt wurde, sagt Michail Paschkin von der Gewerkschaft der Moskauer Polizei. Heute ist ein „Dieb im Gesetz“ nur der Kopf einer kriminellen Bande. Aus der Sowjetzeit überliefert sind lediglich das Initiationsritual – die „Krönung“ – und die gemeinsame Diebeskasse.
Gekrönt wurden früher die Koryphäen der Unterwelt. Heute ist der Titel zu kaufen. Je nach Ansehen des Käufers beginnt eine Krönung bei einigen hunderttausend Rubel, nach oben sind keine Grenzen gesetzt. „Wenn eine Bande dringend Geld benötigt, krönen sie schnell jemanden, der dessen gar nicht würdig ist. Nach fünf Minuten entziehen sie ihm den Titel wieder, eines kleinen Vergehens gegen den Ehrenkodex wegen. Das Geld behalten sie natürlich“, erklärt das russische Nachrichtenportal Primecrime.
2015 hat Primecrime weltweit 485 „Diebe im Gesetz“ ausgemacht. Nur ein Viertel von ihnen – 118 Personen – waren damals hinter Gittern. „Viele kooperieren mit den Sicherheitsbehörden“, erklärt Polizeivertreter Paschkin.
So habe einer von ihnen im Jahr 2008 die Polizei über ein geplantes Treffen der „Diebe“ informiert. Was folgte, glich einem Hollywood-Blockbuster: Eine Jacht mit den Paten an Bord, Polizeihubschrauber, Sturmeinheiten, Festnahmen. 39 „Diebe“ wurden damals verhaftet. Nach nur 24 Stunden waren die meisten von ihnen wieder frei.
„Heute üben die Diebe ihren Einfluss weit jenseits der Grenzen der ehemaligen Sowjetunion aus. Das ist ein ganzer Konzern“, heißt es bei Primecrime. In Russland habe jede Stadt, gar jedes Dorf einen Vertreter der Unterwelt. Michail Paschkin von der Polizeigewerkschaft stimmt dem zu: „Sie kontrollieren große Geldströme, Unternehmen, ganze Branchen. Sie schmieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft, die Ermittler“, sagt er.„Bei einer Bandenschießerei in einem Restaurant haben Polizisten es sich in ihrem Einsatzwagen wie in einem Kino gemütlich gemacht, statt einzuschreiten“, berichtete einmal die Zeitung „Kommersant“. „Einer von ihnen hatte sogar Snacks dabei“, so das Blatt.
Nach der Verhaftung Schakros werden die Karten unter Russlands Kriminellen neu gemischt: „Wie einflussreich ein Dieb im Gesetz auch sein mag, aus dem Gefängnis heraus kann er die Dinge nicht steuern. Schon bald wird jemand anderes den Platz von Schakro Molodoi einnehmen“, mutmaßt Primecrime.
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