Während in Europa Frauen in Burkinis häufig zu sehen sind, ist der Badeanzug unter den mehr als 20 Millionen russischen Muslimen wenig populär.
DPA/Vostock-PhotoDas Burkini-Verbot in manchen Städten Frankreichs hat für eine rege Diskussion in Europa gesorgt. Russland distanziert sich jedoch von dieser Debatte. Obwohl mehr als 20 Millionen Muslime in Russland leben – 15 Millionen sind russische Staatsbürger und etwa vier bis sieben Millionen sind Arbeitsmigranten aus den ehemaligen Sowjetrepubliken – und viele Musliminnen traditionelle Kleidung tragen, sind Burkinis in Russland kaum verbreitet.
Die Personalmanagerin Maria Sagrjadskaja hat kürzlich mit ihrer Familie einen Urlaub in der nordkaukasischen Republik Dagestan am Kaspischen Meer verbracht, wo die Mehrheit der Bevölkerung Muslime sind. Dort habe sie keine Frauen in Burkinis gesehen, erzählt sie RBTH: „Die einheimischen Musliminnen haben in ihrer normalen Kleidung gebadet.“
Dabei findet die 30-Jährige Burkinis sinnvoll: „Das ist ja ein spezieller Badeanzug, der dafür gedacht ist, dass man baden kann, ohne den Körper zu zeigen. Ein Burkini wäre besser als normale Kleidung, die nass und eng ist und im Endeffekt nichts verschleiert“, meint Sagradskaja. Es seien auch viele Touristinnen aus Inguschetien, einer muslimischen Republik im Nordkaukasus, vor Ort gewesen. „Aber auch diese Frauen hatten normale Badeanzüge an“, berichtet Maria Sagradskaja.
In der tschetschenischen Republik hingegen sind Burkinis keine Seltenheit, wie der Kaukasusspezialist Wladimir Sewrinowskij erklärt, der auch Autor eines Reiseführers für Tschetschenien ist: „Der Trend hier sieht so aus: Die Anzahl der Frauen ohne Kopftuch nimmt stark ab und die Anzahl derer mit Hidschab nimmt stark zu. Deswegen baden tschetschenische Frauen entweder in ihrer Kleidung oder in einem Burkini. Manche, weil sie nach der Scharia leben, und manche, weil sie die Aufmerksamkeit scheuen.“
Viele Musliminnen in Russland tragen traditionell muslimische Kleidung: sehr oft einen Hidschab, ein Kopftuch, das das Gesicht nicht verschleiert. „Einen Niqab, der das Gesicht komplett verschleiert und der in vielen europäischen Ländern verboten ist, tragen Musliminnen in Russland fast nie. Wenn eine Frau einen Niqab trägt, dann heißt es, sie hat sich von der Gesellschaft distanziert. Und so darf sie nicht mehr sozial aktiv sein“, erklärt die Journalistin Bokowa.
„Es gibt keine Probleme mit einem Hidschab in Schulen oder Universitäten in den muslimischen Republiken der Russischen Föderation. Studentinnen können ruhig ein Kopftuch tragen“, ergänzt Rais Sulejmanow, Experte für Islamische Kultur beim Nationalen Strategieinstitut. „In Tatarstan haben Musliminnen 2002 und 2003 vor Gericht ihr Recht auf ein Passfoto mit Hidschab verteidigt. Früher akzeptierten die Bürgerämter keine Passfotos mit Hidschab, es hieß, man dürfe nicht mit einer Kopfbedeckung fotografiert werden. Aber die muslimischen Aktivistinnen haben diese Änderung erreicht“, sagt Sulejmanow.
Urlauberinnen im Resort „Laguna“, einem Badestrand für Frauen im Dorf Aldy nahe der tschetschenischen Hauptstadt. / Yelena Afonina/TASS
Viele Muslime leben im europäischen Teil Russlands, vor allem in Großstädten wie Moskau oder Sankt Petersburg. In den Städten ist die Bevölkerung kosmopolitischer und toleranter als in der Provinz. Nasima Bokowa wohnt in Moskau und trägt seit mehr als 15 Jahren einen Hidschab. „Die russische Gesellschaft ist in der letzten Zeit der muslimischen Kleidung gegenüber deutlich toleranter geworden. Ich habe während dieser 15 Jahre noch kein einziges Mal irgendeine Aggression erlebt“, erzählt die Journalistin. Vor allem die unter 30-Jährigen seien Frauen im Hidschab gegenüber toleranter, Menschen über 50 Jahre eher weniger.
Doch fährt man nur 100 bis 150 Kilometer aus Moskau raus, stößt man auf eine andere, eher negative Reaktion. „In einer kleinen Stadt wirkt eine Frau mit Hidschab eher verstörend oder sogar schockierend auf die anderen. Das lässt sich zum Teil dadurch erklären, dass es in solchen Städten wenige Frauen mit Hidschab gibt“, sagt Bokowa. Bedauernd fügt die Journalistin hinzu: „Die Medien, die über islamistische Terroristen berichten, tragen auch dazu bei, dass Muslime insgesamt ein schlechtes Image haben. Das alles führt zu Islamophobie.“
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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