Es gibt viele Gerüchte über den Moskauer Untergrund. Was ist Wahrheit, was ist Fiktion? Die „Metro-2“ zum Beispiel: Unter der Stadt sollen sich geheime Transportwege von Militär und Regierung verbergen, eine zweite U-Bahn also. Es gibt Regierungsvertreter, die das nicht zugeben wollen – aber auch nicht bestreiten. Doch Genaueres weiß niemand, nicht einmal die engagiertesten Verschwörungstheoretiker. Besteht diese Metro-2 aus nur einer Linie oder aus einem ganzen Liniennetz? Oder findet sich im Untergrund gar eine Stadt, in der bis zu 15 000 Menschen leben könnten?
Es gibt Hunderte und Tausende Vermutungen. Gemeinsam haben sie, dass sie alle geheimnisvoll und gefährlich anmuten. Der überzeugte Verschwörungstheoretiker Konstantin will einst das Klacken von Militärstiefeln am vermeintlichen Eingang zur Metro-2 gehört haben. „Unheimlich“ sei das gewesen, erzählt er. Er vermutet, dass dort noch der KGB aktiv ist: „Sie halten dort vielleicht noch Wache.“ Eine andere Verschwörungstheoretikerin behauptet, dass auf einen ihrer Bekannten geschossen worden sei, als er auf der Suche nach dem Zugang zur Metro-2 war.
Spektakuläre und abenteuerliche Geschichten sind es, die sich um den Moskauer Untergrund ranken. Und diese finden nicht nur bei Fantasten Gehör, auch die Öffentlichkeit saugt sie auf. „Schon damals in meiner Kindheit erzählte mir meine Großmutter von der Metro-2 und später auch von den mutierten Ratten, die dort leben sollen“, berichtet etwa die Moskauerin Walerija.
Artikel über diese Riesenratten waren in den 1990er-Jahren regelmäßig in der Boulevardpresse zu lesen. Splinter aus der bekannten Zeichentrickserie „Teenage Mutant Ninja Turtles“ hätte demnach in den Katakomben Moskaus seinesgleichen finden können. „Wissenschaftlich gesehen, kann die Strahlung, die aus dem Bodengestein ausgeht, tatsächlich Mutationen bei Ratten hervorrufen“, ist Pawel überzeugt, ebenfalls ein Verschwörungstheoretiker. „Sie leben in den Maschinenräumen, doch niemand hat sie je gesehen.“ Ob das daran liegen könnte, dass es sie vielleicht gar nicht gibt ..?
Passanten behaupten, aus dem ehemaligen Berija-Haus Frauenschreie gehört zu haben. Foto: Lori / Legion-Media
Sagenumwoben sind allerdings nicht nur vermeintliche geheime Untergrundbahnen und angebliche unterirdische Bunker der Sowjet-Elite, sondern auch durchaus Bauten, die man an der Oberfläche vorfindet. So beispielsweise das Haus von Lawrentij Berija, einst Volkskommissar für Inneres und rechte Hand Stalins.
Berija soll bei einer Vernehmung 1953 die Entführung und Vergewaltigung von zig Frauen gestanden haben. Inwieweit das der Wahrheit entspricht, lässt sich allerdings nicht mehr nachvollziehen. Berija wurde von Chruschtschow kaltgestellt und belastende Dokumente sollen unmittelbar nach Berijas Erschießung gefälscht worden sein. Doch das Bild von Berija, dem Sadisten, hält sich hartnäckig in der Öffentlichkeit. Über sein Moskauer Haus werden noch immer düstere Geschichten erzählt.
Es heißt, um Mitternacht könne man in der Malaja Nikitskaja Uliza die Motorengeräusche eines Autos hören, aber zu sehen sei es nicht. Auch Schritte seien zu vernehmen. Ob es Berija ist, der in sein Haus zurückkehrt, um sein perverses Treiben fortzusetzen? Jedenfalls behaupten Passanten, aus dem Haus Frauenschreie gehört zu haben. Skeptiker haben eine nüchternere und auch langweiligere Erklärung: Heute sind Angehörige der tunesischen Botschaft in dem Haus untergebracht. Vielleicht beklagen diese ihre langen Arbeitszeiten.
Das Zentrum der Stadt ist jedoch nicht der einzige Ort, über den düstere Legenden und Gerüchte kursieren. So erzählt man sich in Russland, dass in der Landhaussiedlung Peredelkino, einem Außenbezirk Moskaus, im Jahre 1812 Hunderte Soldaten aus Napoléons Armee begraben wurden. Liebhaber des Paranormalen schreiben den angeblichen Grabhügeln mystische Fähigkeiten zu: Technik würde dort versagen, Reisende verirrten sich dort immer wieder.
Doch Massengräber wurden keine gefunden. „Im 19. Jahrhundert betrieben Archäologen an diesem Ort Ausgrabungen, bei denen sie slawische Grabhügel freilegten. Da der grausame Krieg gegen Napoléon aber noch in den Köpfen der Bewohner war, glaubten sie, dass dies Grabhügel französischer Soldaten seien“, erklären Mitarbeiter des Historischen Museums in Moskau.
Der Frauengeist vom Fernsehturm sagt Unglücke voraus. Foto: Denis Murin / RIA Novosti
Im Bezirk Ostankino steht der höchste Fernsehturm Europas. Von dort aus kann man offenbar bis in die Zukunft schauen. Es geht die Legende, dass hier der Geist einer im 16. Jahrhundert ermordeten alten Frau sein Unwesen treibt. Dieser Geist soll Unglück voraussagen können, davon sind die Bewohner überzeugt. Angeblich habe sie den Mord an einem Journalisten und den Brand im Turm von Ostankino im Jahr 2000 vorhergesagt.
Wer weiß schon, ob nun nicht auch dort in Ostankino mutierte Ratten vom Büro des ermordeten Journalisten Besitz nehmen – Strahlung gibt es dort schließlich auch. Wahrscheinlicher als all die geheimnisumwitterten Geschichten rund um den Fernsehturm scheint immerhin die, dass beim Bau ein Bulldozer gegen die Wand des Turms gefahren wurde. Das klingt jedoch weitaus weniger spannend. Jana Sidorowa, die sich wissenschaftlich mit den Legenden rund um Ostankino auseinandersetzt, weiß, dass die Beschäftigten des Turmes nicht an diese Geschichten glauben.
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