Alexander Shmonov
Ruslan Shamukov/RBTHÄußerlich ist er ein Mensch wie jeder andere. Doch in seinem Kopf wimmelt es von Ideen, wie die Welt verbessert werden könnte. Die erste war, Michail Gorbatschow zu töten. / Ruslan Shamukov/RBTH
Alexander Schmonow ist ein gastfreundlicher Mann. Gleich an der Türschwelle lädt er mich zu Tee und Kuchen ein. Ich darf reinkommen und mir einen Platz aussuchen – wo immer es mir gefällt. Platz aber gibt es in seiner Ein-Zimmer-Wohnung nicht. Sie ist gefüllt mit Kisten voll alter Kleidung, selbst auf seinem Bett liegt ein Karton. Es ist völlig unklar, wo Alexander schläft und isst: Auch die Küche ist vollgestopft.
Schmonow (m.) während einer Wahlkampfveranstaltung in der Stadt Kolpino nahe Sankt Petersburg im Frühjahr 1990. / M. Sharapov/RIA Novosti
Letztlich rede ich mit ihm im Stehen. „Ich bin gerade erst eingezogen“, erklärt Schmonow das Chaos. Sogleich weiht mich der 64-Jährige in seine Zukunftspläne ein, die für einen Rentner schon sehr ungewöhnlich sind: „Meine alte Wohnung habe ich verkauft und mir von dem Geld eine neue gekauft. Das Haus wird aber erst gebaut. Deshalb wohne ich hier, zur Miete. Sobald die neue Wohnung fertig ist, verkaufe ich sie. Einen Teil vom Erlös behalte ich und für den Rest stelle ich drei Softwareentwickler ein, die meine Erfindung verwirklichen werden.“
Die Erfindung, an der Schmonow schon seit Jahren arbeitet, beschreibt er so: „Eine Erfindungsmethode, mit deren Hilfe drei Programmierer mit Leichtigkeit Computerprogramme erstellen können, mittels derer ein Computer viele Erfindungen ohne menschliches Zutun erfinden kann.“
Der letzte Terrorist der Sowjetunion hat ein ganzes Dutzend solcher Einfälle. Jede davon erklärt er mir bis ins Detail. „Eine Methode zur Steigerung des Lebensstandards aller Nicht-Unternehmer Russlands um das Zwei- bis Dreifache pro Jahr“. „Eine Methode zur Reduzierung der Quantität und Qualität des Betrugs an Käufern“. Oder: „Eine Methode zur Verbesserung der Landesbürger und zur Schaffung von menschlichen Kopien zu diesem Zweck“. Und sogar: „Eine Methode zur Verbesserung der sexuellen Fähigkeiten eines Mannes ohne Präparate“. Diese ist ihrem Erfinder nach denkbar einfach: Der Mann müsse nur Tag und Nacht mit weit gespreizten Beinen stehen.
An dieser Stelle begreife ich, dass Schmonows psychiatrische Behandlung – im Unterschied zu Wiktor Iljin, dem Attentäter, der Breschnew erschießen wollte und ebenfalls in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde – wohl tiefe Spuren hinterlassen hat.
"Ein bisschen geschlagen hat man uns schon", erzählt Alexander Schmonow. Quelle: Youtube/RBTH
Überhaupt sind die Geschichten der beiden Terroristen auf wundersame Weise ähnlich. Wie Iljin auch, wurde Schmonow in Leningrad geboren und führte zunächst das ordentliche Leben eines Sowjetbürgers: Abschluss als Bauingenieur, Arbeit in einer Fabrik. Bis eines Tages die Erhellung über ihn kam. „1975, nachdem Breschnew die Schlussakte von Helsinki unterzeichnet hatte, konnten „BBC“ und „Voice of America“ in der Sowjetunion zeitweise ungestört empfangen werden. Da habe ich zum ersten Mal die ganze Wahrheit über das Leben in der Sowjetunion erfahren, über die Verfolgung Andersdenkender und Dissidenten. Da wurde mir klar: Das totalitäre System ist ein Monster“, sagt Alexander.
Wie auch Iljin schickt Schmonow einen Brief an den Kreml, in dem er direkte Präsidentschafts- und Parlamentswahlen fordert. Und ebenso wie Iljin beschließt Schmonow, den sowjetischen Staatschef umzubringen, als er keine Antwort auf sein Ultimatum erhält. Um seinen Plan umzusetzen, fährt er am 73. Jahrestag der Revolution nach Moskau, wo auf dem Roten Platz eine Demonstration im Beisein Michail Gorbatschows stattfinden soll. „Meiner Frau sagte ich, dass ich ein paar Tage auf der Datsche verbringen wolle. Aber ich habe mich in den Zug gesetzt und bin in die Hauptstadt gefahren“, erzählt Schmonow.
Am 7. November 1990 wurde der 73. Jahrestag der Oktoberrevolution in Moskau gefeiert. An der Demonstration auf dem Roten Platz nahmen der Präsident der Russischen Teilrepublik (RSFSR) Boris Jelzin (l.) und der Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Michail Gorbatschow (r.) teil. / Vasily Egorov / Vladimir Musaelyan/TASS
Seinen Komplizen lernte Schmonow in der Leningrader Volksfront kennen, einer inoffiziellen Organisation mit rund 2 000 Mitgliedern, die die Demokratisierung des Staatssystems forderte. 1989 trat Schmonow der Vereinigung bei. Im Frühling des darauffolgenden Jahres kam ein Gesinnungsgenosse auf Schmonow zu und sagte halb im Scherz, für die Revolutionsfeier halte er eine Pistole bereit.
„Wir haben vereinbart, dass wir bei der Demonstration auf dem Roten Platz mitmarschieren. Wenn wir am Mausoleum vorbeigehen, von dort aus begrüßte die Sowjetführung die Demonstranten, hole ich mein Gewehr raus und ziele auf Gorbatschow. Mein Komplize hält mir mit der Pistole den Rücken frei, damit mir niemand zu nah kommt“, so Schmonow. „Aber als es soweit war, bekam er Angst. Im entscheidenden Moment marschierte er einfach mit der Kolonne weiter. Ich holte das Gewehr raus, bis ich aber die Sicherung bedient und das Ziel ins Visier genommen hatte, war ein Polizist auf mich zugelaufen und rüttelte am Gewehrlauf. Die Kugeln flogen an Gorbatschow vorbei. Und danach fiel die Menschenmenge über mich her.“
Warum ausgerechnet Gorbatschow, will ich wissen. Er habe doch die Perestroika initiiert, die Grenzen geöffnet, die Zensur in den Medien aufgehoben. Doch Alexander bleibt seiner Überzeugung treu: „Er ist direkt für den Tod von Menschen in Baku und Tiflis verantwortlich. Er hielt sich selber nicht an den Freiheitskurs, den er verkündet hatte. 1990 wurde ich drei Mal verhaftet, nur weil ich Flugblätter mit dem Aufruf, nicht für die Mitglieder des ZK zu stimmen, verbreitet hatte.“
Schmonows Plan ging nicht auf. Noch am Tatort wurde er verhaftet. / Sergey Subbotin/RIA Novosti
Nach dem gescheiterten Attentat kommt Schmonow ins Moskauer Lefortowo-Gefängnis. „Einen Monat saß ich dort, bis man mich für unzurechnungsfähig erklärte und in die Anstalt verlegte“, erzählt er. „Obwohl ich vor dem Kauf der Waffe alle nötigen Bescheinigungen über die psychische Gesundheit eingeholt hatte.“
Über die schreckliche Zeit in der Moskauer psychiatrischen Klinik Nr. 6 berichtet Schmonow mit erstaunlicher Ruhe: „Die Bedingungen waren wie im Konzentrationslager. Keine Luft zum Atmen, alle Fenster verriegelt, das Gebäude wurde jahrelang nicht gelüftet und ins Freie ließ man uns nicht, obwohl die Gesetze das erlaubt hätten. Ich beschwerte mich über die Haftbedingungen bei der Staatsanwaltschaft. Der Chefarzt bekam davon Wind, kam zu mir und sagte klipp und klar, ich solle mich warm anziehen: Statt Tabletten bekäme ich von nun an nur noch Spritzen. Danach schrieb ich drei Monate lang an meine Mutter, sie solle irgendwas unternehmen – den Arzt anflehen, ihn bestechen – und mich da rausholen. Beinahe die ganze Zeit über schlief ich nicht. Letztendlich hat sie, ich weiß nicht wie, den Arzt überredet. Die Spritzen wurden eingestellt.“
Die Wohnung von Schmonow ist gefüllt mit Kisten voll alter Kleidung. Platz für seine Arbeit gibt es hier nicht viel. / Ruslan Shamukov/RBTH
Um nach der Therapie wieder klarzukommen, habe er fünf Jahre gebraucht, sagt Schmonow. Aber zuerst musste er ja aus der Klinik raus. „Ich weiß nicht, was mich gerettet hat. Mein Vater war ein Oberst bei der Polizei. Er schrieb an alle möglichen Instanzen. In den 1990er-Jahren schrieb ich selbst an Jelzin und betonte, dass ich mal 200 Unterschriften zu seiner Unterstützung gesammelt hatte. Ich bat ihn um Begnadigung. Und dann habe ich beschlossen, vor den psychiatrischen Gutachtern so zu tun, als würde ich meine Tat bereuen – so nach dem Motto: Auf Gorbatschow zu schießen, war nicht gut. Die Gutachter glaubten, ich sei auf dem Weg der Besserung und entließen mich.“
„Bereuen Sie Ihren Fehler etwa nicht“, frage ich.
„Nein, mein Verhältnis zu Gorbatschow hat sich nicht verändert“, sagt Schmonow.
Sorgen muss sich Michail Gorbatschow, der am 2. März dieses Jahres seinen 86. Geburtstag feiert, aber nicht machen. Jener Mensch, der ihm den Tod wünschte, ist jetzt über beide Ohren in seine Erfindungen vertieft.
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