Google-Fragen: Warum wurde Russland kommunistisch?

„Wie wird Wodka ...?“, „Warum ist Putin ...?“ – in der Reihe „Google-Fragen“ gibt RBTH Antworten auf die beliebtesten Suchmaschinen-Anfragen über Russland. Heute erinnern wir an die kommunistische Vergangenheit des Landes.

/ Ekaterina Lobanova/ Ekaterina Lobanova

Würden Sie heute in Russland jemanden mit „Genosse“ ansprechen oder über den unvermeidlichen Sieg des Weltproletariats schwadronieren, würden die Russen sicherlich große Augen machen: An den Kommunismus glaubt im einstigen Sowjetreich 100 Jahre nach der Oktoberrevolution niemand mehr.

Im Oktober 1917 waren die Bolschewiki an die Macht gekommen und versuchten in den darauffolgenden 70 Jahren mit wechselndem Erfolg, eine neue Wirtschafts- und Gesellschaftsform aufzubauen. Heute ist die Kommunistische Partei mit ihren spärlichen 13 Prozent Wählerstimmen nur ein weiteres Rädchen im Politestablishment. Lenin, die Bolschewiki, die Parteitage der allwissenden und weisen KPdSU – das alles ist seit dem Untergang der UdSSR im Jahr 1991 Geschichte. Geblieben sind nur die roten Sterne auf dem Kreml, ein Haufen Lenin-Denkmäler (davon soll es landesweit noch 5 300 Stück geben) und andere Sowjetsymbolik. Doch das ist nur Erinnerung, nicht Ideologie. Dabei hatte 1917 alles mit großer Euphorie angefangen.

Revolution, die nicht ins System passt

Die Vordenker des Klassenkampfs, Karl Marx und Friedrich Engels, waren überzeugt: Eine Revolution könne nur in kapitalistisch entwickelten Ländern ausbrechen, wo es eine große Arbeiterschicht gebe, die von der Besitzerklasse (der Bourgeoisie) ausgebeutet werde. Das Russische Reich des 19. Jahrhunderts, ein Agrarstaat mit einem Bauernanteil von 77 Prozent, kam für die beiden deutschen Soziologen und Publizisten für eine Revolution also nicht wirklich infrage. Doch es kam anders, als die beiden gedacht hatten.

Nachdem die Februarrevolution 1917 die Monarchie hinweggefegt hatte, kämpften in Russland von März bis Oktober desselben Jahres mehrere Parteien um die Macht. Radikale Sozialisten, die Bolschewiki unter Wladimir Lenin, entschieden den Kampf für sich. Sie versprachen dem Volk, das vom Ersten Weltkrieg zermürbt war, augenblickliche Erleichterungen und schnelles Glück: Frieden für die Völker, Land für die Bauern, Fabriken für die Arbeiter und schändlichen Tod für die Bourgeoisie.

Fruchtbarer Nährboden

„Die Bolschewiki waren die einzige politische Kraft, die ein feines Gespür für den sozialen Hass und den Wunsch nach gleichmachender Gerechtigkeit in der Gesellschaft hatte. Und sie konnten diese Tendenzen nutzen“, sagt der Historiker Alexander Orlow. Der Soziologe Alexander Pyschikow betont, dass der Sieg der Bolschewiki mit dem Sozialismus nichts zu tun hatte: „An der Schwelle zum 20. Jahrhundert existierten im Grunde zwei Russlands“, erklärt der Forscher in einem Gespräch mit RBTH.

Das eine Russland – jenes der Großgrundbesitzer, des Bildungsbürgertums und der Unternehmer – sei nicht anders gewesen als Europa. Die Oberschicht habe sich am Kapitalismus und der westlichen Rechtstradition orientiert. Das andere Russland hingegen habe aus Bauern und Arbeitern bestanden und nach ganz anderen Gesetzen gelebt. „Das war eine patriarchale Welt, die die alte, teils noch mittelalterliche Lebensweise erhalten hatte“, erläutert der Soziologe. „Die wichtigste Gesellschaftsform war die Obschtschina: Die Bauern besaßen und bewirtschafteten das Land kollektiv, Privateigentum war nicht ausgeprägt.“

Dieses zweite Russland sei den Bolschewiki begeistert gefolgt: „Im Grunde trug Russland die Sowjetzeit lange Zeit in sich, war damit sozusagen schwanger“, bemerkt der Historiker Orlow. Nur deshalb habe der Kommunismus in Russland gesiegt, und nicht wegen einer angeblichen Treue der Russen zum Marxismus.

Alles vorbei

Nach nur wenigen Jahrzehnten sei von der Vorstellung einer gerechten Welt ohne Armut und Unterdrückung nichts mehr übrig gewesen, sagt Pyschikow. Das bestätigt Orlow, der weiter ausführt: „Schon zu Breschnew-Zeiten, in den Siebzigern, war klar, dass zwischen der Parteispitze und dem Volk eine riesige Lücke klafft, dass die Bonzen nur krampfhaft versuchen, sich an der Macht zu halten, statt das Land in eine helle Zukunft zu führen.“

Die um sich greifende Enttäuschung über das Scheitern der kommunistischen Ideale habe die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der UdSSR nur verstärkt und letztendlich den Zerfall der Sowjetunion herbeigeführt.

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