Social Media: Wie Russen für ihre Posts abgestraft werden

An employee of Belinsky Sverdlovsk Regional Universal Academic Library

An employee of Belinsky Sverdlovsk Regional Universal Academic Library

Pavel Lisitsyn/RIA Novosti
Was die Russen auf Facebook oder in anderen sozialen Netzwerken schreiben, kann ihnen mitunter zum Verhängnis werden – Geschichten über Kündigungen wegen kritischer Posts gibt es immer wieder. Mittlerweile gibt es einige Initiativen, die das Verhalten russischer Nutzer in den Onlinesphären ganz offiziell regulieren wollen.

Maria Schestopalowa hatte bereits fünf Jahre Pop-Gesang an einer Volkshochschule im sibirischen Krasnojarsk unterrichtet, als ein einziger Anruf ihre Karriere beendete. Es war der 19. Dezember 2016, am anderen Ende meldete sich ein gewisser Timur Bulatow, der sich als Mitglied der „Ersten Russischen Moralischen Front“ vorstellte. Sie dürfe nicht mehr als Lehrerin arbeiten, sagte er.

 

 

Am selben Tag ging ein 31-seitiges Dossier über Maria Schestopalowa in der Volkshochschule, bei der Staatsanwaltschaft und bei der Stadtverwaltung ein. Darin waren Fotos und Posts von dem Profil der Lehrerin im russischen sozialen Netzwerk VK gesammelt, erstellt von Timur Bulatow. Er warf der Lehrerin Propaganda für Homosexualität und schlechte Angewohnheiten vor – so hatte Schestopalowa Gruppen des Netzwerks zum Thema Alkohol abonniert und Fotos veröffentlicht, auf denen sie mit Bier und inmitten einer Rauchwolke zu sehen ist. Der Aktivist forderte die Entlassung der Lehrerin wegen angeblicher Nichterfüllung der Anforderungen des staatlichen Ausbildungsstandards.

Dabei gibt es weder festgeschriebene Verhaltensregeln für Lehrer in den sozialen Medien noch eine Organisation namens „Erste Russische Moralische Front“. Dennoch wurde Maria Schestopalowa am nächsten Tag vom Leiter der Schule aufgefordert, zu kündigen. Sie sei erpresst worden, klagte die Frau später in dem sozialen Netzwerk Pikabu: Hätte sie nicht gekündigt, wäre der Ruf der Schule sowie ihr eigener und der ihrer Eltern in Gefahr gewesen. 

Drei Tage später ruderte die Schule zurück und bot ihr eine Rückkehr an. Sie habe das Angebot angenommen, wie die Lehrerin in einem Gespräch mit RBTH erzählte, doch nach nur zwei Wochen habe sie selbst gekündigt. „Es war sehr unangenehm, dort zu arbeiten, weil ich wusste, dass man mich jede Minute wieder hintergehen könnte. Die Atmosphäre in der Schule war unfreundlich. Andere Lehrer unterstützten mich nicht, weil sie Angst um ihre Arbeitsplätze hatten“, sagte Schestopalowa. Derzeit arbeitet sie in einer privaten Musikschule. Sie bedauert, dass „Beamten, die hohe Posten besetzen, auf solche Vorwürfe ernsthaft reagieren“.

Kündigung wegen Kritik

Ähnliches passierte Andrej Grischin, der im fernöstlichen Magadan, rund 10 200 Kilometer von Moskau entfernt, als Chefredakteur der regionalen, staatlich finanzierten Zeitung „Wetschernij Magadan“ arbeitete. Grischin hatte auf seiner Facebookseite das Verhalten von Vize-UN-Botschafter Wladimir Safronkow auf einer Sitzung der Vereinten Nationen, bei der er den britischen Vertreter persönlich angriff, kritisiert.

Der Journalist verglich den Diplomaten mit einem Proleten – was nicht nur mangelnden Anstand und ein niedriges Bildungsniveau nahelegt, sondern in Russland auch für kriminelle Verwicklungen steht. Grischin empfahl Safronkow spöttisch, am besten gleich einen Sportanzug von Adidas und spitze Schuhe zu tragen und dabei Sonnenblumenkerne zu knacken – denn so sehe der  typische russische Prolet aus. Am nächsten Tag wurde der Journalist zur Stadtverwaltung gebeten und entlassen.

„Die Politik schlägt mitunter über die Stränge, wenn sie die Gemüter der Mehrheit zu kontrollieren versucht. Ich denke, der Druck wird weiter steigen, was aber nur mehr Proteste in der Hauptstadt und in den Regionen nach sich ziehen wird“, kommentierte Grischin seine Entlassung. Der Journalist plant nun, eine unabhängige Nachrichtenagentur zu gründen.

Eintrittsalter: 14 Jahre

Wie ernst die Politik soziale Medien nimmt, zeigt auch ein Gesetzentwurf, der erst im April in der russischen Staatsduma diskutiert wurde. Er sieht vor, Kindern unter 14 Jahren den Zutritt zu sozialen Netzwerken zu verbieten. Um das sicherzustellen, soll bei der Erstellung eines Kontos künftig ein Ausweis erforderlich sein – in Russland erhält man erst ab dem 14. Lebensjahr einen Personalausweis.

Diesen Vorstoß begrüßen nach einer Umfrage des Allrussischen Meinungsforschungszentrums WZIOM 52 Prozent der Russen – 62 Prozent würden immerhin ein Mindestalter für die Nutzung von sozialen Netzwerken unterstützen. Ob das Gesetz durchkommt, ist allerdings fraglich. Nach Informationen des Senders RBK wird selbst im Parlament die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes bezweifelt. Und auch Dimitrij Peskow, der Sprecher des Kremls, erklärte, dass die Anforderungen des Gesetzes nicht der Realität entsprächen. 

Neue Regeln für Bibliothekare

Foto: Pavel Lisitsyn/RIA NovostiFoto: Pavel Lisitsyn/RIA Novosti

Für Lehrer und Journalisten gibt es bislang keine Kontrollen über ihre Aussagen im Netz, für Beamte hingegen schon. Sie müssen bereits seit dem 1. Juli vergangenen Jahres alle veröffentlichten Posts und Mitteilungen im Internet mit Verlinkungen nachweisen. Und bald schon könnte dasselbe auch für Bibliothekare gelten: Der russische Verband der Bibliothekare hat kürzlich Verhaltensregeln in den sozialen Netzwerken für Mitarbeiter von Bibliotheken herausgebracht.   

Darin ist beispielsweise vorgeschrieben, dass ein Bibliothekar künftig keine „resonanzerregende Statements jeglicher Art zu Politik, Nationalität, sexueller Orientierung und Religion in den sozialen Netzwerken posten“ darf. Begründet wird dies damit, dass die Medien solche Statements als eine Äußerung im Namen der Bibliothek und nicht als persönliche Meinung deuten könnten. Außerdem erlaubt der Verband es den Bibliotheksverwaltungen, die Accounts ihrer Mitarbeiter zu kontrollieren. Bei einem Verstoß gegen die Regeln ist zunächst eine Verwarnung vorgesehen, worauf eine Mahnung und schließlich die Kündigung folgen können.

Rechtlich ist das aber nicht umsetzbar, wie russische Juristen betonen. Igor Grezky von der russischen Juristenvereinigung erklärt, dass ein internes Dokument des Arbeitgebers das Verhalten seiner Mitarbeiter nicht vorschreiben darf – das widerspreche der russischen Verfassung. Das hat offenbar auch der Verband der Bibliothekare verstanden: Nur wenige Tage nach der Veröffentlichung der Verhaltenskodizes wurde das Dokument von der Webseite des Verbands wieder heruntergenommen.

Stellung wollte der Verband dazu auf Anfrage von RBTH nicht nehmen. Das Büro von Jekaterina Schibaewa, Koordinatorin der Arbeitsgruppe „Bibliotheken und soziale Medien“ im Verband, ließ lediglich wissen, dass das Projekt diskutiert werde. 

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!