Sind Russen frostresistent?
Grigorij AvojanFür den Fernfahrer Waleri Markow aus dem sibirischen Bratsk war es ein ganz normaler Tag, bis er beschloss, kurz vor dem Schlafengehen noch eine Zigarette zu rauchen. Das war im Januar 2013, in einem Nachtzug auf dem Weg ins Kleinstädtchen Aldan, wo Waleri einen Nebenjob hatte.
Nachdem er im Vorraum des Schlafwagens seine Zigarette ausgedrückt hatte, wollte er in sein Abteil zurück. Als er gegen die Tür zum Seitengang drückte, wurden ihm schlagartig zwei wichtige Dinge klar: Die Tür, die er geöffnet hatte, führte nicht ins Abteil zurück, sondern raus aus dem Schlafwagen, und man hatte vergessen sie abzuschließen.
Waleri stürzte aus dem Zug, raus in die sibirische Taiga bei 40 Grad unter null – in Jogginghose und Hauslatschen. Ohne lange nachzudenken sei er dem Zug hinterhergestürmt. Sieben Kilometer lang lief er dem Kältetod davon. Nach einer halben Stunde erreichte er den nächsten Bahnhof. Ein schockierter Stationsaufseher ließ ihn herein und nach mehreren Tassen heißen Tees kam Waleri wieder zu sich.
„Nach so einer Nacht hast du definitiv eine andere Einstellung zum Leben“, sagt Waleri heute. Eine Erkältung, eine Lungenentzündung oder gar Erfrierungen hatte der Fernfahrer aus Sibirien danach allerdings nicht.
Russen seien doch hart im Nehmen und Waleris Geschichte nichts Besonderes, könnte man meinen. Doch weit gefehlt, denn dieser Fall war selbst für Russland extrem. Es stimmt zwar, dass Russen gerne Witze über Kälte und Frost erzählen: „Es ist 42 Grad unter null. In Europa herrscht Chaos, in Russland essen sie Eis im Freien.“ Doch in Wirklichkeit unterscheiden sie sich in dieser Frage nicht von anderen Völkern, die alle Jahre wieder mit Schnee und Eis leben müssen.
Die russische Bloggerin erzählt als „nihon81“ in ihrem Livejournal zum Beispiel von einem britischen Kollegen aus London, der in einem Haus ohne Heizung lebe. Dieser habe die Kälte gar nicht bemerkt. Und dann kenne sie noch junge Japaner, die im Winter ohne Mantel herumspazierten. Für einen echten Russen wäre so etwas undenkbar – es sei denn er heißt Waleri.
Nun ist Russland mit einer durchschnittlichen Jahrestemperatur von 1,69 Grad wirklich eines der kältesten Länder der Welt. Die geografische Lage bringe das mit sich, erklärt Alexander Beljajew, Geograf an der Russischen Akademie der Wissenschaften. Nicht nur, dass das Land sich bis in den hohen Norden erstrecke: Es fehlten auch Berge, die es vor den Winden aus der Arktis schützen würden. Das Uralgebirge erstreckt sich schließlich von Norden nach Süden, der Kaukasus markiert die südliche Grenze des Landes. Auch fehle ein warmer Strom vor Russlands Küste, der die kalten Winde etwas mildern würde.
Dass sich die kältesten Siedlungen der Welt in Russland befinden, wundert da nicht. In Werchojansk wurden im Jahr 1892 minus 67,6 Grad gemessen. Noch kälter war es nur in Oimjakon: 67,7 Grad unter null im Jahr 1933. An beiden Orten leben noch bis heute Menschen!
Wie aber bestehen die Russen in der Kälte? Menschen aus Sibirien, wer sollte es wissen, wenn nicht sie, verraten das Geheimnis: „Ein echter Sibirier ist niemand, der keine Kälte spürt, sondern einer, der sich warm anzieht“, schreibt „nihon81“ in ihrem Blog.
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