Im Dezember 1943 wandelte sich das Schicksal der Kalmykier, einem bis dahin selbstständigen Volk innerhalb der Sowjetunion, in eine Hölle. Rund 100 000 Menschen wurden brutal gezwungen, ihre Häuser und ihr Zuhause zu verlassen. Grund: Angeblich sollen einige Kalmükier möglicherweise mit den Nazis kollaboriert und gegen die Rote Armee in den Kampf gezogen sein. Die Deportation gilt als Stalins Rache dafür.
Egal ob Jung oder Alt, Mann oder Frau - von Kleinkind bis Oma wurden sie in Viehwaggons gestopft und nach Sibirien abtransportiert. Viele starben an Hunger, Überhitzung oder den zahlreichen Krankheiten, die sich als Epidemien unter den Deportierten verbreiteten. Viele starben noch vor der Ankunft in ihrem Zielort. Insgesamt starb fast die Hälfte der deportierten Kalmükier, mehr als 40 000 Personen.
Erst Jahre später wurde das Volk rehabilitiert und durfte in sein Zuhause zurückkehren.
/ Elena Khovanskaya
Er ist der Vorsitzende des Verbandes der repressierten Kalmükier. In der Stadt Elista gründete Ochirow ein Museum der Güterwaggons.
"Ich war gerade einmal vier Jahre alt. Aber ich erinnere mich noch, wie eng es hier war. Und wie immer mehr Platz wurde, wenn Menschen vor Erschöpfung und Kälte starben. Die Toten kamen dann in spezielle 'Null-Waggons', wie wir sie nannten."
"Als die Kalmükier rehabilitiert wurden, spielten sie plötzlich ein kalmükisches Lied im Radio. Alle Kalmükier lauschten und weinten. Solange die Kalmükische Sprache lebendig ist, sind es auch die Kalmükier."
/ Elena Khovanskaya
Die Säuberungen begannen, als Boschomdschijewa noch ein kleines Kind war. Das Tragischste für sie ist, dass sie sich nicht meher an die Geschichte ihrer Familie erinnern kann. Sie kennt weder ihren echten Namen noch echten Geburtstag und -ort. Die Erwachsenen "blieben auf der Strecke", sie starben unterwegs in den eisekalten Waggons. Aber sie, das Kind, überlebte.
Im sibirischen Tjumen arbeitete sie dann ab ihrem 13. Lebensjahr in einer Kolchose. Ihr Onkel kämpfte in der Schlacht um Stalingrad und muss 1958 zufällig ein Bild von Nina entdeckt haben.
Nach der Rehabilitierung kehrte sie nach Kalmükien zurück und traf ihre Verwandten wieder. Sibirien hat sie seitdem nie wieder auch nur besucht.
/ Elena Khovanskaya
Die Leute verstanden nicht, was mit ihnen passiert, erzählt Lidschijewa heute. Die Waggons waren tagelang verschlossen. Die Bedingungen waren so schlecht, dass die Hälfte der Deportierten schon unterwegs starb. Die Menschen tranken Wasser aus Eimern, aus ihren bloßen Händen. Als sie an den Barracken ankamen, hatten sie nicht einmal Schuhe an den Füßen. Die Sibirier sind gute, liebe Menschen.
"Wir haben hölzerne, vier Finger dicke Bretter mit angenageltem Stoff bekommen. Und Portjanki - Stofffetzen, um die Füße einzuwickeln. Es war ein hartes Leben. Wir aßen alles, was wir nur konnten. Sogar Hunde."
"Wir arbeiteten viel. Ich kann bis heute nicht ruhig an einem Ort stehen oder gar einen eigenen Garten haben. Aber ich bin froh! Auch wenn mein Mann nicht mehr am Leben ist. Er war ein Held, hat Kinder, Enkel und Urenkel erzogen."
/ Elena Khovanskaya
"Wir lebten gut, 'in Wohlstand', wie die Leute sagten. Wir arbeiteten viel. Ich wusste, dass Krieg war. Eines Tages kamen ein paar junge Soldaten zu uns. Niemand verstand ihre Sprache. Es waren Deutsche, die Essen und einen Schlafplatz brauchten. Ich kochte. Sie waren nicht schrecklich, einfach Menschen, Soldaten, und lachten viel. Als sie am Morgen gingen, gaben sie uns ein Stück Schokolade. Ich wollte sie probieren, aber sie waren im Krieg ja gegen uns... Ich gab die ganze Schokolade den Schweinen."
"Als dann im Dezember 1943 russische Soldaten kamen, kochte ich für sie. Sie sagten uns, dass wir die nötigsten Sachen zusammenpacken sollten, weil wir sehr weit reisen würden. Aber sie sagten nicht, wohin. Aber sie sagten uns 'Nehmt keine Puppen mit!'. Und sie halfen uns mit Säcken voller Wollschals."
"Ich lebe immer in Frieden mit Menschen und habe vor nichts in meinem Leben Angst."
Nina hat sieben Kinder, 11 Enkel und 11 Urenkel.
/ Elena Khovanskaya
Galejewa überlebte dank ihrem Vater, obwohl jener nur noch ein Bein hatte. Aber er war es gewohnt, Schuhe zu reparieren und machte das gut. In Sibirien aß die Familie gefrorene Kartoffeln, die Ähren waren wie Gummi, aber sie aßen sie den ganzen Tag lang.
Seit sie 15 ist, arbeitete sie genauso hart wie die erwachsenen Frauen. Seit etwa 15 Jahren ist sie blind. Jede Nacht betet sie um Hilfe für alle Notleidenten.
/ Elena Khovanskaya
Morgens kamen zwei bewaffnete Soldaten. Sakilowas Vater war krank und lag im Bett. "Töte schnell einen Bock oder eine Kuh", rieten ihr die Soldaten. Denn sie hatten eine 13-tägige Reise vor sich. Sie wurden Straßenarbeiter im Altai-Gebiet, in Semipalatinsk. Dort fand einer der größten Atomwaffentests in der Sowjetunion statt. Sakilowa war direkt von der Strahlung betroffen. Als ihr Vater starb, wurde er in Stoff gehüllt und in den Schnee gelegt. Beerdigt werden konnte er erst im Mai - nach der Schneeschmelze.
/ Elena Khovanskaya
Lidjanow wurde in Sibirien geboren, erinnert sich aber nur noch teilweise an seine Kindheit. "Ich erinnere ich daran, wie die Erwachsenen eine Rutabaga schleppten. Ich fragte: 'Gebt mir was ab!' Wissen Sie, was Rutabagaist? Ich wusste nicht einmal, was Eiscreme ist... wollte es wirklich zu gern probieren... Und einer von ihnen ließ ein Stück Rutabaga in den Schlamm fallen. Damals konntest du dafür 10 Jahre Knast bekommen."
"Meine Familie kehrte 1957 wieder nach Kalmükien zurück."
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!