1978 verlässt Dowlatow die Sowjetunion. Die erste Station der sowjetischen Immigranten war damals Wien. Von dort aus schickte man sie meist nach Israel. Foto aus dem persönlichen Archiv
Rubinsteinstraße 23
Dowlatow wurde nicht in Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg, geboren, wie oft behauptet wird, sondern in Ufa, der Hauptstadt der Republik Baschkortostan. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Dowlatows Familie dorthin evakuiert. Erst im Jahr 1944 kehrte er nach Leningrad zurück. Er lebte im Stadtzentrum, in der Rubinsteinstraße 23, die an einer im Volksmund „Fünf Ecken“ genannten Kreuzung ihren Anfang nimmt. Viele Häuser in dieser Straße wurden im Stil der Spätmoderne und des frühen Konstruktivismus errichtet. An der Wand des Hauses auf der Rubinsteinstraße 23 erinnert eine Gedenktafel an den berühmten Schriftsteller. Gleich in der Nähe befindet sich die Metrostation „Dostojewskaja“.
Tschinjaworyk, Uchta
1962 wurde Dowlatow in die Rote Armee einberufen. Er diente als Aufseher in einem Arbeitslager im Norden der Republik Komi. Über diese Zeit schrieb Dowlatow die Novelle „Zone“ und die Erzählung „Alter Hahn, in Ton gebacken“. Darin beschreibt er, wie er zusammen mit einem Gefangenen während der Holzbeschaffung im Lager einen Hahn einfängt, ihn mit Ton einschmiert und bäckt. Den Protagonisten der Erzählung trifft er später in New York wieder. Beide sind in die USA ausgewandert. In New York wird der ehemalige Häftling beim Diebstahl eines Mantels erwischt und sein ehemaliger Aufseher zahlt seine Kaution auf dem Polizeirevier.
In Tschinjaworyk gibt es übrigens auch heute noch ein Arbeitslager und noch immer wird dort Holz verarbeitet. Dorthin zu kommen ist schwierig, der Ort liegt am Oberlauf des Flusses Uchta in den Tiefen der Taiga versteckt. Wenn Sie ihr Schicksal herausfordern und nach Tschinjaworyk reisen wollen, nehmen Sie den Zug von Moskau nach Workuta. Von dort aus empfiehlt es sich ein Taxi zu nehmen (Preis etwa 500 Rubel, umgerechnet zehn Euro).
Das Dorf Berezino
1976 begann Dowlatow seine Arbeit als Führer in einem Museum, das im Naturschutzgebiet „Michailowskoje“ (Puschkinberge) in der Region Pskow liegt. Das Museum befindet sich auf dem Familienbesitz der Puschkins. Dowlatow selbst lebte in der Nähe, im Dorf Berezino. In seinem ehemaligen Wohnhaus ist mittlerweile ein privates Museum, entstanden, das besichtigt werden kann.
Foto: PhotoXpress
In der Novelle „Naturschutzgebiet“ beschreibt Dowlatow den fröhlichen Wahnsinn, den die Angestellten des Museums kultivierten. Allerlei Philologen und Anhänger Puschkins kamen zur Saisonarbeit hierher. Die Frauen träumten davon, geheiratet zu werden. Die Männer träumten davon, ein paar Rubel zu verdienen, um wieder gegen den allmorgendlichen Kater antrinken zu können.
Den Aufenthalt Dowlatows an diesem Ort kann man mit dem Fegefeuer vergleichen: Seine Frau und Tochter emigrieren in das Ausland, er selbst wird fast schon als Verräter des Vaterlandes gebrandmarkt. In diesem Fegefeuer steht er vor der schweren Wahl zwischen Himmel und Hölle. Soll er in der Sowjetunion bleiben oder auswandern? Wobei nicht klar ist, was in diesem Fall Himmel und was Hölle wäre.
Dowlatow beschreibt, wie ein Major des KGB ihn aufsuchte, um mit ihm ein erzieherisches Gespräch zu führen. Der Major wartete geduldig, bis der Schriftsteller sein Trinkgelage beendet hatte. Nach einigen Drohungen gab er ihm schließlich flüsternd den Rat, zu emigrieren, und zwar „solang die Regierung ihn lässt“.
Das Museum zu erreichen ist einfach. Fahren Sie mit dem Zug nach Pskow. Von dort aus geht es mit dem Bus weiter. Die Busse fahren stündlich (Fahrplan unter http://www.pskovavtotrans.ru). Wenn sie kein Russisch sprechen, empfiehlt sich die Teilnahme an einer geführten Exkursion, die den Museumsbesuch einschließt.
Hotel „Admiral“ in Wien
1978 verlässt Dowlatow die Sowjetunion. Die erste Station der sowjetischen Immigranten war damals Wien. Von dort aus schickte man sie meist nach Israel. Diejenigen, die in die USA wollten, zogen weiter nach Italien. Dowlatow wollte in die USA, doch er blieb in Wien und musste ein halbes Jahr warten, bis er seine Einreiseerlaubnis bekam.
Foto: Pressebild
In den Briefen aus Wien verglich Dowlatow die Stadt mit einem der Stadtteile von St. Petersburg, „irgendwo zwischen Fontanka und Sadowoja“. Das Hotel „Admiral“, in dem der Schriftsteller einige Monate lang lebte, liegt noch heute im historischen Zentrum Wiens, in der Karl-Schweighofer-Gasse 7. Auch Dauergäste wie Dowlatow sind hier noch immer willkommen. Wien ist sozusagen die Geburtsstadt des Schriftstellers Dowlatow, wie wir ihn heute kennen. Dort begann er, alte Manuskripte zu überarbeiten und fand seinen eigenen Stil.
In den Briefen an die Verwandten aus Wien kann man die Nervosität und Fassungslosigkeit über das unbegreifliche Amerika, wohin er schon bald fahren würde, spüren. Später überdachte Dowlatow in der Novelle „Unsere“ in ironischer Form seine Erfahrungen in Wien. So erzählt er in einer Geschichte, wie er mit dem Hotelbesitzer trank. Zuvor hatte der sich überlegt, wie viel es ihn kosten würde, den Linoleumboden im Schankraum auszuwechseln und nahm gewissenhaft die Maße. Später, als er schon sehr betrunken war, beschloss er, den Boden nicht zu erneuern, da die „Welt verdammt ist“. Das ist typisch für Dowlatow. In seinen Texten werden Humor und Absurdität von Trauer abgelöst und Angst und Traurigkeit verwandelt sich in Ironie und Humor.
63rd Drive in New York
Der 63rd Drive befindet sich in Queens, einer der fünf Stadtteile von New York. Um dorthin zu kommen, fahren Sie bis zur Metrostation „63 Drive – Rego Park“. Die Straße beginnt gleich am Ausgang der Metrostation und erstreckt sich nach Norden hin.
Seit 1972 wohnte Dowlatow in Tallin in der Straße Pikk. Foto aus dem persönlichen Archiv.
Es hat sich historisch so ergeben, dass russischen Emigranten der „dritten Welle“ sich entweder in Brooklyn, im Bezirk Brighton, oder in Queens, im Bezirk Forest Hills, angesiedelt haben. In Brighton siedelten hauptsächlich ukrainische Juden aus Odessa, Kiew und anderen Orten der Ukraine. Und in Queens siedelten sich dagegen Juden aus Russland an. Queens wurde so zu einem Zentrum der Künstler und Intellektuellen. Auch Dowlatow fand hier seine neue Heimat in einer engen Wohnung. Die Möbel dafür kamen anfangs noch vom Sperrmüll, wie bei vielen Immigranten.
In der Novelle „Ausländerin“ beschreibt Dowlatow die russischen Bewohner seines Stadtteils. Diese mussten oft in ganz neue Berufe wechseln: Aus einem Regisseur wurde ein Baptistenprediger, aus ehemaligen Dissidenten Taxifahrer. Queens war die letzte Station im Dowlatows Leben. Nach seinem Tod am 24. August 1990 wurde er auf dem jüdischen Friedhof Mount Hebron begraben.
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