Foto: RIA Novosti
In Sankt Petersburg wird die Zarenzeit wieder lebendig. Der bekannte russische Regisseur Alexej Utschitel dreht dort einen Film über die Romanze zwischen der Ballerina Matilda Kschessinskaja und Russlands letztem Zaren Nikolaus II. Letzterer wird vom deutschen Schauspieler Lars Eidinger gespielt. Wer die Kschessinskaja spielen wird, will Utschitel noch nicht verraten. Gegenüber der Zeitung „Russiskaja gaseta" gibt er sich geheimnisvoll: „Vor der Premiere geben wir den Namen nicht bekannt. Diese Geheimhaltung passt einfach zur Biografie der Künstlerin." Kritiker und Publikum müssen also bis zum Schluss rätseln.
Matilda Kschessinskaja wurde die Tanzkunst in die Wiege gelegt. Sie war die Tochter eines Tänzers und Opernsängers. Ihre Mutter und ihre Schwester Julia waren Tänzerinnen, Bruder Iosif Tänzer und später Ballettmeister. Diesen Weg schlug auch Matilda ein. Im Alter von 17 Jahren wurde sie Ballerina am Mariinski-Theater. In ihrer ersten Saison trat sie in 22 Ballettinszenierungen und in 21 Opernaufführungen auf, Rekord für eine Debütantin. Damals kannte sie bereits Nikolai, den Sohn des Zaren und künftigen Thronerben. Die Bekanntschaft war von Zar Alexander III. und seiner Gemahlin Maria Fjodorowna arrangiert worden. Matilda sollte aus dem jungen und eher schüchternen Nikolai einen „richtigen Mann" machen. Die selbstbewusste und energiegeladene Matilda schien eine ausgezeichnete Wahl.
In ihren Memoiren erzählt sie von der ersten Begegnung: „Als ich mich vom Kronerben verabschiedete, fühlten wir uns bereits stark zueinander hingezogen." Zwei Jahre später war Nikolai, den Matilda „Niki" nannte, unter dem Namen Husar Wolkow regelmäßiger Gast im Hause Kschessinskaja. Eine Hochzeit der beiden wäre jedoch nicht standesgemäß gewesen. Nikolai verlobte sich schließlich mit der Prinzessin von Hessen-Darmstadt – das bedeutete das Ende der Beziehung mit Matilda.
Ménage à trois
„In meinem Kummer und meiner Verzweiflung blieb ich nicht allein", erinnerte sich Kschessinskaja in ihren Memoiren. Sie wurde die Geliebte des Großfürsten Sergej Michailowitsch, „mit dem ich seit dem Tage befreundet war, als der Thronerbe ihn das erste Mal zu mir mitbrachte", schreibt sie weiter. „Niemals hegte ich ihm gegenüber solche Gefühle, die man mit denen vergleichen könnte, wie ich sie zu Niki hatte, jedoch mit all seinem Verhalten mir gegenüber eroberte er mein Herz, und ich begann, ihn aufrichtig zu lieben", beschreibt sie die Beziehung.
Die neue Beziehung schadete ihrer Karriere nicht. Die Kschessinskaja wurde Primaballerina des Mariinski-Theaters, dessen Repertoire fortan ganz auf sie zugeschnitten wurde. Bei Ballettlehrer Enrico Cecchetti nahm sie Privatstunden, um ihre Kunst zu perfektionieren und sich die exakte und virtuose Technik der Beinarbeit der italienischen Ballettschule anzueignen. Als erste russische Balletttänzerin zeigte die Kschessinskaja auf der Bühne 32 Fouetté hintereinander. Das ist ein Tanzschritt, den das russische Publikum bis dahin nur bei den italienischen Ballerinen bewundern konnte.
Großfürst Sergej vergötterte die Kschessinskaja und überhäufte sie mit Geschenken. In Strelna, einer Kleinstadt rund 20 Kilometer südwestlich von Sankt Petersburg, kaufte er auf ihren Namen einen Landsitz. Bis zu tausend Gäste gleichzeitig soll sie dort empfangen haben. 1906 bestellte die Kschessinskaja beim Architekten Alexander von Gogen Pläne für den Bau eines weiteren Schlosses. Der Hauptsaal dieses Schlosses soll im Stil des russischen Empire gehalten worden sein, der Salon im Stil Louis XVI., Schlafzimmer und Toilette im englischen Stil.
Am 13. Februar des Jahres 1900 wurde zu Ehren des zehnjährigen Schaffens der Kschessinskaja ein Festmahl in Sankt Petersburg gegeben. Unter den Gästen waren auch die Söhne des Großfürsten Wladimir Alexandrowitsch, Kyrill, Boris und Andrej, geladen. Der sechs Jahre jüngere Andrej wurde der nächste adelige Geliebte der Primaballerina, die offiziell weiter mit dessen Onkel Sergej zusammenlebte. Matilda Kschessinskaja gebar einen Sohn, dem sie den Namen Wladimir gab – wer der Vater war, ob nun Sergej Michailowitsch oder sein Neffe Andrej Wladimirowitsch, wurde nie geklärt.
Das ungewöhnliche, aber glückliche Leben der Matilda Kschessinskaja fand mit der Revolution ein jähes Ende. Ihr Schloss wurde geplündert und Großfürst Sergej Michailowitsch wurde von den Bolschewiken getötet. Als er starb, soll er ein kleines goldenes Medaillon mit dem Porträt der Matilda Kschessinskaja und der Inschrift „Malja" fest in der Hand gehalten haben.
Die gealterte Kschessinskaja vermählte sich im Pariser Exil mit Andrej Wladimirowitsch und wurde zur Fürstin Romanow. Um Geld zu verdienen, eröffnete sie ein Ballettstudio, ihre Eleven kamen aus der ganzen Welt, um bei ihr Unterricht zu nehmen. Paris blieb ihre zweite Heimat. 1958 besuchte sie dort ein Gastspiel des Bolschoi-Theaters. „Ich habe vor Glück geweint. Das war dasselbe Ballett, wie ich es vierzig Jahre zuvor gesehen habe, mit demselben Geist und denselben Traditionen", schrieb die Primaballerina in ihren Memoiren. Matilda Kschessinskaja wurde 99 Jahre alt. Sie starb am 6. Dezember 1971 in Paris.
Erstveröffentlichung in der Zeitschrift ITI-Info, №18
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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