Anton Tschechow. Foto: Archivbild
Im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts revolutionierte Anton Tschechow mit seinen Werken die Theaterdichtung. Seine Werke unterschieden sich von den klassischen Dramen durch den für die damalige Zeit ungewöhnlich tiefen psychologischen Einblick. Tschechow zeigte nicht den einen und einzigen Weg der Rettung der Protagonisten, sondern involvierte den Zuschauer in die Erforschung der alltäglichen Verhaltensmodelle der Protagonisten und lud sie ein, eigene Schlüsse zu ziehen.
Seine Arbeiten bildeten ebenso wie die Werke von Henrik Ibsen, Bernard Shaw und August Strindberg die Grundlage für das „Neue Drama", eine wichtige theatralische Bewegung an der Grenze des 19. zum 20. Jahrhundert. Herausragende Dramaturgen ehrten Tschechow als Gründer des psychologischen Theaters. So hat Bernard Shaw sein Stück „Heartbreak House" („Haus Herzenstod", 1919) mit dem Zusatz „Eine Fantasie englischer Themen nach russischer Manier" versehen. Tennessee Williams war ein großer Bewunderer von Tschechows „Die Möwe" und träumte bis zum Ende seines Lebens davon, sie einmal in eigener Interpretation auf die Bühne zu bringen. Dieses Stück wurde gemeinsam mit Tschechows „Drei Schwestern" und „Der Kirschgarten" in über 80 Sprachen übersetzt und häufig in Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Japan, den USA und anderen Ländern der Welt aufgeführt.
Konstantin Stanislawskij. Foto: Archivbild |
„Das ist unglaubwürdig", soll Konstantin Stanislawskij oft gesagt haben. Dieser Ausspruch gilt als geflügeltes Wort in der weltweiten Theatergemeinschaft. Der berühmte Regisseur und Mitbegründer des Moskauer Künstlerischen Theaters MchAT war streng gegenüber seinen Darstellern. Seine Schauspielmethodik lehrte sie, eine Rolle gleichsam zu durchleben. Stanislawskij zwang seine Schauspieler, die Persönlichkeit der Figur Schritt für Schritt zu erkunden, Gemeinsamkeiten zwischen ihren Gefühlen und den eigenen zu finden und das anschließend auf der Bühne zu zeigen. Seine Methoden werden in höheren Bildungseinrichtungen für Schauspieler auch heute noch, mehr als 100 Jahre später, gelehrt. Und viele Filmstars sind noch immer Anhänger dieser Methoden – von Keira Knightley bis Benedict Cumberbatch.
Michail Tschechow war ein Schüler und Bewunderer Stanislawskijs, aber sein System widersprach in vielen Bereichen dessen Postulaten. Tschechow nahm zum Beispiel an, dass man für eine gute Darstellung Distanz brauche: Der Schauspieler sollte sich nicht mit dem Protagonisten identifizieren, sondern dessen Emotionen nur widerspiegeln, dabei sein Spiel ständig kontrollieren und sich selbst auf die Natürlichkeit hin prüfen. Heute ist das System Tschechows teils sogar populärer als das von Stanislawskij. Berühmte Anhänger sind zum Beispiel Clint Eastwood und Jack Nicholson. Und in den USA gibt es sogar einen Verband der Anhänger von Tschechows Schauspiellehre.
„Bouffe-Mysterium" von Wladimir Majakowskij. Foto: Archivbild
Wsewolod Meyerhold erschuf eine besondere Art von Theater, das in der Tradition der Volksdarstellungen auf dem Marktplatz stand. Das groteske Theater, wie es später genannt werden sollte, sah eine maximal anschauliche, schrille und körperlich schwere Aktion vor. Es wurden sowohl Tanz- und Zirkusdarstellungen verwendet als auch aufwendige Konstruktionen des Konstruktivismus, die die Bühnenfläche unterteilten. Einer der größten Erfolge gelang Regisseur Meyerhold mit seiner Inszenierung des futuristischen Stücks „Bouffe-Mysterium" nach Wladimir Majakowskij.
Meyerhold setzte bei seiner Arbeit mit den Darstellern auf das von ihm entwickelte System der „Biomechanik". Es wurde später zu einem der Stützpfeiler im Wirken von Bertolt Brecht. Die Besonderheit der „Biomechanik" war das physische Erlernen der Rolle. Die Darsteller lernten in erster Linie die Gesten, die für die Rolle typisch sind – durch die genaue Bewegung wurde eine psychologische Ähnlichkeit des Darstellers und des Protagonisten erreicht.
"L'Après-midi d'un Faune" von Leon Bakst diente als Bühnendekoration für die Aufführungen des Ballets Russes. Foto: Archivbild
Die Aufführungen des Ballets Russes, das in den USA und Europa in den Zehner- und Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts große Erfolge feierte, hat diesen vor allem Sergej Djagilew zu verdanken, der es schaffte, mehrere große Ballettstars in einer Truppe zu vereinen, von Anna Pawlowa und George Balantschin bis zu Waslaw Nijinski. Doch nicht nur die Tanzkunst bleibt in Erinnerung, sondern auch eine neue, bildhafte Szenendarstellung. Die neuen Bühnenkonzepte wurden von Alexandre Benoit, Natalija Gontscharowa, Michail Larionow, Naum Gabo und vielen anderen Künstlern verwirklicht. Später gesellten sich auch die westlichen gleichgesinnten fortschrittlichen Künstler dieser Zeit dazu, darunter Henri Matisse, Pablo Picasso und Coco Chanel.
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