Vom Heldenepos zum Actionfilm: Weltkriegsfilme im Wandel der Zeit

Spielszene aus dem Film "Die Kraniche ziehen". Foto: Kinopoisk.ru

Spielszene aus dem Film "Die Kraniche ziehen". Foto: Kinopoisk.ru

Der Zweite Weltkrieg wird in unzähligen Kinoproduktionen aufgegriffen, so auch in sowjetischen und russischen. Dabei ist ein Wandel vom Heldenepos über Antikriegsfilme bis zum modernen Actionfilm zu beobachten – ganz so, wie es der Geschmack des Publikums und manchmal auch der Staat verlangt.

„Der Fall von Berlin" von Micheil Tschiaurelis aus dem Jahr 1949 ist wohl einer der interessantesten sowjetischen Filme über den Zweiten Weltkrieg. Denn die propagandistische Schamlosigkeit, mit der seine Fiktion sich als Ereignisdokumentation ausgibt, sucht in der Filmgeschichte ihresgleichen.

Hier ist Stalin in nahezu allen Lebensbereichen des Sowjetmenschen präsent, nah und vertraut. Während er im Garten einen Baum pflanzt, lauscht er der Erzählung eines verliebten Stahlkochers über seine Traumfrau. Anschließend bespricht er persönlich mit General Schukow das Vorgehen bei der Berlin-Offensive. Am Schluss des Films fliegt er in das eroberte Berlin, um den sowjetischen und den befreundeten Völkern zum Sieg über die Nationalsozialisten zu gratulieren.

Am realistischsten und dennoch schwer vorstellbar scheint im Film noch die Szene des Baumpflanzens zu sein. Denn es ist bekannt, dass Stalin nur ein einziges Mal ins Ausland flog, nach Teheran.

 

Kinofilm als Politbarometer

Der „Fall von Berlin" war seinerzeit ein Kassenschlager. Er gehörte zu den drei erfolgreichsten Filmen des Jahres 1950. Nach Stalins Tod 1953 wurde er aus dem Verkehr gezogen. Seitdem ist der sowjetische Kriegsfilm ein Spiegelbild des schwankenden Politbarometers. Nach dem Tod Stalins setzten das politische Tauwetter und eine vorübergehende Distanzierung vom Krieg ein, was Filme entstehen ließ, die bis heute zweifelsohne zu den weltweit besten gehören.

Im Jahr 1957 erschien Michail Kalatosows Drama „Die Kraniche ziehen". Darin kommen weder die Partei noch die Regierung vor. Es ist stattdessen die Geschichte zweier Liebender, die durch den Krieg für immer getrennt werden. Am Vorabend ihres Geburtstages muss sich Weronika, dargestellt von Tatjana Samojlowa, von ihrem Freund Boris, gespielt von Alexej Batalow, verabschieden, der an die Front geht und dort fällt. Die Szene von Boris' Tod, gefilmt von Sergej Urusewskij, galt damals als innovative Kameraführung, die in die Lehrbücher einging. Bei den Filmfestspielen von Cannes gewann der Film die Goldene Palme für den besten Film und auch den Technikpreis. In der UdSSR fand das jedoch wenig Beachtung.

Zwei Jahre später erschien „Die Ballade vom Soldaten" von Grigorij Tschuchrai. Der Film wurde noch erfolgreicher als Kalatosows Drama. In Cannes erhielt er einen Sonderpreis, weltweit folgten zahlreiche Auszeichnungen und sogar eine Oscar-Nominierung in der Kategorie „Bestes Drehbuch".

Spielszene aus dem Film "Die Ballade vom Soldaten". Foto: Kinopoisk.ru

Anfang der Sechziger war der Krieg noch nicht vergessen, aber er lag schon weit genug zurück für eine differenziertere Betrachtungsweise. Andrej Tarkowskijs „Iwans Kindheit" nähert sich dem Thema nicht auf ideologische und dramatische Weise, sondern er taucht ein in die Psyche eines Kindes, das schon mit zwölf Jahren zum Untergrundkämpfer wird. So entstand in der sowjetischen Filmkunst der Autorenfilm im heutigen Sinne, dessen geistige Führung Tarkowskij zukam. Die staatliche, profitunabhängige Finanzierung konnte sich die Unterstützung eines talentierten Regisseurs leisten. Daran, dass Tarkowski es wert war, einen Streit mit dem ideologischen Parteikomitee zu riskieren, bestand kein Zweifel. 1962 erhielt „Iwans Kindheit" den Großen Preis von Venedig.

Spielszene aus dem Film "Iwans Kindheit". Foto: Kinopoisk.ru

Allen staatlichen Restriktionen zum Trotz drehten sowjetische Regisseure weiter kriegskritische Filme, so wie Elem Klimow, dessen „Komm und sieh" im Jahr 1985 erschien und die Schrecken des Krieges drastisch zeigt. Für die Sowjetunion ein Unding.

 

Mit der Perestroika kommt Hollywood ins Kino

Mit dem Ende der staatlichen Finanzierung des Kinos nach der Perestroika sank auch das künstlerische Niveau der russischen Filme. Die beiden zentralen Kriegsfilme dieser Zeit kamen aus Hollywood. Steven Spielberg drehte „Schindlers Liste" und „Der Soldat James Ryan". Letzterer setzte neue Standards für Kriegsfilme. Seither werden diese mit viel Action, naturalistischen Szenen und einigen melodramatischen Momenten gedreht.

Spielszene aus dem Film "Stalingrad". Foto: Kinopoisk.ru

Vergleichbare Budgets hatte in Russland niemand, doch auch wenn ein Millionenbudget zur Verfügung stand, war das keine Erfolgsgarantie, wie Nikita Michalkows Fortsetzung von „Die Sonne, die uns täuscht" gezeigt hat. Während der Regisseur für den ersten Teil noch einen Oscar erhielt, floppte der zweite Teil und wurde von den Kritikern verrissen. Die Kritiker überzeugen konnte auch Fedor Bondartschuks „Stalingrad" von 2013 nicht. Doch der erste russische 3-D-Film, der patriotisches Heldenpathos mit neuen Technologien und Spezialeffekten kombinierte, kam immerhin beim Publikum gut an.

Spielszene aud dem Film „Der Weg nach Berlin". Foto: Kinopoisk.ru 

Im Jahr Siebzig nach Kriegsende haben Filme über den Zweiten Weltkrieg Hochkonjunktur. In diesem Jahr gibt es so viele Kriegsfilme wie schon lange nicht mehr. Bald erscheint „Die Schlacht um Sewastopol", das Remake von „Im Morgengrauen ist es noch still", und „Der Weg nach Berlin", der mit staatlicher Finanzierung rechnet. In diesem Film geht es um das Miteinander der Soldaten aus den unterschiedlichen Sowjetrepubliken an der Front. Doch dieser Film ist weit entfernt von der propagandistischen Absurdität des „Falls von Berlin". Das ist ein gutes Zeichen, bedeutet es doch, dass sich die Zuschauer seit 1949 weiterentwickelt haben und so etwas nicht mehr sehen wollen.

Gennadij Ustian ist Filmkritiker und Chefredakteur von „Time Out Moscow".

 

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