Foto: Jewgenij Kassin / TASS
Der Begriff Claqueur leitet sich vom französischen Wort „claquer“ ab, was übersetzt „klatschen“ bedeutet, und bezeichnet eine Person, die das Theaterpublikum zu ungehaltenem Applaus und „Bravo“-Rufen motiviert. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts diente die Claque – so wird die Gesamtheit der Claqueure in einem Theater genannt – auch dazu, die Stimmung bei Aufführungen zu ruinieren und Schauspieler sogar auszupfeifen.
Doch wie Konstantin Iljuschtschenko versichert, der gegen Ende der Sowjetzeit als Claqueur im Bolschoi-Theater arbeitete, hat die Claque heute nur mehr die wichtige Aufgabe, das Publikum zum Applaudieren zu bringen, um so die Schauspieler zu unterstützen.
Konstantin Iljuschtschenko: Alles begann gegen Ende der 1980er-Jahre, als ich Student war und mich eigentlich nur ein wenig amüsieren wollte – Computer gab es zu dieser Zeit noch keine. Das Theater hat mich schon damals fasziniert, weshalb ich mich vor Aufführungen immer vor das Bolschoi-Theater stellte und versuchte, eine Freikarte zu ergattern.
Einmal kam ein Mann mittleren Alters auf mich zu und fragte, ob ich in das Stück wolle. Er gab mir daraufhin eine Karte und ging mit mir in den Saal. Er war einer der Claqueure des Bolschoi-Theaters, mit dem ich mich rasch anfreundete. Für mich, einen einfachen Jungen aus der tiefsten Provinz Tschetscheniens, hatte diese erhabene Theateratmosphäre etwas Magisches und die Gespräche mit meinem neu gewonnenen Freund schmeichelten meiner Eitelkeit.
Ewgenij Swetlanow. Foto: Oleg Makarov / RIA Novosti
Er erklärte, was Fouetté und pas-de-trois sind, erzählte mir vom Theaterleben und lehrte mich, wer gut und wer schlecht war. Er sagte, Ewgenij Swetlanow sei ein großartiger Dirigent, und ein anderer wiederum Abschaum. Und mir, einem 17-jährigen Burschen, drehte sich der Kopf. Doch ich fand wieder zu mir. Am Ende der Aufführung wurde um Applaus gebeten – und wir klatschten.
Unsere Aufgabe war es, die Stimmung im Saal anzuheizen. Wir begannen zu klatschen und das Publikum folgte uns. Besonders spürbar war unsere Arbeit, wenn im Theater eine Aufführung für Soldaten, Feuerwehrleute oder gewöhnliche Arbeiter auf dem Programm stand, das heißt für ein Publikum, das dem Geschehen auf der Bühne im Halbschlaf folgte.
Wir setzten uns jeweils an die Enden des Saals und begannen zu klatschen. Dabei kannten wir bereits die Plätze, von denen aus man den Applaus hören musste. Soweit ich mich erinnern kann, wurde damals für alle applaudiert. Es war die Zeit der Primaballerinen Natalja Bessmertnowa und Nina Ananiaschwili. Auch der spätere Leiter des Bolschoi-Balletts Sergej Filin, dem vor einigen Jahren Säure ins Gesicht geschüttet wurde, tanzte damals. Es wurde niemals jemand ausgebuht – das hat man sich nur fürs Kino ausgedacht.
Natalja Bessmertnowa und Michail Lawrowskij. Foto: Alexandre Konkov / RIA Novosti
Die Claque unterstand den Anweisungen der obersten Theaterleitung. Diese war damals der Ballettmeister Jurij Grigorowitsch. Von ihm bekamen wir auch Freikarten für die Aufführungen. Ich war jedoch nur ein kleiner Junge in diesem Schauspiel, dem es nicht ums Geld ging, sondern vielmehr um die Möglichkeit, in diese magische Welt eintauchen zu können.
Ich stellte meinen „Mentoren“ viele Fragen. So fragte ich auch, warum ein Grigorowitsch oder eine Ananiaschwili das überhaupt brauchten, denn sie waren ohnehin großartig. Ich bekam zur Antwort, dass dies Tradition sei, da alle gerne Erfolg hätten. Wir stellten sicher, dass die Schauspieler am Ende der Aufführung tosenden Applaus, Jubelrufe und Blumen erhielten und dass nach einem Fouetté mindestens dreimal „Bravo!“ gerufen wurde.
Nina Ananiaschwili. Foto: Alexandre Makarov / RIA Novosti
Ich ging ins Theater, wann ich wollte. Denn ich hatte es geschafft, einen guten Kontakt zur Platzanweiserin aufzubauen. Unser Eintrittsritual war wie folgt: Ich brachte immer alte Eintrittskarten mit, zeigte ihr diese, woraufhin sie so tat, als würde sie diese einreißen, und mich hineinließ. In der Pause suchte ich sie dann erneut auf und gab ihr einen Rubel. Das war damals einiges an Geld, wenn man bedenkt, dass das Durchschnittsgehalt zu dieser Zeit 120 Rubel betrug.
Nein, ich wurde nicht bezahlt. Doch ich habe Eintrittskarten bekommen, die ich um das Zehn- oder sogar Zwanzigfache teurer weiterverkaufen konnte. Manchmal kauften diese auch Touristen und bezahlten in Fremdwährung.
Mit den Eintrittskarten wurde damals reger Handel betrieben. Sie wurden samstags zu einer bestimmten Uhrzeit an den Theaterkassen verkauft. Es herrschte jedes Mal großer Andrang. Viele übernachteten sogar vor den Kassen, nur um einige der Karten zu ergattern. Die Eintrittskarten wurden damals in begrenzter Menge direkt an die Käufer ausgegeben. Es wurde sogar damit spekuliert: Man kaufte sich die Karten gegenseitig ab, nur um sie später zu einem höheren Preis weiterzuverkaufen oder gegen Waren in den Geschäften tauschen zu können. Damals fehlte es an allem – an Waren und Lebensmitteln. Einmal habe ich erlebt, dass in einem Lebensmittelgeschäft mitten in der Stadt Eintrittskarten für das Bolschoi-Theater gegen Vogelmilch-Torten eingetauscht wurden.Ja. Ich stellte mich immer in den Hof des Puschkin-Museums, da dieses sehr bekannt war und dort tagsüber viele Touristen waren. Zudem gefiel mir der Ort sehr.
Foto: Reuters
Ich wurde sogar einmal von der Polizei aufgehalten. Sie hatten mich beobachtet, wie ich mit Touristen sprach, hatten aber nicht verstanden, worum es ging. Also hielten sie mich fest. Ich hatte es gerade noch geschafft, die Eintrittskarten, die ich in meiner Tasche hatte, unbemerkt auf den Boden fallen zu lassen. Ein Freund von mir, der alles aus einiger Entfernung beobachtete, sammelte diese dann später ein. So löste sich alles ohne Verluste in Wohlgefallen auf.
Aus meiner Sicht bestand die Claque aus einem sehr kleinen Kreis an schillernden Ballettliebhabern. In der Regel waren diese schwul, hatten keine Familie und stammten aus der Mittelschicht. Für sie war diese Tätigkeit zudem reines Vergnügen, von dem man zur damaligen Zeit auch noch normal leben konnte, ohne zu arbeiten.
Ich erinnere mich noch gut an die Worte eines Kollegen: „Ich leite das russische Ballett! Die einen werfe ich hinaus, die anderen preise ich.“ Das war meiner Meinung nach nur blöde Prahlerei, aber sie dachten dennoch, dass sie Stars erschaffen würden.
Foto: AP
Wir saßen üblicherweise ganz oben – im vierten Rang der Beletage. Mein Lieblingsplatz war direkt am Balkon, so nahe an der Bühne wie möglich. Von da aus sah man zwar kaum etwas vom Bühnenbild, hatte dafür aber den besten Blick auf die Tänzer. Man sah jede Bewegung und auch das Orchester.
Zu dieser Zeit war das Bolschoi-Theater nicht wirklich ideal aus der Perspektive des Publikums. Das Parterre war zwar pompös, doch bereits aus der zweiten Reihe in einer Loge konnte man kaum mehr etwas sehen.
Ich war dort fast bis ans Ende meines Studiums, also über drei Jahre. Ich erinnere mich so gut daran, weil ich drei Mal die traditionelle Aufführung des „Nussknackers“ vor Silvester miterleben durfte. Dann kam die Perestroika und alles änderte sich – auch im Theaterleben und in meinem.
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