Viele zentrale Straßen wurden in Moskau diesen Sommer aufgerissen. Dabei entdeckte man immer wieder historische Schätze.
Moskau-MuseumStellen Sie sich vor: Durch die engen Gassen des Moskaus der frühen Neuzeit flieht ein Dieb, verschwindet mal rechts, mal links hinter den Häuserecken und dreht sich minütlich nach seinen Verfolgern um. Das Klappern ihrer Stiefel hallt auf dem hölzernen Straßenpflaster. An eine Mauer gelehnt zieht der Straftäter unter seinem Mantel ein ausgeklügeltes Gerät zur Herstellung von Falschmünzen hervor und drückt es hastig unter die morschen Holzbohlen. Kaum hat er das Diebesgut versteckt, verschwindet er eilig vom Ort des Geschehens. Sein Versteck werden erst Archäologen finden, 300 Jahre später – wie auch das Straßenpflaster selbst.
Die russische Hauptstadt hat eine lange Geschichte, der Asphalt ihrer Straßen bedeckt kulturelle Überbleibsel vieler Jahrhunderte. Im historischen Zentrum Moskaus sind Bauarbeiten jeglicher Art ohne vorherige archäologische Begutachtung des Terrains gesetzlich verboten.
Seit 2015 durchläuft Moskau eine Generalsanierung. Viele zentrale Straßen werden aufgerissen, um neue Versorgungsleitungen zu verlegen, die Straßendecke wird vielerorts erneuert. Archäologen fördern dabei immer wieder neue Zeugnisse aus vergangenen Epochen zu Tage.
„Es ist nicht so, dass wir nur alles ausgraben wollten“, erklärt Leonid Kondraschew, einer der wichtigsten Archäologen Moskaus, im Gespräch mit RBTH. „Wir versuchen im Gegenteil alles in seiner ursprünglichen Beschaffenheit zu belassen. Auch jetzt haben wir uns bemüht, so wenig alte Schichten wie möglich zu berühren.“
Dennoch wurden innerhalb von zwei Jahren Arbeit mehr als 1 000 Artefakte gefunden. Genug, um eine Ausstellung mit dem Titel „Die Twerskaja, und nicht nur die“ (nach dem Namen einer der berühmtesten Straßen im Zentrum der russischen Hauptstadt, in der viele historische Gegenstände gefunden wurden) zu konzipieren.
Während der Bauarbeiten im Zentrums Moskau wurden zwei Teller mit mehreren Kupfermünzen aus dem 17. Jahrhundert entdeckt. Foto: Moskau-Museum
Jeder Fund birgt eine eigene Geschichte; etwa die der zwischen zerschlagenen Tellern versteckten 91 kleinen Kupfermünzen aus dem späten 17. Jahrhundert. In jener Zeit konnte man für einen solchen Betrag mit Freunden ausgiebig zechen. „Die Münzen sind klein und an einem äußerst sonderbaren Ort versteckt. Wahrscheinlich hat sich ein Mann heimlich hinter dem Rücken seiner Frau einen Vorrat an Kopeken angelegt“, erzählt die Kuratorin der Ausstellung Jelisaweta Swjatizkaja mit einem Lächeln.
In der benachbarten Vitrine sind bauchige Flakons Pariser Düfte zu sehen. Die Experten sind noch nicht sicher, ob es sich hierbei tatsächlich um Importstücke oder um Imitate geschickter russischer Bastler handelt. Etwas weiter — eine Axt, Tabakpfeifen, eine hölzerne Muttergottes-Figur. „Jede neue Entdeckung macht unsere Vorstellung dieser Epoche etwas reicher“, so Kondraschew. „Wir stehen vor einer Revolution unseres Wissens über die Stadt.“
Nicht allen jedoch gefällt die Generalsanierung in der Stadt. Im Internet kursiert der Spruch „Moskau – Mekka für Maulwürfe“ – eine Abwandlung des offiziellen Slogans „Moskau – eine lebenswerte Stadt“.
Empört reagieren auch einige archäologische Gruppierungen. Sie sind überzeugt, dass die Bauarbeiten unabsehbare Zerstörungen zur Folge haben. Als Beweis dient ein im Internet veröffentlichtes Foto von Andrei Nowitschkow, einem bekannten Aktivisten der Bewegung „Achnadsor“.
Das Bild zeigt unmittelbar unter frisch ausgegrabenen historischen Bögen verlaufende Kabelleitungen. „Solche Maßnahmen verstoßen eindeutig gegen das Gesetz, ich habe den Sachverhalt sogar der Generalstaatsanwaltschaft übermittelt“, erzählt uns Nowitschkow. „Kaum wurden die Fotos im Internet verbreitet, sorgten die Behörden dafür, dass am Tatort Erde aufgeschüttet und die Tat verdeckt wird.“Leonid Kondraschew selbst schätzt das Engagement der archäologischen Aktivisten. Deren Kritik sei aber zum guten Teil mangelndem Wissen über die Situation geschuldet. Nowitschkow wiederum räumt ein, die Situation habe sich in letzter Zeit zum Positiven gewandelt — insbesondere hinsichtlich der Informationspolitik.
Die Sanierungsarbeiten in Moskau werden noch zwei Jahre fortgesetzt und sollen zu Beginn der Fußballweltmeisterschaft 2018 abgeschlossen sein. Die Museen können sich also auf weitere Ausstellungen vorbereiten. „Diese „Ausbeute“ überrascht uns nicht“, sagt auch Swjatizkaja. „Ganz Moskau steht auf archäologischen Schätzen.“
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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