Befreier, Reformator, Lebemann: Sechs Fakten über den russischen Zaren.
Wikipedia.comAlexanders Vater war Zar Nikolai I. Der Monarch galt als reaktionär und erzkonservativ, streng und unbarmherzig – so ging er in die Geschichte ein. Der Volksmund gab Nikolai I. den Beinamen „Palkin“, zu Deutsch: „der Stockharte“. Stockschläge waren eine weitverbreitete Strafmaßnahme zu Zeiten Zar Nikolais I. International eroberte er sich nach der brutalen Niederschlagung der Revolution in Österreich-Ungarn den Ruf als Gendarm Europas.
Russlands Niederlage im Krim-Krieg (1853-1856) führte jedoch vor Augen, wie rückständig das Russische Reich gegenüber den europäischen Mächten war. Nikolais Nachfolger, Alexander II., übernahm den Thron und diesem war schnell klar, dass Reformen nötig waren. Die Historikerin Larissa Sacharowa beschreibt ihn so: „Ohne sich zu Reformen berufen zu fühlen, wurde Alexander II., ein Mann von klarem Verstand und gutem Willen, in Reaktion auf die Herausforderungen der Zeit zum Reformator.“
Bis zur Abschaffung der Leibeigenschaft 1861 waren russische Bauern das persönliche Eigentum ihrer Gutsherren, der Pomeschtschiki. Diese verfuhren mit den Leibeigenen nach Gutdünken: Verschenken, verspielen oder auch totschlagen war nicht unüblich. Zwar war der Totschlag der Leibeigenen gesetzlich verboten, wurde in der Praxis jedoch so gut wie nicht geahndet.
Alexander II. schenkte den Bauern die Freiheit. Doch die Böden, die sie bewirtschafteten, blieben größtenteils in Gutsherrenbesitz. Die Bauern erhielten zwar das Recht, die Böden von den Grundbesitzern zu erwerben. Für die meisten war das jedoch jahrzehntelang nicht möglich.
E. Botman "Portrait von Alexander II.", Russisches Museum
Die Abschaffung der Leibeigenschaft war nicht die einzige Folge der liberalen Einstellung des Zaren. Während seiner Herrschaft wurde die lokale Selbstverwaltung eingeführt, die strenge Zensur gelockert, die Armee verkleinert und modernisiert. Er verbesserte das Bildungssystem, die Universitäten wurden unabhängiger. Auch das Gerichts- und Bankenwesen wurden erneuert.
Mit Alexander II. wuchs das russische Imperium: Das Reich erstreckte sich bis nach Persien und im Fernen Osten reichte es bis zum Pazifik. Auch der Nordkaukasus kam endgültig unter Russlands Kontrolle. Gleichwohl verkaufte der Zar 1867 Alaska an die USA und tauschte 1875 mit Japan die Kurilen gegen die Insel Sachalin – die Gebiete galten damals als zu weit entfernt, als dass sie hätten erfolgreich verteidigt werden können.
Einer Erzählung zufolge änderte der Zar einst bei einem Besuch in der russischen Provinz spontan das Programm, um an einem Gottesdienst teilzunehmen. Der örtliche Polizeivorsteher, der den Zaren begleitete, schlug dem Herrscher buchstäblich eine Schneise durch die Menschenmenge – mit brachialer Gewalt. Er teilte nach allen Seiten Faustschläge aus und rief dabei: „Mehr Ehrfurcht und Respekt! Mehr Ehrfurcht und Respekt!“ Über diese absurde Szene lachte der Zar herzlichst und sagte, er verstehe nun, wie man Russen Ehrfurcht und Respekt beibringe. Aus dieser Erfahrung heraus mag der Zar eine erhaben-melancholische Lebensweisheit formuliert haben: „Russland zu regieren ist einfach, aber zwecklos.“
Aber auch ohne Victoria hatte der Zar viele glückliche Stunden. Die Heirat mit der deutschen Fürstin Marie von Hessen hielt ihn von zahlreichen Liebschaften nicht ab. Eine seiner Favoritinnen, Jekaterina Dolgorukowa, heiratete er nach Maries Tod. Acht Kinder gingen aus seiner ersten Ehe hervor, vier aus der zweiten.
Zu Zeiten Alexanders II. setzten radikale Revolutionäre erstmals Anschläge auf Amtspersonen als Mittel des Machtkampfs ein. Der Herrscher selbst wurde zu ihrer häufigen Zielscheibe. Dem ersten Attentat entging er 1866, vier weitere Anschläge folgten: Die Terroristen versuchten den Zaren zu erschießen und in die Luft zu sprengen – vergeblich.
Am 1. März 1881 griffen jedoch die Mitglieder der Terrororganisation „Narodnaja Wolja“, zu Deutsch „Volkswille“, das Ehrengeleit des Zaren mit Bomben an. Alexander II. wurde dabei tödlich verletzt und verstarb nach wenigen Stunden. Am Anschlagsort wurde zum Andenken an den Zaren die Auferstehungskirche errichtet – bis heute ein Wahrzeichen Sankt Petersburgs.
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