Die ausgefallene Produktion könnte dem internationalen Publikum gefallen. Foto: kinopoisk.ru
Der Verkauf der Fernsehserie „Silver Spoon“ (Originaltitel „Mazhоr“ – zu Deutsch: „Schnösel“) an den amerikanischen Streamingdienst Netflix ist das erste Geschäft dieser Art auf dem russischen Fernsehmarkt. Anfang dieses Jahres hatte Netflix bereits die Rechte an der russischen Zeichentrickserie „Mascha und der Bär“ erworben. Diese war wegen ihrer kostenlosen Verbreitung über YouTube zu diesem Zeitpunkt bereits in vielen Ländern bekannt und sehr gefragt. Der Kauf von „Silver Spoon“ aber ist ein grundsätzlich anderes Geschäft, denn Netflix wird damit erstmals eine russische Serie im Ausland auf den Markt bringen.
Netflix habe auch an anderen Projekten Interesse gezeigt, sagte die Produktionsfirma Sreda gegenüber RBTH. Vorerst wolle man sich aber auf ein Produkt konzentrieren. Warum die Wahl gerade auf diese Serie fiel, lässt sich einfach erklären.
„Silver Spoon“ basiert zunächst auf einem bereits gut etablierten Konzept im Seriengenre, das auf ein breites Publikum zugeschnitten ist. Die sogenannte Episodenserie erzählt vom Arbeitsalltag der Menschen in unterschiedlichen Berufen – Ärzten, Polizisten, Rechtsanwälten. Das Format war in den letzten Jahren mit den Serien „Dr. House“ und „Good Wife“ bereits sehr erfolgreich. Fernsehserien dieser Art leben von einer Kombination aus vertikaler und horizontaler Dramaturgie. Mit den „vertikalen“ Serien haben sie gemeinsam, dass jede Episode eine abgeschlossene Geschichte erzählt, die sich auch losgelöst von den übrigen Folgen der Serie erschließt – je Folge eine Ermittlung, zum Beispiel.
Das Episodendrama ist zugleich deutlich geprägt von Elementen einer „horizontalen Dramaturgie“, einem Erbe der klassischen Seifenoper. Die mit dem berufsbezogenen Strang zusammenhängenden Ereignisse stehen gleichberechtigt neben den kleineren und größeren Dramen aus dem Privatleben des Helden. Dieses Auf und Ab entwickelt sich von Folge zu Folge und zwingt den Zuschauer ab einem gewissen Moment, nicht nur dem kriminalistischen Spannungsbogen zu folgen.
„Silver Spoon“ schafft es, perfekt mit diesem Kanon der westlichen Fernsehdramaturgie zu spielen. Das Ende einer jeden Episode bindet das Publikum bis an das Ende der nächsten Folge – solange, bis der Zuschauer alle zwölf Episoden verschlungen hat.
Der dramaturgisch weit gefasste Zuschnitt von „Silver Spoon“ wird zudem durch die thematische Breite der Serie gestützt. Sie handelt vom Arbeitsalltag in einer Mordkommission der Moskauer Polizei. Nachdem der Sohn eines russischen Oligarchen nach einer Schlägerei mit einem Polizisten um ein Haar hinter Gittern gelandet wäre, schickt sein Vater ihn kurzerhand zur Polizei, um dort eine Lektion fürs Leben zu lernen.
Ihr nationales Kolorit erhält die Serie durch eine Reihe von stereotypischen Darstellungen des „russischen Lebens“: Partys unter Milliardären, Autorennen in Lamborghinis durch das Stadtzentrum von Moskau, kiloweise Kokain und aufgebrezelte Mädchen als Trophäen in den Armen der Reichen und Berühmten. Also alle kulturellen Mythen über jene marodierende Gesellschaftsschicht mit x-stelligen Millionensummen auf dem Bankkonto, die in Russland mit Ironie wahrgenommen wird, jenseits der Landesgrenzen angesichts ihrer Allüren jedoch eine Mischung aus Neugier, Neid und Verachtung hervorruft. Der Musiker Robbie Williams kann ein Lied davon singen.
Während die Bilder des „süßen Lebens“ in „Silver Spoon“ sehr viele „russische“ Stereotype transportieren, setzen sich in sonstiger Hinsicht – von der Ästhetik bis zum dramaturgischen Aufbau – gemäßigte westliche Muster durch. Aus diesem Grund wollen russische Fernsehkritiker die Serie auch nicht uneingeschränkt zu den großen Erfolgen des heimischen Genres zählen. Angesichts der Absurdität vieler dargestellter Verstrickungen stehe sie hinter anderen Serienerfolgen der Vergangenheit zurück. Dieser Mangel könnte „Silver Spoon“ jedoch gerade bei der Gewinnung eines ausländischen Publikums zugutekommen. Dieses wird die Ungereimtheiten in der Serie nicht immer erfassen können, sein Augenmerk stattdessen aber auf die starken und allen verständlichen zwei Hauptstränge der Handlung richten: die Verwandlung eines arroganten Snobs in einen klugen und feinfühligen Menschen und die Versuche, das Geheimnis um den Tod seiner Mutter zu lüften.
Auch bei der visuellen Darstellung unterscheidet sich „Silver Spoon“ deutlich von den meisten anderen russischen Serien. Kameramann Ulugbek Chamrajew sollte offensichtlich ein trendiges Werk produzieren. Die Ästhetik ist gewagt und anfechtbar, scheinen die Szenen doch gespickt mit Effekten der beliebtesten Instagram-Filter. Das Ergebnis ist grell. Wenn auch nicht immer schlüssig, so fesselt es den Zuschauer zweifellos. Und wenn es genau diese Effekte waren, die letztlich das Interesse des Streamingpioniers Netflix geweckt haben, dann lagen die Produzenten der Serie genau richtig. Unter dem Namen „Silver Spoon“ soll sie für das englischsprachige Publikum ab Ende November abrufbar sein.
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