Leo Trotzki: Sechs Fakten über den geächteten russischen Revolutionär

Leo Trotzki nimmt 1918 an einer Parade der Truppen Lenins auf dem Roten Platz teil.

Leo Trotzki nimmt 1918 an einer Parade der Truppen Lenins auf dem Roten Platz teil.

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Genau 38 Jahre, bevor die Bolschewiken an die Macht gelangten, erblickte Leo Trotzki das Licht der Welt – einer der bedeutendsten marxistischen Theoretiker des 20. Jahrhunderts und engster Kampfgefährte Lenins. Wenngleich von Josef Stalin entmachtet und ermordet, beeinflussen seine Ideen bis heute Linke in der ganzen Welt.

1. Unsteter Geist

Leo Bronstein wurde 7. November 1879 im Örtchen Janowka in der Südukraine geboren, damals Teil des russischen Zarenreiches. Seine Eltern waren jüdische Bauern, die bescheiden auf dem Land wohnten. Nicht so ihr Sohn Leo, in dem schon früh der revolutionäre Geist erwachte. Bereits mit 17 Jahren wurde er Mitglied einer Untergrundorganisation, zwei Jahre später saß er das erste Mal hinter Gittern.

1902 floh Bronstein aus der sibirischen Verbannung nach Europa und benutzte dabei erstmals den Namen „Trotzki“. Doch er hielt es nicht lange an einem Ort aus: Er beteiligte sich aktiv an der Arbeit der marxistischen Bewegung, kehrte illegal nach Russland zurück, nahm an der Revolution im Jahre 1905 teil, kam wieder in Haft, floh erneut nach Europa, arbeitete als Kriegsberichterstatter auf dem Balkan. Während des Ersten Weltkriegs reiste er in die USA aus.

2. Lenins ambivalenter Freund

Trotzki (links) im Gespräch mit Lenin (m.) und Kamenew (r.), aufgenommen von Leo Leonidow am 5. Mai 1920 auf dem Swerdlow-Platz in Moskau. / Leo Leonidow / wikipedia.orgTrotzki (links) im Gespräch mit Lenin (m.) und Kamenew (r.), aufgenommen von Leo Leonidow am 5. Mai 1920 auf dem Swerdlow-Platz in Moskau. / Leo Leonidow / wikipedia.org

Wladimir Lenin lernte Trotzki noch während seiner ersten Emigration kennen, und dieser hatte einen großen Einfluss auf ihn. Hin und wieder gingen ihre Ansichten auseinander – als beispielsweise die sozialistische Partei in den radikalen Flügel der Bolschewiken und den gemäßigten Flügel der Menschewiken auseinanderfiel, unterstützte Trotzki die Letzteren.

Der empörte Lenin nannte Trotzki deshalb „Judalein“, was die Stalinsche Propaganda noch Jahre später aufgriff. Aber mit der Zeit änderte Trotzki seine Haltung und wirkte an der Revolution 1917 bereits als Bolschewik mit. Der charismatische Redner bewirkte, dass die Soldaten in den Garnisonen auf die Seite der Revolution wechselten, organisierte zusammen mit Lenin die Machtübernahme in Petrograd und wurde Mitglied in der neuen Regierung.

3. Gründer der Roten Armee

Leo Trotzki besucht die Rote Armee in der Stadt Swijaschsk im August 1918. Foto: State museum of political history of Russia/WikipediaLeo Trotzki besucht die Rote Armee in der Stadt Swijaschsk im August 1918. Foto: State museum of political history of Russia/Wikipedia

Als 1918 der Bürgerkrieg zwischen den Bolschewiken (den „Roten“) und ihren Gegnern (den „Weißen“) entbrannte, befehligte Trotzki die Rote Armee, die er faktisch aus dem Nichts geschaffen hatte. In einem speziell für ihn gefertigten Zug besuchte er persönlich alle Fronten des riesigen Reiches. So legte er während des Kriegs mehr als 105 000 Kilometer zurück.

Trotzkis Stärke war die Agitation – als flammender Redner motivierte er die Soldaten zum Kampf. In seiner Trotzki-Biografie „Der bewaffnete Prophet“ verglich der Historiker Isaac Deutscher den Revolutionär mit einem biblischen Prediger. Und die Autoren der „Harpers Enzyklopädie der Militärgeschichte“ machten für den Sieg der Bolschewiken „Trotzkis Talent für Verwaltung und Strategie“ verantwortlich.

4. Unbarmherziger Intellektueller

„Trotzki war ein Intellektueller im wahrsten Sinne des Wortes“, schrieb der Maler Juri Annenkow. Trotzki war, im Unterschied zu vielen anderen Köpfen der Bolschewiken, sehr höflich, gebildet, und unterhielt sich mit Vergnügen über Kunst.

Trotzkis Intellektualität machte ihn aber nicht zu einem sanften Menschen. Wie andere Bolschewiken unterstützte auch er das Konzept des „Roten Terrors“, die Vernichtung sämtlicher Feinde der Revolution. „Schonungslosigkeit“, sagte Trotzki, „ist die höchste revolutionäre Humanität“. Einmal befahl er persönlich, jeden Zehnten in der Truppe zu erschießen, der während des Gefechts geflohen war.

5. Verlierer im Kampf um die Macht

Während der Revolution und des Bürgerkriegs war Trotzki nach Lenin der zweite Mann in der Partei der Bolschewiken. Aber nachdem Lenin erkrankte und 1924 schließlich starb, geriet die Position des „Vaters“ der Roten Armee ins Wanken. Trotzkis Zeitgenosse Simon Liberman bemerkte in seinem Buch „Building Lenin’s Russia“, dass die Schwäche Trotzkis, dieses glänzenden Theoretikers und Rhetorikers, dessen Ungeselligkeit war. „Er war ein ausgezeichneter Kollege, der sehr beliebt war, und trotzdem war er allein (in der Partei)“, schrieb Liberman.

Josef Stalin, der in den ersten Jahren nach der Revolution eine recht bescheidene Stellung in der Partei einnahm, ergriff die Initiative. Trotzki nannte Stalin verachtend den „größten Kleingeist unserer Partei“, aber dieser „Kleingeist“ vermochte es, unbemerkt den Großteil der einfachen Bolschewiken auf seine Seite zu bringen, weshalb er am Ende im innerparteilichen Kampf den Sieg davon trug.

6. Ermordet in der Emigration

Leo Trotzki (zweiter von links) mit seiner Frau Natalia Sedowa und dem mexikanischen Maler Diego Rivera (rechts) 1938 während seiner Zeit im mexikanischen Exil. Foto: Getty ImagesLeo Trotzki (zweiter von links) mit seiner Frau Natalia Sedowa und dem mexikanischen Maler Diego Rivera (rechts) 1938 während seiner Zeit im mexikanischen Exil. Foto: Getty Images

Während der Zwanzigerjahre büßte Trotzki seine Stellung ein, ihm wurde „kleinbürgerliches Abweichlertum“ vorgeworfen und seine Anhänger wurden aus den Schlüsselpositionen verdrängt. 1929 wurde er des Landes verwiesen. Die Stalin-Propaganda zeichnete von ihm das Bild einer Brutstätte des Bösen, eines Teufels der sowjetischen Mythologie.

Der Revolutionär ließ sich in Mexiko nieder – Europa hatte ihm Asyl verweigert. All die Jahre seiner Emigration kritisierte Leo Trotzki Stalin und die Sowjetunion aufs Schärfste, er sah die marxistische Idee verraten. So klagte er: „Das bleierne Hinterteil der Bürokratie wog schwerer als der Kopf der Revolution.“

1939 gab Stalin den Befehl zu seiner Liquidierung. Nur ein Jahr später wurde der 60-jährige Trotzki von dem sowjetischen Agenten Ramón Mercader mit einem Eispickel erschlagen. Der Gründer der Roten Armee wurde in Mexiko bestattet. Lediglich ein weißer, mit Hammer und Sichel gekennzeichneter Stein mit einer roten Fahne erinnert heute an den einstmals so mächtigen Revolutionsführer.

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