Christian Knapp.
Roman ZaydullinChristian Knapp. / Roman Zaydullin
RBTH: Was lockte Sie nach Russland? Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Besuch?
Christian Knapp: Als ich zum ersten Mal nach Russland kam, war es 1984, es gab noch die Sowjetununion und Gorbatschow. Es war mein erster Auslandsaufethalt undeine sehr spannende Zeit. Aber es war eine ganz normalen Touristenreise, wir waren drei oder vier Tage in Leningrad, dann drei-vier Tage in Moskau. Ich kann mich noch an die Sehenswürdigkeiten erinnern, aber nicht, ob ich mich wirklich in die Kultur vertiefte. Woran ich mich ganz genau erinnere, ist die unglaubliche Schönheit und dass ich mich total in Leningrad verliebte.
Sehen Sie große Veränderungen in Moskau und Sankt Petersburg seit damals?
Oh ja, unglaubliche Veränderungen. Und es gab sogar Veränderungen seit meinem zweiten Russlandaufenthalt, als ich 1997 bis 1999 am Sankt Petersburger Konservatorium studierte. Und jetzt die Gegenwart, da ich am Mariinski arbeite. Ich habe diese Transformation gesehen. 1997 war Russland irgendwie noch unruhig, versuchte noch, seinen Weg zu finden. Heute ist das Land ein ganz anderer Ort: wohlhabend, stabil, lebendig - vor allem in Moskau und Sankt Petersburg.
Wie kamen Sie zum Mariinski-Theater?
Ich kannte das Mariinski seit meiner Studienzeit am Konservatorium, weil es ja nur einmal über die Straße war. Seitdem hat mich das Mariinski fasziniert - sowohl seine beeindruckende Musik als auch eine Person, die nun mein Chef und Mentor ist: Maestro Valery Gergijew.
Ich habe schon eine erfolgreiche Karriere in den USA und Europa hinter mir und auch schon einen anderen Vertrag mit einem amerikanischen Orchester, wo der wunderbare georgische Pianist Alexander Toradze spielte, der ebenfalls ein guter Freund von Maestro Gergijew ist. Ich erinnere mich noch an sein "Klavierkonzert Nummer 3" von Pokroffjew. Dann spielte ich die "Petruschka".
Alexander Toradze ehrte mich, indem er im Saal sitzen blieb und meinem Auftritt zuhörte (normalerweise gehen Musiker gleich nach ihrem eigenen Auftritt). Er lobte mein Dirigat und dann, bei ein paar Drinks, sagte ich ihm, dass ich immer schon mit dem Mariinski arbeiten wollte. Und er sagte mir: "Das ist es! Ich organisiere das Kennenlernen!" Und er hat sein Versprechen gehalten.
Die erste Oper, die ich am Mariinski dirigierte, war "Elektra" von Richard Strauß 2011. Direkt danach, am nächsten Tag, rief mich das Theater an und fragte mich, ob ich nicht länger bleiben und an der Premiere der "Ariadne auf Naxos", auch von Richard Strauß, mitarbeiten möchte. Dieses Projekt ging wieder über einige Wochen und dann fragten sie mich immer wieder. Und an einem bestimmten Punkt sagte Maestro Gergijew dann: "Also, wir brauchen Sie hier!"Und seitdem ist es ein großartiger Arbeitsort für mich. In manchen Monaten habe ich bis zu 15 verschiedene Vorstellungen. Ich glaube, zu meinem Repertoire gehören jetzt mehr als 50 Opern und ich dirigiere auch immer noch regelmäßig Symphonie-Stücke wie Mahler oder Beethoven mit diesen beeindruckenden Musikern des Mariinski-Orchesters. Diese Zusammenarbeit gibt mir sehr viel.
Wie ist die Arbeit mit Gergijew?
Fantastisch! Er ist sehr inspirierend. Er ist eines dieser wahren Genies unserer Zeit und seine Energie ist unglaublich. Er kann so viel erreichen und Dinge so gut zusammenbringen. Sein Künstlersein ist beeindruckend: Er ist der Beste auf der Welt. Und es ist immer hilfreich, einen Mentoren wie ihn an seiner Seite zu wissen und mit einem Dirigenten solchen Genies in Kontakt zu sein. Ich werde ständig mit neuen Ideen und neuer Inspiration gefüttert.
Sie sind schon in vielen Ländern aufgetreten. Können Sie sagen, ob es so etwas wie eine Russische Dirigierschule gibt?
Ganz sicher! Es gibt sogar einen eigenen Sankt Petersburger Dirigierstil. Viele Leute denken, dirigieren ist ja leicht - eins, zwei, drei, vier - das können wir jedem in 20 Minuten beibringen. Aber die Arbeit eines Dirgenten geht viel tiefer. Er muss das Stück verstegen, seine Struktur, Architektur und das Werk kontrollieren. Was in Russland einzigartig ist - und ich meine es war Neeme Järvi (der estnisch-amerikanische Dirigent - Anm. d. Red.), der in Sankt Petersburg studierte und sagte - dass die Russen ihre Dirigenten so erziehen wie andere Länder ihre Violinisten: streng und mit ausgezeichneter Technik.
Ich genoss die große Ehre, bei Ilja Musin in Sankt Petersburg in dessen drei letzten Lebensjahren studieren zu dürfen. Er ist sozusagen der Vater der Sankt Petersburger Dirigierschule und war auch ein Lehrer von Gergijew und Temirkanow. Musins System konzentriert sich vor allem darauf, wie viel du nur mit deinen Händen kommunizieren und ohne jedes Wort mit dem Orchester sprechen kannst, wenn das überhaupt möglich ist. Gleichzeitig aber ist in der Russischen Schule der Klang und der Fluss des Klanges am wichtigsten und grundlegendsten. Die deutsche oder amerikanische Dirigiertechnik legt da viel mehr Wert auf die rythmische Organisation.Spielen russische und andere Orchester Russische Klassik auf dieselbe Art und Weise?
Meine Antwort ist ja und nein. Natürlich helfen Kontext und Stil sehr und es gibt solche Momente am Mariinski, da ich das Vergnügen habe, eine Tschaikowski-Symphonie oder etwas von Schostakowitsch zu leiten. Und da gibt es diesen einmaligen Klang und du verstehst, dass das nicht automatisch genau so wäre, wenn ich jetzt ein amerikanisches Orchester dirigieren würde.
Aber da gibt es auch noch mehr Momente. Zum Beispiel ist es in Westeuropa, vor allem in Frankreich und England, sehr beliebt, Mozart und Haydn in authentischem Stil umzuseten. Aber dieser Umgang mit klassischer Musik ist in Russland nicht sehr üblich. Das wäre der Ja-Teil meiner Antwort.
Aber der Nein-Teil ist: Egal wo man ist, ob in Moskau oder Sankt Petersburg, London, Paris oder New York - wenn großartige Musiker zusammenkommen und ein großartiger Komponist an dem Werk gesessen hat, dann beginnen sie alle, den Stil zu verstehen. Das ist international.
Noch eine Frage zu Unterschieden: Sehen Sie Unterschiede in den Reaktionen des Publikums in unterschiedlichen Ländern?
Natürlich! Über das Publikum in Sankt Petersburg beispielweise kann ich das ganz genau sagen. Ich bin jesed Mal wieder beeindruckt, wie viel Erfahrung und Kultur sie in den Saal mitbringen. Und es ist wunderbar, dort mit ihnen zusammen zu sein.
Hatten Sie sprachliche Probleme mit den russischen Musikern?
Ich habe ja das Glück, in Russland drei Jahre lang am Konservatorium studiert zu haben. Und obwohl ich nicht perfekt Russisch spreche, kann ich mich im Leben und auf der Arbeit doch gut zurüchfinden.
Welche russischen Pianisten würden Sie hervorheben?
(Swjatoslav) Richter! Und als ich in den 70ern und 80ern in den USA aufwuchs, war Wladimir Horowitz für mich ein Gott. Er war aus der Sowjetunuin ausgewandert und hatte einst noch ein großes Konzert in seiner Heimat, wo er auch ein russisches Stück spielte. Mein Vater, der mein Musikstudium immer sehr unterstützt hat, weckte mich damals ganz früh morgens nach Chicagoer Zeit auf und wir schauten uns Horowitz im Fernsehen an.
Welche sind ihre drei liebsten russischen Komponisten?
Er ist auch Russe, aber auch universell: Strawinsky ist mein Topfavorit. Ich könnte mir das 20. Jahrhundert ohne ihn nicht vorstellen.
Ich muss auch Tschaikowski nennen, weil meine Lieblingsoper "Pique Dame" ist auch von ihm. Aber ich muss auch Prokoffjew, Schostakowitsch und Rachmaninow nennen, sonst hätte ich ein schlechtes Gewissen.
Wenn Sie einst ihr eigenes Theater eröffnen, welches Stück würden Sie unbedingt spielen?
Zweifelsohne die "Pique Dame"!
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