Das Eisbad in der Epiphaniasnacht gehört zu den extremen und zugleich beliebtesten orthodoxen Traditionen. Foto: ITAR-TASS
Bei frostigen Temperaturen ins Wasser zu steigen ist gar nicht so schlimm. Wenn die Lufttemperatur eisige minus 20 Grad beträgt, im Gegensatz dazu die Wassertemperatur aber ganze plus zwei Grad misst, dann ist es, als würde man in kuhwarme Milch eintauchen. Hauptsache, man trocknet sich hinterher schnell ab. Das behaupten zumindest die, die in der Epiphaniasnacht zum Eisbaden gehen.
Die orthodoxen Christen feiern Epiphanias, die Taufe von Jesus Christus, in der Nacht vom 18. auf den 19. Januar. Das Fest beginnt mit der liturgischen Abendmesse, an deren Ende die Geistlichen das Wasser in den Wasserstellen weihen. Danach füllen die Gläubigen das heilige Wasser in ihre mitgebrachten Gefäße und nehmen es mit nach Hause. Man wäscht sich damit, trinkt es oder bewahrt es wie ein Heiligtum auf. Geweihtes Wasser soll über besondere Eigenschaften verfügen. Es kann zum Beispiel viele Jahre in einem geschlossenen Behälter aufbewahrt werden, ohne zu verderben.
Das Eisbad in der Epiphaniasnacht gehört zu den extremen und zugleich beliebtesten orthodoxen Traditionen. Manchmal wird ein Taufbecken in einer Kirche oder Kapelle errichtet, meistens jedoch badet man in einem kreuzförmigen Eisloch einer gefrorenen Wasserstelle. Dieses Jahr werden in Moskau mehr als 40 solcher Eislöcher vorbereitet, jedes gut ausgestattet mit Beleuchtung, Erster Hilfe und Rettungsdienst. Außerdem werden beheizbare Zelte aufgestellt, in denen sich die Badegäste umziehen und nach dem Eisbad aufwärmen können.
Als ob die Willenskraft der Orthodoxen auf die Probe gestellt werden soll, wird es in diesen Tagen für gewöhnlich immer frostiger. So nennt man den rapiden Temperatursturz in dieser Zeit auch „Epiphanias-Frost". Aber trotz der eisigen Temperaturen kann man in der Epiphanias-Nacht viele Eisbadewilligen sehen. Zur „Stoßzeit" stehen sie manchmal sogar eine ganze Stunde am Eisloch an, manche nur im Badeanzug und mit Handtuch. Wenn die Leute nach der langen Wartezeit schließlich gründlich durchgefroren sind, steigen sie mit Freude ins eiskalte Wasser, dessen Temperatur ja doch um einiges höher ist als die der Luft. Den Unterschied von 20 Grad spürt man schon deutlich.
Dieses extreme Ritual zieht nicht nur religiöse Menschen an, die eine wichtige christliche Zeremonie vollziehen wollen, sondern auch solche, die lediglich ihre Robustheit auf die Probe stellen wollen. Nicht selten wird dieses Ritual auch von Alkoholexzessen begleitet, was dem Sinn dieses Brauches im Kern widerspricht.
„Ich bin vor zwei Jahren ins Eisloch getaucht, es hatte ungefähr 20 Grad minus. Ich stand eine halbe Stunde auf meinem Handtuch, bis ich an der Reihe war", erzählt zum Beispiel Iwan, ein Student aus Moskau. „Ich bin nicht besonders religiös. Ich trage zwar Schmuck in Form eines Kreuzes, aber in die Kirche gehe ich nicht. Ich wollte einfach nur ausprobieren, ob ich das kann oder nicht. Ich liebe alles, was mir einen Kick verschafft."
„Die Waschung im Taufbecken hat eine untergeordnete Bedeutung", sagt Priester Alexander. „Das Wichtigste für den Gläubigen sind an diesem Tag die Teilnahme am Gottesdienst in der Kirche, die Beichte und das Abendmahl. Das Eisbad ist nicht unbedingt notwendig und wäscht schon gar nicht von den Sünden rein." Von diesen, so der Geistliche weiter, könne jemanden nur ein Priester nach der Beichte und dem Abendmahl in der Kirche lossprechen. Der Hype um diesen Feiertag sei ein Verdienst der Massenmedien.
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