Im 18. Jahrhundert bildete sich in Palech eine Schule der Ikonen- und Kirchenmalerei heraus. Die Palecher Künstler übernahmen bedeutende Aufträge für das Zarenhaus. Foto: Jewgenij Ptuschka / Strana.ru
Palech hat immer noch einen guten Klag. Das Wort steht für eine lange Tradition von der Ikonenmalerei bis zu den künstlerischen Lackminiaturen auf Schatullen und Dosen aus Pappmaché. Sie stellen symbolische Figuren aus Märchen und Epen, folkloristische Szenen aus klassischen Werken und Liedern sowie aus dem Alltag dar. Die Kunstwerke sind in der Regel schwarz grundiert, sehr farbenfroh, mit Gold verziert und sehr sorgfältig lackiert und poliert. So kennt man "Palech" als Form des russischen Kunsthandwerks in aller Welt.
Eigentlich ist "Palech" ein Dorf, das dem Kunsthandwerk seinen Namen verlieh. Es liegt nur 320 Kilometer nordöstlich von Moskau zwischen Nischnij Nowgorod und Iwanowo an den Ufern des idyllischen Flüsschens Paleschka. Es wurde zum ersten Mal im 15. Jahrhundert erwähnt. Spätestens im 18. Jahrhundert bildete sich dort eine eigene Schule der Ikonen- und Kirchenmalerei heraus, die auf Traditionen der Lackminiaturenmalerei aus Fedoskino zurückgeht. Es entstanden wunderschöne Ikonen mit viel Liebe zum Detail ("Palecher Manier"). Die Palecher Künstler übernahmen bedeutende Aufträge für das Zarenhaus. Noch heute lassen sich kostbare Zeugnisse dieser Arbeiten in den Kirchen des Moskauer Kremls, im Nowodewitschi- oder im Sergijew-Possad-Kloster bewundern. Den Facettenpalast im Kreml malte 1882 beispielsweise die Palecher Ikonenmaler-Dynastie Belousow aus. Die Geheimnisse der traditionsreichen Kunst wurden immer wieder von Generation zu Generation weitergegeben.
Nach der Oktoberrevolution, mit der sich das atheistische Weltbild verbreitete, suchten die Ikonenmaler verzweifelt neue Anwendungsfelder für ihr Können. Sie bemalten weltliche Gebrauchsgegenstände und Spielzeug, etwa Löffel, Küchenutensilien, Schachteln oder Matrjoschka-Puppen. Dennoch konnte das den Niedergang der Kunst nicht aufhalten. Erst als es den Meistern, die sich in einer Künstlergenossenschaft "Artel" zusammengeschlossen hatten, gelang, den Stil weiterzuentwickeln und neue Anwendungen zu finden, interessierte man sich wieder für dieses Kunsthandwerk.
Auf der Moskauer Kunsthandwerkausstellung 1923 stellten sie Holzsachen aus, die zwar im traditionsreichen Stil der Ikonenmalerei ausgeführt waren, aber Motive aus russischen Volksliedern, klassischen Märchen und Puschkins Novellen aufgriffen. Es war das erste Mal, dass die Palecher den Feuervogel in Szene setzten. Das mythische Wesen ist seitdem nicht nur ein beliebtes Motiv der Lackminiaturen aus Palech. Es dient mittlerweile sogar als Qualitäts- und Herkunftszeichen: Die Dosen und Schatullen aus Pappmaché tragen das Logo des Feuervogels.
Die Renaissance der Volkskunst jedoch begann, als die Werke der Palecher Meister die Landesgrenzen hinter sich ließen. Der junge Sowjetstaat erkannte ihren Wert auf dem Weltmarkt und kurbelte den Export an, was ihm die ersehnten Devisen brachte. Die Palecher Arbeiten
Die Bemalung ist im Stil der altrussischen Ikonenmalerei des 15. und 16. Jahrhunderts von Susdal und Moskau gehalten. Seit den 20-er Jahren des 20. Jahrhunderts bemalen die Meister von Palech vor allem Schatullen, Broschen, Puderdosen, Brillenetuis und Aschenbecher.
Typische Motive der Palech-Miniaturen stammen aus Märchen, Heldenepen und Liedern. Sie greifen auch Szenen der klassischen russischen Literatur sowie dem Alltag auf. Die Miniaturen werden meistens auf schwarzem Hintergrund gemalt, mit reichlich Gold verziert und zum Schluss lackiert.
Der Feuervogel bürgt für Authentizität und Qualität des Markennamens Palech.
erlangten schnell Weltruhm, heimsten Auszeichnungen auf der Pariser Weltausstellung 1925 ein. Der Bedarf wuchs, und mit ihm der Bedarf an befähigtem Nachwuchs. Mit dem Jahr 1928 begann in Palech die reguläre Nachwuchsausbildung an der neugegründeeten Kunstfachschule. 1935 öffnete das Palecher Museum, das bis heute über die größte Sammlung an unschätzbaren Ikonen, Lackminiaturen, Grafiken und Gemälden verfügt. Später mischten sich - von der kommunistischen Partei und sowjetischen Regierung gefördert - Motive mit revolutionären Szenen und Sujets zu staatlichen Anlässen unter die Bilder.
„Die Herstellung der Rohlinge aus Pappmaché ist ein langwieriger und arbeitsaufwendiger technologischer Prozess", weiß Viktor Paramonow, Vorsitzender des Künstlerverbandes Palech, der selbst einer Künstlerdynastie entstammt. Unter seiner Leitung sind heute 120 Künstler als Miniaturen-Maler tätig. „Alles ist Handarbeit. Aus den Pappmaché-Platten wird ein Rohling hergestellt, der dann eingeölt, grundiert und gespachtelt wird. Danach wird außen ein schwarzer Firnis und innen rote Emaille aufgetragen, bevor das Stück zum Trocknen kommt."
Schon in diesem frühen Herstellungsstadium ist jede Schatulle ein Einzelstück. Später erfolgt das noch aufwändigere Bemalen mit vielgestaltigen Elementen und Verzierungen der winzigen Motive mit ihrem charakteristischen weichen Farbton unter Verwendung von komplizierten Mustern und Goldschattierungen. Weil die Miniatur feinste Pinselstriche erfordert, malen die Künstler mit Lupe. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist jedes Produkt ein unverwechselbares, künstlerisch hochwertiges Unikat. Dann wird eine Schicht aus Klarlack aufgetragen. Das abschließende Polieren erfolgt mit der Hand, was das Stück endgültig einzigartig macht.
Doch die Zeiten ändern sich. Zwar wird in diesem Jahr die Palech-Sektion beim Russischen Künstlerverband 60 Jahre alt, und es ist aus diesem Anlass auch eine Ausstellung in Vorbereitung. Allerdings befürchtet der Sektionsvorsitzende, der Staatspreisträger Wasilij Makaschow, dass es nicht viel auszustellen gibt. Es gibt kaum noch große Ateliers mit selbstständigen Künstlern in Palech.
"Nur noch fünf der alteingesessenen Meister sind in Palech tätig", weiß Makaschow. "Die jungen Künstler gehen weg und verdingen sich als Kirchenmaler." Vielerorts werden verfallene Kirchen wieder restauriert oder gänzlich neugebaut. Heiligenmalerei ist derzeit gefragt. "Allerdings auf nicht besonders hohem Niveau", rümpft Makaschow die Nase.
Das sei zwar einerseits gut, denn die Künstler kehrten zur Sakralkunst ihrer Vorfahren zurück. Andererseits blute die Kunstform "Palech" aus, was die Originale teuer mache. Eine autorisierte Kunst-Schatulle kostet bis zu einer Million Rubel (25.000 Euro) und geht an Sammler. Staatliche Aufkäufe wie zu Zeiten der Sowjetmacht gibt es nicht mehr. "Palech müsste im Grunde bei Null anfangen." Dem Künstlerverband Palech letztes Jahr nur ein einziger Nachwuchskünstler beigetreten, aber für 5.000 Rubel (125 Euro) pro Monat wollte und konnte er nicht arbeiten. "Man kann ihn verstehen", zuckt Makaschow die Achseln.
Noch arbeiten von den knapp 6.000 Einwohnern rund 600 als Kunsthandwerker. "Alle sind sie Absolventen der Maxim-Gorki-Kunstschule in Palech. Es gibt überhaupt nur zwei Fachschulen für Kunsthandwerk in Russland. Unsere Bildungseinrichtung entlässt jedes Jahr ganze 16 Absolventen, und es kommen immer weniger Studenten. Um die vorhandenen Plätze aufzufüllen, müssen wir durch die Gegend tingeln und die Werbetrommel schlagen. Und trotzdem kommt immer weniger Nachwuchs aus den alteingesessenen Künstlerfamilien. Aus den Städten verschlägt es sowieso niemanden hierher. Meiner Meinung nach ist für uns das Wichtigste, die Kunstfertigkeit zu erhalten und das künstlerische Niveau zu bewahren. Palech darf nicht zur Souvenirkunst verkommen", schnaubt der Direktor der Fachschule Michail Belousow.
Doch leider gibt es keine staatlichen Aufträge, kaum finanzielle Erleichterungen und zunehmende Probleme in der Produktion. Indes plant man neben der Fachschule die Errichtung eines kommerziellen Kultur- und Veranstaltungszentrums mit Restaurants, Cafés und einem Souvenirladen namens „Palech – Heimat des Feuervogels". Hier soll primitiver Ramsch kultiviert und Souvenirs verkauft werden. Im Verkaufsraum sollen Christbaumkugeln mit Porträts von Palecher Einwohnern und Schatullen mit Mercedes-Abbildungen angeboten werden. Belousow schüttelt sich. Noch gibt es die echten wertvollen Palech-Kunstwerke. Der Schwarzhandel mit ihnen beträgt 80 bis 90 Prozent. Das Anti-Piraterie-Gesetz nützt nichts, die Souvenirläden kaufen den Künstlern inzwischen Sachen ab, die einer Expertenprüfung nicht standhalten würden. Was bleibt, sind billige Haftmagneten als neue, zweifelhafte Heimat für den Feuervogel. "Was macht man mit Geldfälschern? Man sperrt sie ein", empört sich Paramonow, "aber für die Fälschung von Palech-Erzeugnissen wird niemand eingesperrt!"
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Rossijskaja Gaseta.
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