Irina Antonowa. Foto: RIA Novosti
Der Abschied Irina Antonowas als Direktorin des Puschkin-Museums nach über einem halben Jahrhundert stellt für Viele in Russland weit mehr als nur einen Personalwechsel dar. Er wird als Zeichen
Irina Alexandrowna Antonowa, geboren am 20. März 1922 in Moskau, ist Kunsthistorikerin und war von 1961 bis 1. Juli 2013 Leiterin des Staatlichen Puschkin-Museums für bildende Künste. Seit 1. Juli 2013 ist Antonowa Präsidentin des Puschkin-Museums. 1945 schloss sie ihr Studium an der Moskauer Lomonossow-Universität ab und begann im Staatlichen Puschkin-Museum für bildende Künste zu arbeiten, wo sie auch ihre Dissertation schrieb. Gegenstand ihrer Forschungen war die Kunst Italiens in der Epoche der Renaissance.
einer Modernisierung wahrgenommen, die nun auch eine der konservativsten Sphären der Gesellschaft erreicht hat: das Museumswesen. Und wenngleich ihre Nachfolgerin Marina Loschak in Interviews mehrfach versicherte, sie plane „keine Revolution“ in dem traditionsreichen Haus, gilt Veränderung dennoch als unausweichlich.
Die neue Ära wird allein schon durch den Umstand markiert, dass die 1955 geborene Loschak eine vollkommen andere Generation vertritt als ihre Vorgängerin. Ihre akademische Herkunft ist zudem die Philologie, nicht die Kunstgeschichte. Ihren Schwerpunkt bildeten bisher überwiegend Literaturprojekte und avantgardistische Kunst. Früher arbeitete sie im Literaturmuseum Odessa, dem Majakowskij-Museum für Avantgardekunst in Moskau, organisierte Ausstellungen zur russischen Avantgarde für das „Moskauer Zentrum der Künste“. Zuletzt war sie Leiterin der Moskauer Manege, eines ebenfalls bedeutenden Museumskomplexes im Zentrum Moskaus. Das Puschkin-Kunstmuseum ist dennoch eine andere Größe. Es zählt zum kulturellen Erbe Russlands und steht in seiner Bedeutung gleichrangig neben dem Bolschoi-Theater und der Eremitage.
Eine der wichtigsten Aufgaben von Loschak wird es sein, zeitgemäße, westliche Standards in dem Museum einzuführen. „Moderne Ansätze müssen nicht immer mit radikalen Veränderungen einhergehen“, sagt sie. „Ausschlaggebend ist oft eine gewisse Kultur der Sprache. Hier geht es um ganz triviale Dinge wie Licht und Indoor-Navigation.“ Eine bestimmte Infrastruktur sei heute selbstverständlich wie beispielsweise drahtloses Internet. Mithilfe solch einfacher Neuerungen könne man schon viel erreichen, meint die Kuratorin. „Museen sollten überhaupt eine zeitgemäße Sprache sprechen. Wir versuchen schließlich auch nicht, uns mit den Besuchern auf kirchenslawisch zu verständigen. Moskau ist eine Stadt mit einem sehr schnellen Informationsfluss. Wir brauchen kontinuierliche Innovationen.“
Eine der wichtigsten Aufgaben wird die Umsetzung der Museumsstadt
Tatsächlich beschränken sich die anstehenden Aufgaben aber nicht auf einfache Details. Mit technischen Modernisierungen ist es bei Weitem nicht getan. Schon lange ist eine Erweiterung des Museums geplant, dessen Ausstellungsflächen nicht groß genug sind, um die Bestände aus den Magazinen zu zeigen. Auch das von dem Briten Norman Foster entworfene Projekt der sogenannten „Museumsstadt“ in der Wolchonka wartet noch auf seine Umsetzung.
Marina Dewowna Loschak, geboren am 22. November 1955 in Odessa, ist Kuratorin, Galeristin, Kunst-Managerin, Kunsthistorikerin, Kunstsammlerin. Nach ihrem Studium an der Staatlichen Universität Odessa in klassischer Philologie war sie in vielen leitenden Museumsstellen tätig. Im Jahr 1998 übernahm Loschak die Leitung der PR-Abteilung der SBS-Agro-Bank und bekleidete danach dort das Amt des „Attaché für Kultur“. 1999 bis 2003 leitete sie das Moskauer „Zentrum für Künste“. Seit 1. Juli 2013 ist sie Leiterin des Staatlichen Puschkin-Museums für bildende Künste. Zuvor war sie als Mitgründerin und Miteigentümerin Art-Direktorin der Proun-Gallery in Moskau (seit 2007) und von 2012 bis 2013 Art-Direktorin der Moskauer Manege.
In dieser Frage ist Loschaks Position doch schon beinahe revolutionär. Konkrete Ideen für die Realisierung hat sie nicht, dafür aber eine Vision, wie das Ergebnis aussehen sollte: „Mir gefällt die Idee eines offenen Depots – wie die Fenster ohne Vorhänge in Holland. Russland ist ein Land der Fensterläden und Zäune. Wir sollten sie alle wegschaffen. Dieser neue Gebäudekomplex ist unsere gemeinsame Aufgabe. Wir müssen unbedingt die Sachverständigenräte erweitern, eine umfassendere Perspektive auf die Dinge einnehmen und den engen Fokus auf Museen ablegen.“ Die Arbeit mit der Stadtregierung schätze sie, weswegen sie auf eine gute Kooperation mit der Stadt Moskau hoffe. „Wir müssen darauf hinarbeiten, dass sich die Menschen nicht nur in den Stadtparks gerne aufhalten und frei fühlen, sondern auch in den Museen. Das Museum sollte zu einem einladenden Ort werden, den man gerne aufsucht und an dem man wegen seiner freundlichen Atmosphäre gerne verweilt.“
Neue Impulse für das Museum erwartet
Marina Loschak gilt schon lange als Vertreterin der Ansicht, dass in der Kunst maximale Offenheit und demokratischer Geist herrschen sollten. Die Vermutung liegt daher nicht fern, dass das Puschkin-Museum zukünftig auch Ausstellungen zeitgenössischer Kunst zeigen wird, die bisher ein Schattendasein fristeten. Loschaks liberale Grundhaltung und fortschrittlichen Ansichten spielen hierfür natürlich eine wichtige Rolle, sind aber nicht allein ausschlaggebend. Die Gegenwartskunst ist das Gebiet, in dem die neue Leiterin des Puschkin-Museums tatsächlich zu Hause ist und die sie versteht zu präsentieren.
Konkrete Baupläne für die „Museumsstadt“ liegen noch nicht vor, aber die Herangehensweise ist eindeutig: „Das Erste, was wir tun werden, ist, ein absolut transparentes Informationssystem zu schaffen. Bei einem so wichtigen Bauprojekt darf es keine Informationslücken und Mauscheleien geben.“ Offenheit und Transparenz sind ebenfalls zutiefst liberale Werte und Teil zeitgemäßen Denkens. Gleichzeitig bilden sie ein Image, das sich hervorragend vermarkten lässt. Loschak ist auf diesem Gebiet alles andere als eine Newcomerin. Sie leitete früher die PR-Abteilung der SBS-Agro-Bank und war dort unter anderem für die Einrichtung einer Kunstsammlung verantwortlich. Man darf davon ausgehen, dass sie in ihrem neuen Amt schnell für eine andere Medienpräsenz des Puschkin-Museums sorgen wird.
Konflikt um wichtige Kunstsammlung noch nicht gelöst
Ein heikles Thema für das Puschkin-Museum ist der unlängst ausgebrochene Konflikt mit der Sankt Petersburger Eremitage um den Transfer eines Teils des Gemäldebestandes nach Moskau. Der Hintergrund dazu ist ein Plan, das einst geschlossene Museum für neue westliche Kunst neu zu eröffnen. Die einzigartige Sammlung von Impressionisten und Künstlern der Moderne wurde damals zwischen dem Puschkin-Museum in Moskau und der Eremitage aufgeteilt, in letzter Zeit wurde aber konkret über die Wiedereröffnung des ursprünglichen Museums diskutiert. Die Eremitage, das westlichste und bekannteste Museum Russlands, möchte sich jedoch nicht von den entsprechenden Werken trennen. In einem Interview sprach sich Loschak vorsichtig für die Wiedereröffnung aus. Sie schränkte allerdings ein, diese Entscheidung solle die Regierung treffen und nicht den Museen überlassen werden.
Die öffentliche Resonanz auf die Ernennung Loschaks war so groß, wie dies im Bereich der Museen schon lange nicht mehr der Fall war. Die Debatte um das Museum erweiterte sich nach Bekanntwerden der Entscheidung auch um gesellschaftliche Aspekte: Die einen prophezeien eine Zunahme des staatlichen Einflusses auf diesen Bereich, andere sprechen von der unausweichlichen Liberalisierung der akademisch geschlossenen Welt der Museen und sehen einer neuen Stellung der Gegenwartskunst in Staat und Gesellschaft entgegen. Eines ist klar: Mit Loschaks Antritt beginnt in der russischen Kunst eine Zeit des tiefgreifenden Wandels.
Das Staatliche Puschkin-Museum für bildende Künste ist eines der größten und bedeutendsten russischen Museen der europäischen und außereuropäischen Kunst. Es wurde am 31. Mai (13. Juni) 1912 eröffnet. Die Ausstellungsfläche erstreckt sich auf 2 672,2 Quadratmeter. Der Bestand des Puschkin-Museums umfasst Werke westlicher Kunst von der Antike bis ins 20. Jahrhundert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte ein großer Teil des Bestands der Dresdner Gemäldegalerie sowie die Schätze des Priamos, Heinrichs Schliemanns Fundstücke aus dem Alten Troja, in den Besitz des Puschkin-Museums. Später wurde die Sammlung der Dresdner Gemäldegalerie der DDR übergeben. Einige Kunstgüter, die zuvor westdeutschen Museen und privaten Sammlern gehört hatten, verblieben im Besitz des Puschkin-Museums. Heute zählt die Sammlung über 560 000 Gemälde, Grafiken, Skulpturen und Werke der angewandten Kunst, archäologische Funde und Münzen sowie Werke der Kunstfotografie.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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