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Die erste Erwähnung der russischen Küche stammt aus dem 10. Jahrhundert. Der arabische Historiker, Astronom und Geograf Ahmad ibn Rustah erklärte, die Ostslawen ernährten sich ausschließlich von Stutenmilch. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges berichtete ein bekanntes europäisches Kochbuch, die russische Kwas-Suppe Okroschka sei ein Gemisch aus Bier und Wodka und die russische Borschtsch werde nur in verdorbenem Zustand serviert.
Ein weiteres Bild pseudorussischer Küche entstand ebenfalls in der Zeit des Eisernen Vorhangs: Ohne Berge schwarzen Kaviars schien eine Mahlzeit „russischen Stils“ undenkbar. Wanderten Köche nach Europa oder Amerika aus, mussten sie sich hier auch bemühen, nicht die wirkliche russische Küche anzubieten, sondern nur die, die dort von ihnen als „russisch“ erwartet wurde. Das Bild der russischen Küche wurden hier insbesondere durch den Film „Doktor Schiwago“ mit Omar Sharif in der Hauptrolle und den eigenen Vorstellungen der entfernten russischen Schneelandschaften geprägt.
Ein Experte erzählte Russland HEUTE, was die russische Küche tatsächlich ausmacht.
Der Ofen
Das raue russische Klima lässt Ackerbau nur während einiger Monate im Jahr zu. Dafür mangelte es in Russland nie an Waldflächen. Laubwälder in den gemäßigten Zonen und die Nadelwälder der Taiga im Norden lieferten immer Brennholz in ausreichender Menge, um im Alltag die nationaltypische Art des Herdes befeuern zu können: den russischen Ofen.
Sein Innenraum ist so groß, dass ein erwachsener Mensch hineinkriechen oder sich darin waschen kann. Daher ist es kein Wunder, dass er einen sehr geringen Wirkungsgrad von maximal 30 Prozent aufweist.
Um die Temperatur in einem so großen Ofen auf ein Niveau zu bringen, das zum Brotbacken reicht, braucht es mindestens zehn Holzscheite, das entspricht annähernd einem kleinen Baum. Dafür lassen sich in einem gut eingeheizten Ofen gleich mehrere Gerichte zubereiten, die eine ausdauernde Hitze erfordern. So kann man Brot und Kuchen für eine große Familie backen. Die Abkühlungsphase zieht sich so lange hin, dass selbst acht bis zwölf Stunden nach dem Anheizen noch Hitze gespeichert bleibt. Daher ist sie die Basis der russischen Küche.
Kohlsuppe und Brei
Die russische Küche besteht vor allem aus Speisen, die leicht geköchelt, also über längere Zeit knapp unter 100 Grad Celsius gehalten werden. Über Jahrhunderte hinweg und bis zum heutigen Tag sind in vielen russischen Familien Kohlsuppe und Brei verschiedenster Art die beliebtesten Gerichte. Traditionell stehen auf dem Mittagstisch einer Bauernfamilie ein Topf Kohlsuppe und ein Topf körnig gekochter Brei aus Buchweizen, Hirse, Roggen oder Weizen.
Eingelegtes Gemüse
Das traditionelle Einlegen von Gemüse und Pilzen durch natürliche Milchsäuregärung, auch Einsäuerung genannt, ist ein wichtiger Bestandteil der russischen Küche. Die Salzlake zum Einlegen von Gurken und Kohl hatte einst für die russische Nationalküche eine ähnliche Bedeutung wie die Sojasoße in den Ländern Südostasiens.
Aus eingelegtem Gemüse werden außer der Kohlsuppe weitere Gerichte aus salzkonservierten Zutaten zubereitet: die Soljanka, Rassolnik und andere Fleisch- und Fischsuppen auf der Grundlage von Salzgurkensole. Nachdem er im 17. Jahrhundert durch das Großfürstentum Moskau gereist war, erwähnte der deutsche Gelehrte Adam Olearius ein solches Gericht, nämlich gebratenes Hammelfleisch in Salzgurkenlake.
Fisch und schwarzer Kaviar
Zu den grundlegenden russischen Speisen zählen die vielen Arten von Flussfischen, die es in Russland immer in großer Fülle gegeben hat. In einem der wichtigsten überlieferten Texte des 16. und 17. Jahrhunderts, dem russischen Domostroi, werden über zehn Techniken der Haltbarmachung von Fisch mit Salz beschrieben, darunter das Trockenpökeln, die Fermentation in Fässern und das schichtweise Einlegen.
Und schließlich ist da noch der berühmte russische schwarze Kaviar. Jener Kaviar, den es heute leider kaum noch gibt. Vor gerade einmal 400 Jahren jedoch trat der getrocknete Störkaviar in manchen russischen Regionen zu Hungerzeiten anstelle des Mehls. Er war sein günstigster Ersatz.
Fisch ist die Grundlage manch besonderen Gebäcks, das es so nur in Russland gibt: Piroggen, mit Fisch gefüllte Teigtaschen oder Fischkuchen.
Kuchen und Bliny
Kuchen und andere Teigwaren sind das Aushängeschild der russischen Küche. Die Vielfalt der Füllungen, Teigarten und Kuchen selbst ist überwältigend: Es gibt sie offen und geschlossen, mit Quarkfüllungen, ungesalzen oder gesalzen und ebenso sauer oder süß.
Die Masleniza, eine Art russischer Karneval vor der großen Fastenzeit, ist mit der Zubereitung von Bliny fest verbunden. Aber Bliny werden nicht nur zum Masleniza-Fest gebacken. Auf Weihnachten folgen Feiertage – heilige Tage, die mancherorts noch „Hafertage“ genannt werden, weil zu dieser Zeit Bliny aus Hafermehl zubereitet werden.
Manche festlichen Gerichte werden aber auch nur einmal im Jahr und zu einem besonderen Anlass serviert: Ostergebäck und Kulitsch, „Frühlingslerchen“ aus Rührteig oder bunte Lebkuchen aus Archangelsk.
Nicht zu vergessen sind die beliebten russischen Kwas- und Rote-Beete-Suppen, das sind kalte Suppen auf der Basis von Brotkwas, einem Nationalgetränk aus Malz oder Mehl.
Wo gibt es die echte russische Küche?
Russland ist ein Vielvölkerstaat. Die Küche der Russen besteht dort seit Jahrhunderten neben den Küchen anderer Völker. Einige der heute als „russisch“ geltenden Gerichte kamen aus benachbarten Regionen nach Russland, so etwa die finno-ugurischen Pelmeni und türkischen Nudeln.
Auch die Volksküchen der anderen, auf russischem Staatsgebiet siedelnden Nationalitäten wurden reicher, indem sie ursprünglich russische Speisen in ihre kulinarischen Traditionen aufnahmen.
Echte russische Gerichte auf einer Speisekarte eines russischen Restaurant zu finden, ist heute leider nicht einfach. Man sollte sich darauf einstellen, sich mit einem Imitat zufriedengeben zu müssen, das vielleicht nicht schlecht schmeckt, aber weit von der echten Vorlage entfernt ist. Ausnahmen gibt es, jedoch recht selten. In der Altstadt von Sankt Petersburg zum Beispiel bekommt man gute russische Küche im Restaurant Russkaja rjumotschnaja № 1.
Allmählich jedoch ändert sich die Situation. Vor allem Restaurants in der Provinz bedienen sich wieder der traditionellen, russischen Öfen, viele jüngere Köche wollen nicht mehr mit einer Vielzahl von Gerichten beeindrucken, ihnen ist die Erhaltung einer traditionellen Form der Zubereitung wichtig. Auch Bauern fangen wieder an, die beinahe in Vergessenheit geratenen Dinkel und Rüben anzubauen. Für eine sorgfältige Zubereitung von Speisen aus diesen althergebrachten russischen Produkten stehen Moskauer Lokale wie das Hofcafé LawkaLawka.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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