Die neue Puschkin-Meseum-Direktorin Marina Loschak: "Wir müssen dem Publikum kommunizieren: Wir warten auf Euch! Wir möchten offen sein für Euch!" Foto: PhotoXPress
Den Dialog mit den Gästen fördern
Marina Loschak ist ein Mensch vollkommen anderen Schlags, einer anderen Generation und mit anderen Ansichten, als die vorherige Direktorin des Puschkin-Museums Irina Antonowa, die das Museum über ein halbes Jahrhundert lang geleitet hat. Sie vertritt eine liberale Anschauung und verfügt über sehr reiche Erfahrungen in der Öffentlichkeitsarbeit auf dem Gebiet der Kunst. Wie will sie neue Zielgruppen erschließen?
„Noch bevor ich meinen Posten als Direktorin angenommen hatte, war es das Erste, was ich tat, auf Facebook zu fragen: ‚Was sollte geändert werden?' Und die Menschen haben auf sehr rührende Weise reagiert: Sie unterbreiteten konkrete Vorschläge und versuchten, die aktuelle Situation zu analysieren. Dieses Feedback, diese Möglichkeit der Rückkopplung, hat meiner Meinung nach dem Puschkin-Museum bisher gefehlt, wie auch allen anderen Museen alten Schlags. Das Museum ist einzigartig mit seinem Bildungsprogramm, seiner fantastischen Sammlung an Totenmasken – all das Zusammen ist eine hervorragende Installation, auch wenn sie ein wenig altbacken gestaltet ist. Aber um das Museum moderner und aktueller zu gestalten, bedarf es am Anfang einiger, wenn auch nicht sehr komplexer, aber doch klar definierter Schritte. Wir müssen dem Publikum kommunizieren: Wir warten auf Euch! Wir möchten offen sein für Euch! Wir beißen nicht! Wir sind komfortabel! Das sind für ein modernes Museum sehr wichtige Faktoren. Man darf als Museumsleiter kein Snob sein und muss begreifen, dass das Museum für alle da ist. Nicht nur für die, die sich in der Kunst auskennen und über eine besondere Ausbildung verfügen."
Die Verbindung von Geschichte und Gegenwart
Loschak ist eine Expertin für zeitgenössische Kunst und russische Avantgarde. Das passt nicht so ganz zum Aufgabenfeld des Direktors eines akademischen Museums, das über einen einmaligen Bestand an Gemälden aus den Epochen der Renaissance und des 19. Jahrhunderts verfügt. Aber andererseits ist die Avantgarde ja auch keine allzu neue Kunst. Sie ist bereits auch schon an die einhundert Jahre alt – wie das Puschkin-Museum selbst. Welchen Stil wird Loschak pflegen?
„In den Museen für zeitgenössische Kunst geht es häufig wie in einem Labor zu, aber wir haben es mit einem anderen Museum zu tun. Bei uns handelt es sich um Kunst, die bereits einen objektiven musealen Wert darstellt, um Künstler, die bereits in die Geschichte eingegangen sind und deren Werke zum Grundbestand der Museumslandschaft gehören. Mir gefällt der Ansatz, über den die zeitgenössischen Kuratoren schon seit geraumer Zeit verfügen: die Verknüpfung verschiedener Reflexionen, die die Geschichte und die Kunst miteinander verbinden und zu einem Großen und Ganzen vereinigen. Besonders mag ich Jean Hubert Martin, einen hervorragenden Kuratoren, der in dieser Richtung arbeitet. Alte und zeitgenössische Kunst gehen bei ihm Hand in Hand und interagieren mit anderen Kunstformen. Das ist ungeheuer effektiv – der Besucher sieht das Gemälde im Ganzen, er sieht das Bild der Welt in seiner ganzen Größe. Das Puschkin-Museum ist ein einzigartiges Museum. Der Besucher sollte keine Angst davor haben, im Rahmen eines universalen Museums etwas für ihn Unerwartetes zu erblicken."
Modernisieren und dabei bewahren
Ungeachtet ihrer ganzen Mobilität, Energie und zeitgenössischer Ansichten hat Marina Loschak ganz und gar nicht vor, sich in ihrer neuen Funktion mit radikalen Veränderungen zu profilieren:
„Ja, ich habe meine Erfahrungen tatsächlich in Museen mit wesentlich liberaleren Ansätzen, flexibleren Formen der Exposition und mit generell freieren Vorstellungen von Kunst gesammelt. Ich habe sehr intensiv mit privaten Strukturen gearbeitet, was dem Museum einen gewissen Vorteil verschafft, zumindest was die Mobilität und Flexibilität der Arbeit betrifft. Aber das hier ist eine vollkommen andere Geschichte – ich bin gerade erst dabei, mich in die Denkweise einzuarbeiten und werde deshalb sehr vorsichtig agieren. Zudem steht dem Puschkin-Museum eine umfassende Modernisierung bevor. Schon sehr bald soll ein neuer Museumskomplex gebaut werden. Dessen künstlerisches Konzept muss noch erstellt und detailliert ausgearbeitet werden. Davon wird dann abhängen, wie das Museum in Zukunft aussehen wird.
Das Museum muss zweifelsohne in seiner Grundstruktur modernisiert werden — das betrifft die Lagerung der Kunstwerke, die Schaffung eines elektronischen Katalogs, der zurzeit gerade in Angriff genommen wird. Es existiert bisher noch kein virtuelles Museum, und bei einer Reihe neuer Kommunikationsformen muss noch vieles aufgeholt werden. Aber wenn auch die Form sich ändert – das Entscheidende ist, das der Geist erhalten bleibt, das, was Irina Antonowa das ‚universitäre Gen' nennt."
Die Entscheidung liegt beim Staat
Kurz vor der Ernennung Loschaks kam es zwischen der Eremitage in Sankt Petersburg und dem Puschkin-Museum zu einem Streit, der für öffentliche Aufmerksamkeit sorgte. Dabei handelt es sich um die geplante Wiedereröffnung des 1948 geschlossenen Museums für Neue westliche Kunst. Ein Teil dessen Sammlung, die im Wesentlichen aus ausgewählten Werken des Impressionismus bestand, wurde damals der Eremitage übereignet, der Rest kam ins Puschkin-Museum. Irina Antonowa äußerte den Vorschlag, die beiden Kollektionen zu vereinigen – und zwar in ihrem Museum. Inzwischen wurde über den Antrag abschlägig entschieden. Präsident Putin und Minister Medinskij erklärten offiziell, dass das Museum für Neue westliche Kunst nicht wiedereröffnet werde und alles bei Alten bleibe. Loschaks Haltung in dieser Frage ist weitaus weniger radikal als die Antonowas:
„Für mich ginge ein Traum in Erfüllung, wenn es dieses Museum wieder gäbe, es würde Moskau in eine Art Mekka für Menschen verwandeln, die etwas von der westlichen Moderne verstehen. Diese Sammlung ist einmalig, und zwar weniger aus quantitativer, als aus qualitativer Sicht. Diese Kunstwerke haben eine fantastische Qualität. Und ich kann Antonowa verstehen – für sie war das der Traum ihres Lebens. Ich kann aber auch den Direktor der Eremitage verstehen, für den diese Werke ja schon seit Langem zu seiner Sammlung gehören. Kein Direktor, der sich um sein Museum sorgt, möchte einen solchen Schatz verlieren. Aber letztlich muss die Frage von den Leuten entschieden werden, die für die strategische Entwicklung der staatlichen Kulturgüter im Ganzen verantwortlich zeichnen – dem Kultusministerium, dem Präsidenten und dem Ministerpräsident. Die Museumsgemeinschaft kann hierbei nur beratend mitwirken. Das Gleiche gilt für die Rückgabe von Museumsexponaten. Allen ist bekannt, dass im Puschkin-Museum noch sehr viel Beutekunst lagert. Und dies ist ebenso ein Problem des Staates und nicht der Museen. Meiner Meinung nach ist das Wichtigste bei dieser Frage eine maximale Offenheit – es sollten möglichst viele Ausstellungen durchgeführt und nichts verheimlicht werden. Alles muss gezeigt und beschrieben werden und die Menschen müssen die Möglichkeit bekommen, diese Gemälde zu Gesicht zu bekommen."
Aus den Beständen verschwindet nichts
Der Führungswechsel beim Puschkin-Museum hat in Künstlerkreisen eine gewisse Panikstimmung hervorgerufen. Es wird geraunt, dass das Museum nun von den „Silowiki", den Vertretern der staatlichen Organe übernommen werde und diese die Kontrolle über die Kunstschätze des Landes, die ein Vermögen wert sind, erlangen würden. Auf diese Gerüchte reagiert Marina Loschak mit Gelassenheit:
„Es ist völlig verständlich, dass die Leute eine gewisse Unsicherheit im Zusammenhang mit dem Wechsel verspüren. Aber mit dem realen Geschehen hat das alles nichts zu tun. Dass diejenigen, die den Zugriff zu staatlichen Ressourcen haben, irgendwelche Wertgegenstände aus den Museumsbeständen entwenden und diese an Privatleute weitergeben könnten, ist eine vollkommen absurde Idee. Als Direktorin des Puschkin-Museums versichere ich allen Besorgten, dass dies nicht passieren wird!"
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