Die malerisch schöne Landschaft, die die kleine Ortschaft Nikola-Leniwez umgibt, ist von Installationen durchzogen und wurde in den letzten zehn Jahren in eine Künstlerresidenz umgewandelt. Foto: Jaroslawa Kirjuchina
Eines der vielen Herzstücke des Festivals war das Kunstwerk „Zwei Sphären" des deutschen Multimedia-Künstlers Julius von Bismarck: zwei Metallsphären, die aus einer Höhe von 14 Metern auf den Boden stürzten und dabei ein kleines Erdbeben verursachten. Indem das Kunstwerk bei jedem seiner Stürze in alle Richtungen Schlamm schleuderte, war sein Pochen jede halbe Stunde sowohl akustisch als auch visuell deutlich vernehmbar.
Das Sommerfestival „ArchStojanie", das nun zum achten Mal veranstaltet wurde, zieht nicht nur Liebhaber moderner Kunst an, sondern auch Menschen, die gerne Ausflüge ins Freie machen. Der Ausstellungsort Nikola-Leniwez liegt knapp vier Stunden Fahrt von Moskau entfernt.
Der Name des Festivals, zu Deutsch „Archaisches Stehen", soll an eine Begebenheit erinnern, die sich hier vor mehr als fünf Jahrhunderten zugetragen hat: dem „Großen Gegenüberstehen an der Ugra", bei dem sich die Goldene Horde des Khans Achmat und das Heer von Iwan III. an den Ufern des Flusses Ugra gegenüberstanden und in dessen Verlauf die Goldene Horde nach einigen Wochen kampflos den Rückzug antrat. Die Ugra ist ein Nebenfluss der Oka, entlang dessen die Grenzen des Großfürstentums Moskau verliefen. Dieses bedeutende Ereignis, das im Herbst des Jahres 1480 stattfand, markiert den Wendepunkt in der mongolischen Herrschaft über Russland und somit auch das Ende des tatarischen Jochs.
Russische Land Art ist eine Nischenerscheinung
Die malerisch schöne Landschaft, die die kleine Ortschaft Nikola-Leniwez, zu Deutsch „Nikolaus der Faulpelz", umgibt, ist von Installationen durchzogen und wurde in den letzten zehn Jahren in eine Künstlerresidenz umgewandelt.
Die meisten Freiluftinstallationen sind Werke des Künstlers Nikolaj Polisskij, der 1989 nach Nikola-Leniwez übergesiedelt ist. In einem Gespräch mit Russland HEUTE beklagte er, dass es so etwas wie eine russische Land Art gar nicht gebe. „Es ist schade, wenn man bedenkt, dass wir über so weite Flächen verfügen. Aber so etwas war in der Zeit der Sowjetunion verboten. Und bis heute hat sich daran nur wenig geändert", erklärte er und ergänzte, er sei der Erste gewesen, der versucht habe, hier echte Land Art zu schaffen.
Traditionell stellt Land Art eine Kunstform dar, in der die Landschaft selbst durch den Gebrauch von Materialien wie Heu, Baumstämme, Erde und Ton aus der lokalen Umgebung in ein Kunstobjekt verwandelt wird.
Foto: Sergej Michejew / Rossijskaja Gaseta
Laut Polisskij, der einst Mitglied des sowjetischen Untergrund-Kunstkollektivs „Mitki" war, brauche Land Art keinen Betrachter. Es handle sich eher um eine Kunstform, die lediglich der Selbstdarstellung dient. Das heißt, sie sei „reine Kunst". Selbst Nikola-Leniwez repräsentiere seiner Meinung nach eher Public Art, denn das Werk Beaubourg, das von den Formen des Centre Georges Pompidou in Paris inspiriert ist, wurde erst aufgestellt, nachdem beim neuen Besitzer des Parks, einem Milliardären namens Maksim Nogotkow, der Nikola-Leniwez 2011 gekauft hatte, um Erlaubnis gebeten wurde.
Landschaftskunst existiert im Vereinigten Königreich sowie in den USA bereits seit mehr als einem halben Jahrhundert, während sie in Russland erstmals vor neun Jahren etabliert wurde. Dafür sind Polisskij und sein Team, das ihm beim Bau der Land-Art-Objekte hilft und aus kleineren, in benachbarten Ortschaften lebenden Kleinbauern besteht, die einzigen Russen, die außerhalb Russlands dazu eingeladen werden, um ihre Werke auf bedeutenden Ausstellungen zu präsentieren. Zu diesen Ausstellungen zählen beispielsweise die Biennale di Venezia oder die Art Basel in Miami, USA.
Selbst der „Kreml-Chefideologe" Wladislaw Surkow schrieb einmal in einem Essay über Polisskijs Kunst als eine Darstellung der russischen Seele.
Einmalige Aktionskunst als Geschenk an die Besucher
Dieses Mal gab es keine neuen Installationen in Nikola-Leniwez zu sehen, obwohl das Festival ArchStojanie traditionell jedes Jahr die neuesten Land-Art-Objekte ausstellt. „Ein Moskauer Kurator hat ein Medienereignis für Moskauer organisiert. Die Leute sind mehr als 200 Kilometer gereist, um hierher zu kommen", erklärte Nikolaj Polisskij, der von Einheimischen liebevoll „Onkel Kolja" genannt wird.
Dieses Jahr hatte die erst kürzlich ernannte Kuratorin Katerina Bochwar entschieden, den Fokus auf verschiedene künstlerische Darbietungen und Installationen zu legen. Darüber hinaus, so die Organisatoren des Festivals, gebe es diese Aufführungen nur für die Gäste von ArchStojanie zu sehen, da diese nirgendwo anders veranstaltet würden.
Foto: Sergej Michejew / Rossijskaja Gaseta
„Aus dem Wald", ein Werk von Walentin Tszin, einem Intendanten von „Poema theatre", hatte dem ganzen Festival seinen Namen verliehen: eine zwölfstündige Inszenierung, welche die unzertrennliche Verbindung eines Künstlers zu seinem Werk metaphorisch in einem dunklen Wald darstellt. Dabei nahmen mehr als hundert Menschen, die in schwarz-weißer Montur gekleidet waren und eher wie Zombies aussahen als echte Menschen, an der Aufführung teil.
Bei einer anderen Show waren mehr als ein Dutzend Dichter zu sehen, die ihre Gedichte eine Stunde lang einem einzigen Zuhörer vorlasen, der in dem Rundbau von Aleksandr Brodskij, einem Werk, das inmitten eines leeren Feldes steht, anwesend war.
Für diejenigen, die selbst in Mutter Naturs Schoß nicht auf Bücher verzichten wollten, hatten der Architekt Boris Swerdlow und der Herausgeber Boris Kuprijanow, einer der Initiatoren und Entwickler der Moskauer Bibliotheksreform, neun Leseräume auf einem Feld organisiert. Dort hatten die Besucher dann sogar die Gelegenheit, durch ein Teleskop oder hoch oben in den Baumkronen zu lesen.
Sprechendes Gemüse und Beethoven im Reich der Tiere
Zu den erstaunlichsten Werken, die auf dem Festival präsentiert wurden, zählten auch einige akustische Installationen. Denn wer hätte gedacht, dass es tatsächlich sprechendes Gemüse gibt? Die „Eis-Architekten" waren zu dem Entschluss gekommen, dass Gemüsesorten kommunizieren können: Ein Kürbis, eine Wassermelone und eine Aubergine lasen einander so fast den ganzen Tag Literatur vor.
Foto: Sergej Michejew / Rossijskaja Gaseta
Klassische Musik ist langweilig? Doch was wäre, wenn ein Klavier Tierlaute statt Noten spielen und Ludwig van Beethovens Mondscheinsonate mit dem Gebrüll eines Tigers erklingen würde? So nämlich hörte sich die Kreation der „Electroboutique art-group" an, die von einem Mann gespielt wurde, der wie ein „Leschij" aussah, ein mystisches Waldwesen aus der slawischen Mythologie, das als Beschützer der Tiere und Behüter des Waldes bekannt ist.
Den Höhepunkt von ArchStojanie am Sonntagabend bildeten schließlich zwei Nackt-Inszenierungen und eine poetische Darbietung. Zu bestaunen gab es dabei ein junges Mädchen mit langem Haar und blasser Haut, das in einem mit Stroh ausgekleideten und einer Glasplatte bedecktem Grab lag – ein wahrlich feenhafter Anblick. Die andere Show, die vom Moskauer Künstler Fjodor Pawlow-Andreewitsch inszeniert wurde, war davon geprägt, das der Künstler in Boris Bernaskonis Gewölbe, das wie ein Portal oder Brunnen von innen aussah, sich in der Luft in einem Fadennetz einwickeln und kopfüber hängen ließ.
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